Sonntag, 6. Oktober 2019

Bergman: Passion - Sehnsucht der Frauen, 05.10.2019

Therapeutenlos im Trauma
Anna Bergmann hat sich erneut Ingmar Bergman vorgenommen. Nach den erfolgreichen Szenen einer Ehe und dem zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Drama für zwei Frauen Persona (eine Koproduktion des Theaters in Malmö und des Deutschen Theaters Berlin, die inszenatorische Parallelen zur Karlsruher Inszenierung aufweist und die man hoffentlich auch noch am Badischen Staatstheater zu sehen bekommt) kombiniert die Karlsruher Schauspieldirektorin und Regisseurin nun drei weitere Filme des Schweden zu einem dreistündigen Theaterabend. Oberflächlich betrachtet könnte Passion - Sehnsucht der Frauen eine Kombination von zwei der drei zugrunde liegenden Filmtitel sein. Nach der gestrigen Premiere ergibt sich ein anderer Sinn, denn es geht um Frauen, die leiden und sich nach Leiden sehnen, die sich nach Unglücken und Schicksalsschlägen selbst bedauern und sich aus der Spirale des Selbstmitleids nicht befreien können. Die Übersetzung der über 50 Jahre alten Filme in unsere Zeit zeigt Frauen, die sich in ihrem Unglück suhlen und sich daraus ihr persönliches Selbstmitleidsdrama konstruieren, das sie als Rolle ihres Lebens mißverstehen. Trotz kurzer heiterer Momente hat Anna Bergmann einen spannenden, aber auch oft bleischweren und grelldüsteren Überbietungswettbewerb zwischen Psycho-Drama und Trauma mit so überzeugenden Schauspielern inszeniert, daß man sich als Zuschauer die Frage stellt, wieso manche Figuren auf der Bühne statt in Therapie sind.
  
Worum geht es?

Der Episodenfilm Sehnsucht der Frauen (1952) ist die Rahmenhandlung, in die Passion (1969) und Wie in einem Spiegel (1961) verwebt wird.
Ein schwedisches Sommerhaus am Meer, abends soll es eine Familienfeier geben. Vier Frauen, deren Männer Brüder aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie sind: Annette (+ Paul), Rakel (+ Eugen), Marta (+ Martin) und Karin (+ Frederik) sowie Maj (Rakels junge Schwester) und Elisabeth (Rakel und Majs Mutter) verbringen einen Tag im Sommerhaus und warten auf die Ankunft der Männer, die später nachkommen. Um die Zeit zu vertreiben, erzählen sie sich Erlebnisse und Situationen aus ihren Beziehungen - es geht um Differenzen und Konflikte, Beziehungskälte und Unglück, Untreue und Seitensprünge. Später kommen die Männer hinzu, die abendliche Feier nimmt einen dramatischen Verlauf.
Karin erzählt eine Episode über ein anderes Paar, das aus Bergmans Film Passion stammt: Anna hat bei einem Unfall ihren Mann und ihr Kind verloren und wohnt vorübergehend bei Karin und Frederik. Mit dem Nachbarn Andreas beginnt erst Karin, dann Anna eine Affäre, Anna zieht zu Andreas, doch die Beziehung scheitert gewalttätig.
Dem Paar Rakel und Eugen wird die Geschichte aus Wie in einem Spiegel unterlegt. Ihr Sohn ist vor einem Jahr gestorben, Rakel ist psychisch erkrankt und selbstmordgefährdet. Weiterhin im Sommerhaus sind Rakels Mutter Elisabeth, eine erfolgreiche Schriftstellerin, die gefühlskalt die psychischen Probleme ihrer Tochter für ein neues Buch verwerten will. Als Rakel im Notizbuch ihrer Mutter sich wiedererkennt, fühlt sie sich ausgenutzt und verraten und bittet um ihren Tod.
   
