Sonntag, 1. Oktober 2023

Shakespeare: Romeo und Julia, 30.09.2023

Die Abgedroschenheit des Selbstimitats
Anna Bergmanns Tage als Schauspieldirektor in Karlsruhe sind bekanntlich gezählt, nach dieser Spielzeit ist Schluß. Betrachtet man die abstürzenden Besucherzahlen in ihrer Sparte (mehr hier), kann man ihre Direktion als gescheitert betrachten, und nach der gestrigen Premiere scheint es, als ob ihr Abgang zu spät erfolgt. Ein Regisseur sollte wissen, wann der Vorhang zu fallen hat, denn sonst bekommt laut Oscar Wilde jede Komödie einen tragischen Schluß und jede Tragödie endet als Farce. Die gestrige Premiere von Romeo und Julia wirkte teilweise wie eine Farce. Bergmann  kopiert sich selbst, sie kombiniert Ideen früherer Inszenierungen zu einem Flickenteppich aus Versatzstücken. Shakespeare, Romeo und Julia müssen nun einiges am Badischen Staatstheater aushalten. "Anna Bergmann inszeniert die ... Liebesgeschichte ... in einer Musical-Version ... von hinten nach vorne. Die Inszenierung beginnt mit dem fünften Akt und endet mit dem ersten." Und da Shakespeares Text nicht zu dem paßt, was Bergmann inszenieren will, hat man noch belanglos flache Texte hinzuerfunden. Das Ergebnis wirkt auf gequirlte Weise abgedroschen. 

Worum geht es?
Romeo und Julia erzählt die Geschichte zweier junger Liebender, die aus verfeindeten Familien in Verona stammen, den Montagues (Romeo) und den Capulets (Julia).
1. Akt: Nicht nur die Familien sind verfeindet, auch deren Freunde und Angestellten teilen die Feindseligkeiten. Als ein Streit eskaliert, warnt der regierende Fürst von Verona beide Familienoberhäupter eindringlich: Er wird durch drakonische Strafen den Stadtfrieden bewahren, sollte es erneut zu Gewalt kommen. Graf Paris, Verwandter des Fürsten, spricht bei Capulet vor und bitte um die Hand von dessen vierzehnjähriger Tochter Julia. Capulet erlaubt ihm, um Julia zu werben. Abends, auf einem Fest der Capulets, sollen beide einander kennenlernen. Doch Romeo hat sich dort eingeschlichen und trifft Julia; Beide verlieben sich augenblicklich.
2. Akt: Romeo schleicht sich nachts in der Garten der Capulets. Als Julia am Fenster erscheint, können beide ihr Liebesduett sprechen. Sie entschließen, zu heiraten. Romeo weiht den Geistlichen Lorenzo ein. Er will das Paar unterstützen, um Frieden zwischen den Familien zu stiften. Julias Amme übermittelt die heimlichen Botschaften des Paares. Lorenzo traut das Liebespaar.
3.Akt: Zwei Hitzköpfe geraten aneinander; Tybalt, Cousin Julias, tötet Romeos Freund Mercutio, Romeo tötet Tybalt. Der Fürst greift durch: er verbannt Romeo aus Verona und verhängt die Todesstrafe bei Verstoß und Rückkehr. Romeo versteckt sich bei Lorenzo, die Amme bringt Julias Botschaft. Romeo schleicht sich nachts zu seiner Frau und verlässt sie beim Ruf der Lerche. Inzwischen hat Capulet den Entschluß gefasst, Julia an Paris zu verheiraten.
4. Akt: Um einer arrangierten Ehe mit Paris zu entgehen, akzeptiert Julia einen gefährlichen Plan  Lorenzos, bei dem sie einen Trank trinkt, der sie scheinbar in den Tod versetzt. 
5.Akt: Romeo kannte den Plan nicht, erfährt von Julias Tod und kehrt nach Verona zurück. Dort trifft er auf Paris, tötet ihn und betritt die Gruft, wo er die (schein)tote Julia sieht. Er nimmt Gift, um mit ihr zu sterben. Als Julia erwacht und Romeo tot findet, ersticht sie sich selbst mit seinem Dolch. 

