Zu Beginn erklang die 94. Symphonie von Joseph Haydn. Der nicht von Haydn stammende Beiname "Mit dem Paukenschlag“ ist etwas unklar, denn alle
der sogenannten Londoner Symphonien (Nr. 93 - 104) haben Paukenschläge.
In englischsprachigen Ländern hat sie den treffenderen Namen "Surprise". Haydn zeigt bei der 94., wie man aus scheinbar wenig sehr viel machen kann.
Die erste Überraschung erfolgt eigentlich schon nach der Einführung des ersten Satzes: denn es wirkt nicht wirklich wie ein Thema, sondern eher wie eine nebensächliche Tonfolge, was hier als Grundidee ertönt. Die zweite Überraschung ist die simple Melodie zu Beginn des zweiten Satzes, die mit der bekannten Surprise eines Paukenschlags den Auftakt zu unverhofften Wendungen und Weiterentwicklungen gibt. Beide Sätze sind Meisterwerke der Variation und der überraschenden Harmonien und Justin Brown erwies sich als idealer Vermittler, bei dem das Heitere ernst, das Ernste heiter wurde und die Perspektive stets offen blieb. Der erste Satz öffnete gestern bereits die Türe zu Beethoven, der zweite setzte nicht auf den Effekt, sondern wie auch die folgenden Sätze auf Spielfluß. Eine gelungene Haydn-Symphonie.
Das 14. Klavierkonzert Es-Dur, KV 449 von Wolfgang Amadeus Mozart gelang sogar noch überzeugender. Dirigent Justin Brown spielte es selber (wie er zuvor schon das Klavierkonzert KV 488 spielte) und er machte daraus ein Konzert mit Haltung: lebhaft in den Ecksätzen, aber ernst und innig. Das einleitende Allegro vivace gewann eine ambivalente Perspektive: Allegro und vivace, aber auch auf eine nach innen gerichtete Weise geschehnisreich. Sehr schön gelang Brown die Kadenz, die ein wenig wie improvisiert wirkte und vor allem erlebt, nicht geplant oder kalkuliert. Das wunderschöne Andantino kontrastierte dann sehr gut und Brown und die Badische Staatskapelle ließen die Zeit still stehen - was für ein ungewöhnlich schöner Satz! Das abschließende Allegro man non troppo war tatsächlich nicht zu heiter und schnell und hatte auch zurückhaltendere Anteile: eine geglückte Gratwanderung und perfekter Mozart. Bravo!
Anlässlich seines Geburtstagkonzerts (mehr dazu hier) vor fast genau drei Jahren, wurde Wolfgang Rihm um einen Beitrag zum Karlsruher Stadtgeburtstag gebeten. Die ursprünglich von ihm extra für diesen Anlaß vorgesehene Uraufführung eines Capriccio für Klavier und Orchester entfiel unkommentiert und scheint nun im Juni beim Konzert anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten zu ertönen. Nur das Auftragswerk der Stadt Karlsruhe Über die Linie VIII war zu hören - ein Recyclingstück laut Programmheft: "Eine Frühfassung von Über die Linie VIII entstand im Jahr 2013 als Hommage an Benjamin Britten unter dem Titel A Tribute. .... Gegenüber seiner englischen Vorversion ist Rihms reifes Werk für wesentlich größeres Orchester komponiert". Über die Linie VIII betont laut Rihm, der beim kompletten Symphoniekonzert anwesend war und eine kurze Einführung hielt, das Lineare: Linien, Lebenslinien und Wachstum bzw. Wuchs aus einer Keimzelle. Es endet mit einem Doppelpunkt: Rihm wird das Wachsende und Wuchernde fortführen. Das achte Werk der Reihe Über die Linie erwies sich dabei als konzerttauglich für ein breites Publikum: ein vorwärts drängendes, spannendes und abwechslungsreiches Werk, das langen Applaus bekam.
Ein bemerkenswertes Konzert, das fürs Radioprogramm aufgezeichnet wurde und voraussichtlich am Samstag, 13.06.15 um 20 Uhr in SWR2 ausgestrahlt wird.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.