Was ist zu sehen (1)?
Die Bühne zeigt zentral ein mehrstöckiges Metallgestell mit Wendeltreppe, das an einen Leuchtturm erinnert und über vier Stege erreichbar ist, ein abseitiger Ort, wahrscheinlich auf einer kleinen schwedischen Insel. Zwölf Schauspieler spielen zwölf Rollen, die einzelnen Episoden folgen chronologisch aufeinander. Regisseurin Bergmann erzählt diese Geschichten auf unterschiedliche Weise und konzentriert sich auf die Dramen über traumatisierte Frauen, deren Kind gestorben ist
Ein leichter Einstieg, der wenig konkret wird: Marta (Bea Brocks) hatte einige Entscheidungen zu treffen, um mit dem leichtfertigen und unreifen Maler Martin (Leander Senghas) trotz gemeinsamen Kindes dennoch zusammen zu kommen. " Die Geschichte von Marta wird nahezu komplett als Tanztheater erzählt wie ein Videoclip. Marta, eine junge Frau, geht tanzend durchs Leben". Nett, aber ohne Tiefgang oder Relevanz.
Danach folgte die erste düstere Episode: Karin (Anna Gesa-Raija Lappe), verheiratet mit dem erfolgreichen Architekten Frederik (André Wagner), erzählt eine vergangene Geschichte, die um ihre und Annas (Sina Kießling) Beziehung zu Andreas (Thomas Schumacher) kreist. "Die Geschichte von Karin und Anna Fromm ist ... in einer relativ dunklen Ästhetik gehalten, Winterstimmung", die Szene wird verfremdet und durch aufgezeichnete Stimmen aus dem Lautsprecher erzählt, die Schauspieler bleiben meist stumm oder bewegen den Mund zur Aufzeichnung. Andreas wurde von seiner Frau verlassen und kommt nicht darüber hinweg, Anna sollte von ihrem Mann verlassen werden und scheint aus Verzweiflung einen Autounfall herbeigeführt zu haben, bei dem ihr Mann und ihr Sohn starben. Für beide wird äußeres Unglück ein Alibi für ihre seelische Not, gegen die sie nicht ankämpfen wollen. Sie bedauern sich selbst und werden aggressiv, wenn ihr Verhalten in Frage gestellt wird. Die Episode eskaliert gewaltvoll. Laut Programmheft soll Ingmar Bergman über das Drehbuch gesagt haben, daß es darum geht, "die Absurdität der Fremdheit zweier Menschen innerhalb einer Beziehung in ein absolutes Extrem zu treiben". Anna Bergmann nennt das „Fremdgesteuertsein“ und erklärt "also gar nicht Herr seiner eigenen Gefühle zu sein", die "Tonaufnahmen mit vorgefertigtem Material" symbolisieren diese "Fremdsteuerung". Allerdings zeigt diese Episode keine Fremdsteuerung, sondern Verdrängung. Anna und Andreas suchen die Schuld bei anderen und glauben, daß man ihnen etwas angetan hat, da sie mit Situationen und Gefühlen nicht fertig werden. Die Unaufrichtigkeit der anderen wird thematisiert, um sich der eigenen Unaufrichtigkeit gegen sich selbst nicht stellen zu müssen.
Nach dieser Erzählung treffen die Männer auf der Insel ein. Damit die Inszenierung nicht zu stark in Depressivität versinkt, gibt es ein Kontrastprogramm: es wird gesungen und getanzt. Anette (Claudia Hübschmann) und Paul (Timo Tank), der "tolle Hecht" der Familie haben ein kurzes komödiantisches Duell über Untreue und Unaufrichtigkeit, das an Shakespeares Paar Benedikt und Beatrice erinnert.
Die vierte Episode ist erneut bedeutungsschwanger und überdramatisch. Die Beziehung von Rakel (Sarah Sandeh) und Eugen (Jannek Petri) ist durch den Tod ihres Sohns belastet. Rakel ist nicht nur psychisch labil und selbstmordgefährdet, sondern verwirrt und geisteskrank, die Kommunikation mit ihrer Umwelt gelingt nur noch manchmal. In einem klaren Moment erkennt Rakel, daß ihre lieblose Mutter (Antonia Mohr) ihre Erkrankung beobachtet und für ein Buch verwenden will. Verzweiflung und Verlassenheit bringen Rakel dem Wahnsinn nah. Ihre Mutter hilft ihr beim Suizid.

Was ist zu sehen (2)
Groß, größer, übergroß: Figuren mit unglücklichen Beziehungen und Schicksalschlägen (drei der sieben Frauen haben ein Kind verloren) stehen im Mittelpunkt. Zentrales Thema dieser Inszenierung ist Unaufrichtigkeit und die vergebliche Suche nach Authentizität. Die Figuren sprechen oft gestelzt und etwas übertrieben, sie sind schnell gereizt und aggressiv, sobald ihr Unglück in Frage gestellt oder nicht ernst genommen wird. Enthemmungen, Seitensprünge und Gewalt werden benötigt, um sich lebendig zu fühlen. Das Unglück und die Unaufrichtigkeit der anderen wird zur Vorgeblichkeit, um sich der eigenen Unaufrichtigkeit gegen sich selbst nicht stellen zu müssen. 
Anna Bergmanns Männerfiguren sind ohne Tiefe. Sie sind bereit zu Kompromissen und kommen mit ihren Leben besser zurecht als die weiblichen Figuren. Nur Timo Tank darf ein wenig aufdrehen, Thomas Schumacher hat zwar die größte Rolle, aber leider kaum Plausibilität - eine Figur ohne Herkunft und Schicksal, ein Los, das er sich mit seinen männlichen Kollegen teilt.

Fazit: Starke und engagierte Schauspieler, spannende Szenen, psychische Extremsituationen - die grelle Depressivität dieses Episodenstücks ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache. Letztes Jahr begann Anna Bergmann die Karlsruher Schauspielsaison mit drei ineinander kombinierte Stücke von Henrik Ibsen (mehr hier), die in der Summe nicht richtig funktionieren wollten und zu viel unterschlugen. Die dreifache Kombination von Ingmar Bergman ist Anna Bergmann intensiver gelungen und bisher die psychisch düsterste Inszenierung der Regisseurin für Karlsruhe.
  