Historisches
Schlegels Übersetzung gab es anscheinend 1822 zum ersten Mal am Großherzoglichen Hoftheater. "Wegen Länge des Stücks": die Aufführung ist 1822 mit 3,5 Stunden  und 20 Schauspielern angesetzt - man trieb viel Aufwand, um Shakepseare zu genügen. (Quelle: hier bei der BLB). 


Was ist zu sehen?
Shakespeares Romeo und Julia ist eine Tragödie, deren beide zentralen Konflikte in der Moderne kaum noch existieren, da sie auf Wertvorstellungen beruhen, die man heute nur noch in düsteren Zivilisationen findet. Unerbittliche Stammes- oder Familenfehden scheinen ein Relikt, das es nur noch im kriminellen Clan-Umfeld gibt, und ein Liebespaar ist nicht mehr auf die Familie angewiesen, sondern kann einfach alles hinter sich zurücklassen und gehen. Die Möglichkeiten, Romeo und Julia aktualisiert auf die Bühne zu bringen, sind also begrenzt, und auch die Neuproduktion des Karlsruher Schauspiels verzichtet auf eine Umstellung der Handlung, bspw. in ein kriminelles oder religiöses Milieu. Für Bergmann stellte sich also die Frage, wie man die Tragödie umgehen kann. Bergmann kombiniert aus ihrem inzwischen hinlänglich bekannten Fundus und wiederholt sich selbst, indem sie auf Plakativität und Überzeichnung setzt. Sie greift einerseits auf einen Trick zurück, den sie bereits bei Tschechows Drei Schwestern anwendete:  Die Geschichte wird rückwärts erzählt und jeder Akt in einer anderen Epoche angesiedelt. Man beginnt mit dem 5. Akt in der Renaissance, der 4. Akt spielt im Rokoko, für den dritten und vierten springt man ins 20. Jahrhundert und man endet mit dem 1. Akt in einer dystopischen Zukunft. Was damals bei Tschechow einigen Schauwert hatte und originell wirkte, verliert hier stark an Reiz. Die Zeitensprünge wirken beliebig, zu oft setzt man auf Klamauk statt auf Ironie. Doch das große Thema dieser Inszenierung ist wie bereits angesprochen die Wiederholung bisheriger Regieeinfälle zu Szenen, die überreizt und zu grell wirken. Bergmann kopiert nicht nur sich selbst, im 3. Akt wird der Tod Mercutions und Tybalts zu einem Quentin Tarantino Verschnitt. Tybalt wirkt wie eine irre Mörderin aus Kill Bill. Mercutio muß einen minutenlangen Klamauktod sterben, der an eine Folge der Amazon-Serie The Marvellous Mrs. Maisel erinnert, in der eine Komikerin unbedingt eine ernste Theaterrolle am Broadway spielen will und die Premiere dadurch an die Wand fährt, weil sie plötzlich ihre Rolle als Komikerin spielt. Als gewollte Verfremdung quält sich die Mercutio-Szene durch den Bodensatz erzwungen wirkenden deutschen Humors.
Der Liebesgeschichte fehlt nicht nur der Zauber, manche Szenen wirken wie eine Fortführung von Bergmans Inszenierung Passion - Sehnsucht der Frauen in kitschig. Bei Shakespeare ist Romeo tot, als Julia aus dem Scheintod erwacht, Bergmann erfindet für beide eine Szene. Das Liebespaar (zwei Rollen für junge Schauspieler) altert, die sehr reif wirkende Julia ist zwei bis drei Jahrzehnte älter als bei Shakespeare und hat einen Migrationshintergrund: sie spricht mit Akzent und kämpft mit der Betonung. So mutig und bewundernswert es ist, daß Frida Österberg Julia spielt, so unverständlich und gezwungen wirkt auch teilweise ihr deutsch. Sie ist besetzt, um zu singen, aber eine Hauptrolle in einem Shakespeare-Stück sollte man nicht bekommen, weil man singen kann. Österberg wirkt wie eine Fehlbesetzung, 
Andrej Agranovski spielt Romeo so, daß man ihm die Rolle in einer ordentlichen Inszenierung wünschen würde. Mercutio ist mit Leonard Dick richtig besetzt, darf aber die Rolle nicht ordentlich interpretieren. Mit der vierten wichtigen Rolle -der Amme- kann die Regie nicht viel anfangen, die Figur bleibt blaß. Bergmann unterfordert ihre Schauspieler, weil sie sich weder der Liebesgeschichte noch der Tragödie stellen will. 

