Dienstag, 29. Oktober 2019

2. Symphoniekonzert, 28.10.2019

Durch die sonntägliche Zeitumstellung nach dem Ende der Sommerzeit ist es wieder dunkel, wenn man abends am Badischen Staatstheater ankommt, wo der seit 1981 auf dem Vorplatz stehende Musengaul wegen der Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten in den Heidelberger Schloßgarten umzieht, und auch das Symphoniekonzert wartete mit einer Besonderheit auf, denn es wurde nur Opernmusik gespielt.
   
Interessant sind dabei die Gegensätze. Der Beginn des 19. Jahrhunderts war mit Ludwig van Beethovens 3. Leonoren-Ouvertüre op.72b vertreten, die als gelungener Querschnitt das Quarttet der Oper instrumental enthält und von Beethoven auch für den Konzertsaal bestimmt war, wo sie auch gestern ihre Wirkung nicht verfehlte. Die Trompete kündigt die Gerechtigkeit an, doch während es bei Beethoven um die Befreiung aus Kerker und Willkür ging, drehte sich 100 Jahre später alles um seelische Kerkerzustände. Arnold Schönbergs dichte Miniaturoper Erwartung op.17 ist ein Monolog für eine Sopran der nachts auf der Suche nach ihrem Geliebten durch einen von Mondlicht erhellten Wald irrt und über dessen Leichnam stolpert. Die dicht komprimierte Musik ist wie aus einem Hitchcock-Thriller, Nervenmusik, irrational, das Freudsche Unbewußte auf Berg- und Talfahrt, emotional extreme Zustände mit gewaltvollen Ausbrüchen. Heidi Melton durchlebte sängerisch diesen Albtraum mit expressiver Dramatik.

Rückblickend mag es als passend und entsprechend erscheinen, daß  Meisterwerke des 20. Jahrhunderts oft etwas Gewaltvolles und Entfesseltes vertonen, beginnend mit Richard Strauss' Salome und Elektra, Bergs Wozzeck und Lulu, Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk oder auch Strawinskys Sacre du Printemps. In diese Reihe gehört auch Brittens Peter Grimes, der als Oper über Unterstellungen und Ausgrenzung auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts besonders aktuell ist. Das 21.Jahrhundert ist nun auch fast 20 Jahre alt, welche Oper ist das unerläßliche Meisterwerk dieser Dekaden? Weder Tüürs Wallenberg, Adams Dr. Atomic, Henzes Phaedra oder Reimanns Medea noch Rihms Dionysos und Prosperina scheinen in Frage zu kommen.

Laut Adorno beneidete Schönberg Alban Berg um dessen Erfolg beim Publikum, Berg hingegen beneidete Schönberg um dessen skandalträchtigen Mißerfolge. Wozzeck wird von der Karlsruher Oper im März 2020 neu inszeniert, zur Einstimmung gab es gestern allerdings  Symphonische Stücke aus der Oper Lulu, sängerisch unterstützt durch Uliana Alexyuk und Katharine Tier. Justin Brown schloß mit den Stücken von Berg und Schönberg zwei Lücken seit geraumer  nicht Zeit mehr in Karlsruhe gespielter Musik und ließ die Badische Staatskapelle farbenreich und engagiert aufspielen. Ob nach diesem Konzert Wozzeck im Opernspielplan ein Erfolg wird, bleibt dennoch abzuwarten. Bei Berg/Schönberg scheiden sich weiterhin die Geister.