Besetzung und Team:
Anette Lobelius: Claudia Hübschmann
Paul Lobelius: Timo Tank
Rakel Lobelius: Sarah Sandeh
Eugen Lobelius: Jannek Petri
Karin Lobelius (Eva): Anna Gesa-Raija Lappe
Frederik Lobelius (Elis): André Wagner
Anna: Sina Kießling
Andreas: Thomas Schumacher
Marta Berg: Bea Brocks
Martin Lobelius: Leander Senghas
Maj: Marie-Joelle Blazejewski
Elisabeth (Mutter von Rakel, Maj): Antonia Mohr

Regie: Anna Bergmann
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüme: Aino Laberenz
Musik: Heiko Schnurpel, Till Meiler
Choreografie: Tabea Martin

5 Kommentare:

  1. Hier ein Hinweis im allgemeinen Zusammenhang mit dem Auftreten des Badischen Abspuhlertheaters: Haben Sie auch schon bemerkt, dass - offenbar in Anbetracht der Zunahme kritischer Stimmen - das Gästebuch auf der Homepage und in den einzelnen Veranstaltungsanzeigen still und leise abgeschafft wurde?
    Nach dem Motto "wir sind viele" ….die dann eben - wenn nicht gleichgeschaltet - so doch zum Schweigen gebracht werden....

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  2. Habe bezüglich des abgeschafften Gästebuchs auf der Facebookseite des Staatstheaters nachgefragt. Wie in solchen Fällen üblich erhielt ich keine Antwort

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  3. Vielen Dank für Ihre Kommentare bzgl. des in dieser Saison nicht mehr aktivierten Gästebuches. Ob man nun kritischen Stimmen kein Forum bieten will, ob man einfach personell niemand hat, der sich um die Beantwortung der Beiträge kümmern will oder kann (Intendant Spuhler scheint ein Händchen dafür zu haben, die falschen Personalentscheidungen zu treffen), ob man für die letzten Jahre niemand mehr etwas vormachen muß (Transparenz und Offenheit waren noch nie die Stärke der Intendanz) oder ob man Angriffsflächen minimieren will (es heißt, daß Intendant Spuhler immer noch weg will, sobald sich ihm doch noch etwa anderes böte, wahrscheinlich nicht mehr als Intendant, aber ggf. in einer Organisation) - es gibt verschiedene Erklärungen aus verschiedenen Quellen, ohne daß sich aktuell bereits eine klare Tendenz abzeichnet.

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  4. Als Premierenbesucher von „Passion…“ erging es mir wie schon bei der Ibsen-Collage Anna Bergmanns: die Aufführungen fühlen sich an wie Herumzappen im Fernsehen bei ähnlichem Programmangebot. Beim Lauten, Schrillen und Übertriebenen bleibt man eine Weile hängen, dann geht’s zur nächsten Psycho-Action-Szene und alles lässt einen ziemlich unberührt.
    Ist niemandem dieser inhaltliche Unsinn aufgefallen: eine sechs(sic!)beinige Spinne als Gotteserscheinung?

    Was mich am meisten an dieser Art von „Theaterstück“ stört: das Vorgeführte entmündigt den Zuschauer. Der Text kann nicht wirklich nachvollzogen (nachgelesen) werden und damit ist man auf Gedeih und Verderb den Verzerrungen, Entstellungen und Auslassungen von psychologischen Entwicklungen über meist längere Zeiträume der Bevormundung von Frau Bergmann ausgeliefert. Das ist insbesondere bei I. Bergman und freilich auch bei Ibsen ein enormer Verlust der Film- bzw. Bühnenkraft.

    Die thematische Konzentration im Schauspiel scheint in den letzten Monaten immer schlichter und reduzierter: Varianten von Kindstod und daraus resultierendes elterliches Leid bestimmen den Spielplan. [Siehe auch die für mich unfassbar einfältige Aufführung von „Shockheaded Peter“, in der ein kurzes Musical, dessen Reiz einzig in der Musik und Aufführungsweise der Tiger Lillies liegt, unglaublich aufgeblasen wurde und – o Graus – auch noch Mahlers/Rückerts Kindertotenlieder missbraucht und veralbert mit einem lächerlichen Gespensterchen-Korso wurden. Ich weiß, das Spuhlersche Klientelpublikum tobte am Pemieren-Ende vor Vergnügen; zu meinem Trost gab es hie und da doch ein paar Inseln anspruchsvollerer Theaterfreunde, die betroffen und enttäuscht die Hände still hielten.]

    Was puzzelt sich Frau Bergmann als nächste „Bühnenerfindung“ zusammen? Die schönsten Liebesdialoge bei Shakespeare, Ausschnitte der heftigsten Streitgespräche bei Schiller, vielleicht lässt sich auch das gesamte soziale Elend aller Gerhard Hauptmann Stücke in drei Stunden packen?

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    1. Vielen lieben Dank für Ihre Analyse! Bevormundung und Entmündigung sind gute Stichworte, um das aktuelle Theatergeschehen zu beschreiben. Die Verantwortlichen wissen schon alles besser und wollen ihr Publikum belehren und bepredigen - darüber muß ich demnächst mal etwas ausführlicher schreiben .....

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