Fazit: Wer Anna Bergmanns Regiestil nicht kennt, der mag vielleicht  reizvolle Momente finden. Bei allen anderen besteht die Gefahr, daß diese Inszenierung hilflos oder abgedroschen und desinteressiert wirkt.   

Besetzung und Team
Graf Montague: Timo Tank
Romeo, Montagues Sohn: Andrej Agranovski
Gräfin Capulet: Antonia Mohr
Julia, Tochter der Gräfin Capulet: Frida Österberg
Tybalt, Nichte der Gräfin Capulet: Anne Müller
Zofe: Claudia Hübschmann
Mercutio, Verwandter des Prinzen und Romeos Freund: Leonard Dick
Benvolio, Montagues Neffe und Romeos Freund: Jannik Görger
Pater Lorenzo: Sascha Goepel
Fürstin: Corinna Harfouch (im Video)
Graf Paris: Jannek Petri

Regie: Anna Bergmann
Bühne: Jo Schramm
Kostüme: Lane Schäfer
Musik: Clemens Rynkowski
Sounddesign: Heiko Schnurpel
Video: Sophie Lux
Choreographie: Emiel Vandenberghe
Kampfchoreographie: Annette Bauer 

1 Kommentar:

  1. @Diverse Kommentatoren

    Bzgl. des erneuten Claqueur-Verdachts:
    Ich habe den Schlußapplaus nicht abgewartet, da ich sonntags sehr früh in einen Kurzurlaub gestartet bin. Vor über einem Jahrzehnt habe ich in diesem Blog bereits zum ersten mal über unseriöses Verhalten bei Premieren berichtet. Ab dem Intendantenwechsel 2011 wurde die bis dahin geübte Zurückhaltung von Mitarbeitern und Angehörigen aufgegeben und bei Premieren künstlich positive Stimmung gemacht. Im Juli 2023 habe ich hier über die Rüge des Landesrechnungshofs berichtet, der bestätigte, was kaum zu übersehen waren: Zigtausende Freikarten/Saison, insbesondere für Premieren, wurden vergeben, womit man mangelnden Erfolg kaschieren wollte.
    Es stimmt, es waren bei der Shakespeare-Premiere einige Angestellte sowie anscheinen Freunde und Angehörige im Publikum. Vielleicht hat man wieder großzügig Freikarten oder verbilligte Karten vergeben, vielleicht war es wieder ein Claqueur-Erfolg - aufgrund Ihrer Kommentare scheint der Verdacht begründet. Doch wen interessiert es noch, was in dieser Spielzeit passiert? Die Luft ist raus, wer erwartet in dieser Spielzeit noch eine Trendwende zum Erfolg?

    Das Badische Staatstheater hat (auch durch die unseriöse Freikarten-Vergabe) beim Publikum viel Vertrauen verspielt, über Jahre ging es bergab, die Talsohle ist hoffentlich durchschritten, wer weiß, vielleicht erklimmt man in dieser Spielzeit noch einige Höhenmeter, aber der Rückweg nach oben ist erst ab 2024/25 nachhaltig zu fordern. Von daher freue ich mich über jeden Erfolg, der Publikum nicht weiter vertreibt, sondern für 2024/25 zurückbringt.
    Romeo und Julia sind 15 mal in dieser Spielzeit im Großen Haus angesetzt, man schleust wahrscheinlich fast alle Abonnenten durch diese Vorstellung und erzielt tausende Besucher. Romeo und Julia wird vermutlich das am besten besuchte Stück der Spielzeit und verhilft Bergmann, nicht noch mehr Publikum zu verlieren, sondern evtl. auf niedrigen Niveau sich zum Abschied zu verbessern. Von daher hoffe ich, daß der Applaus seriös und nachhaltig war, mein obenstehendes Fazit lautete: "Wer Anna Bergmanns Regiestil nicht kennt, der mag vielleicht reizvolle Momente finden". Für mich war es zu abgeschmackt, und auch deshalb bleibe ich dieser Spielzeit lieber fern, maximal noch 3-4 Schauspiel-Besuche und dann warte ich mal ab, was 2024/25 passiert.

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