Samstag, 9. Dezember 2023

Strauss - Die schweigsame Frau, 09.12.2023

Die Karlsruher Rückkehr von Richard Strauss
Händel, Mozart, Wagner und Richard Strauss sind die Hausgötter des Badischen Staatstheaters, und spätestens als es 2014 zum 150. Geburtstag von Strauss keine einzige Neuinszenierung gab, mußte man sich Sorgen über die Karlsruher Oper machen. 2019 gab es dann eine wenig spannende Elektra, 2022 eine halbherzige Salome, zwei großartige Opern wurden so inszeniert, daß man kaum Freude daran hatte, die Vorstellungen öfters zu besuchen. Doch mit der gestern bejubelten Premiere scheint man nun das Tal der Enttäuschungen verlassen zu haben. Die schweigsame Frau ist eine  hochengagiert musizierte, gespielte und gesungene Buffa-Oper mit vielen Höhepunkten.

Worum geht es?
Ort und Zeit: London um 1780
Der pensionierte Admiral Sir Morosus ist seit einer Explosion trommelfellgeschädigt, lärmempfindlich und stillebedürftig. Überraschenderweise kehrt sein Neffe Henry zurück nach England, er ist inzwischen Mitglied einer fahrenden Operntruppe. Für Morosus ist dies eine inakzeptable Berufswahl: er enterbt ihn und fordert seinen Barbier auf, eine schweigsame Braut für ihn zu finden, um selber einen Erben zu zeugen. Der Barbier verbündet sich mit Henry und seiner Truppe. Als ideale schweigsame Frau wird Morosus Henrys Ehefrau Aminta als Klosterschülerin Timidia präsentiert. Nach einer vorgetäuschten Hochzeit verwandelt sich die vermeintliche Klosterschülerin in Morosus Albtraum. Morosus fordert die Scheidung. Als die fingierte Scheidungskommission feststellt, daß kein Scheidungsgrund vorliegt, erlöst Henry seinen Onkel und offenbart die Posse. Als der anfänglich wütende Morosus erkennt, daß der Spuk vorbei und er glimpflich davongekommen ist, kommt es zur großen Versöhnung.

Was ist zu beachten?
Die Heiterkeit der schweigsamen Frau entstand vor bedrohlichem Hintergrund. Nach dem Tod von Hugo von Hofmannsthal (*1874 †1929) fehlte Richard Strauss (*1864 †1949) ein geeigneter Librettist. Zusammen schufen sie Elektra (UA 1909), Rosenkavalier (1911), Ariadne auf Naxos (1912), Die Frau ohne Schatten (1919) und Die ägyptische Helena (1928), nach Hofmannsthals Tod vollendete Strauss noch deren letzte Zusammenarbeit Arabella (UA 1933). Strauss und Stefan Zweig trafen sich erstmals 1931. In seinen lesenswerten Erinnerungen Die Welt von gestern beschreibt Zweig u.a. die  Entstehung und Geschichte dieser nach vier Vorstellungen abgesetzten Oper, deren Uraufführung 1935 (Dirigent: Karl Böhm) trotz Zweigs jüdischer Abstammung von Goebbels erst persönlich erlaubt, in der Folge aber untersagt wurde. Strauss wollte weiter mit dem emigrierten Zweig arbeiten und trat als Präsident der Reichsmusikkammer zurück, als das Regime dies erfuhr und verhinderte. So blieben beide Opern Arabella und Die schweigsame Frau in gewisser Weise unvollendet, beiden fehlt die Revision durch Librettist und Komponist, insbesondere bei letzterer in Form von Straffungen und Strichen. Die schweigsame Frau wird üblicherweise nicht in Originallänge aufgeführt. Karl Böhm erarbeitete 1959 für die Salzburger Festspiele eine gekürzte Fassung, die sich seitdem quasi durchgesetzt hat. Die letzte Karlsruher Inszenierung von Wolfgang Quetes (1986/87) dauerte mit zwei Pausen ca. 200 Minuten, gestern erlebte man eine Pause und setzte nach 180 Minuten zum Schlußapplaus an. Die anscheinend einzige ungekürzte Einspielung von Marek Janowski mit der Staatskapelle Dresden hat eine reine Spielzeit von 173 Minuten.
Strauss wünschte sich ein "geistvolles Intrigenstück" und eine weibliche Hauptrolle als Hochstaplerin, Zweig schlug Ben Jonsons Epicoene or The silent woman (1609) als Ausgangsstoff vor. 1932 erhielt der Musiker die ersten Szenen, 1934 war die Partitur vollendet, laut Strauss (damals 70 Jahre alt)  soll die Komposition keiner seiner früheren Opern ihm so leicht gefallen sein. Man hört dabei den Komponisten gelegentlich auch als Routinier: unverkennbar in der melodischen Gestaltung, manchmal vielleicht altersbedingt etwas floskelhaft. Strauss schuf eine Potpourri-Ouvertüre, große Ensembles (die Zweig genial entwarf), anspruchsvolle Koloraturen und eine Buffa, die es lohnt zu kennen. 

Was ist zu sehen?
Arrangierte Ehen sind ein Relikt vergangener Zeiten, dennoch verlegt Regisseurin Mariame Clément  die Handlung ins Heute, läßt die Bühnenfiguren Mobiltelefone zücken und Selfies machen. Die Regisseurin findet dabei allerdings keinen neuen Blickwinkel, ihre Inszenierung schert sich wenig um Kostüme und Zeiten, sie interpretiert die Handlung traditionell. Morosus ist hier nicht nur alt, sondern pflegebedürftig. Der Barbier ist eher Physiotherapeut, die Haushälterin wirkt als Pflegerin. Daß die kommende Maskerade überhaupt funktioniert, soll wohl am labilen Zustand der Hauptfigur liegen. Die Operntruppe ist ein Karikatur- und Kuriositätenkabinett, die zwar emotional tiefschürfend singt, aber oberflächlich agiert. Librettist Stefan Zweig zeigt keine vulgären Charaktere, er läßt die Figuren durch Strauss' Musik immer wieder von Freundschaft, Dankbarkeit und Glück singen und reflektieren, um der Maskerade und den beteiligten Intriganten die Boshaftigkeit zu nehmen. Die Regisseurin nimmt Morosus ernst, seine Verzweiflung im dritten Akt, der Wendepunkt, der Geständnis und Auflösung bewirkt, wird nicht leichtfertig verharmlost. Tragik und Komik liegen hier beieinander. Die Mitglieder der Operntruppe hingegen sind eher Witzfiguren und etwas zu flache Komödianten.
Das Bühnenbild zeigt einen großen, holzgetäfelten, fensterlosen Innenraum, der nach dem ersten Akt in drei Zimmer unterteilt wird. Die Kostüme sind wenig originell, Aminta im Blümchenkleid mit Schnürstiefeln wirkt bspw. so gar nicht wie eine Klosterschülerin, aber in der Summe sieht man eine werktaugliche und valide Umsetzung, der gelegentlich die Pointen fehlen. 

Was ist zu hören?
Die schweigsame Frau ist die Wunschoper von Georg Fritzsch, die die scheidende Operndirektorin Nicole Braunger dem Karlsruher GMD quasi zum Einstand schenkte und epidemiebedingt nun erst möglich wurde. Die Herzensangelegenheit hört man, Fritzsch dirigiert mit Hingabe, die Badische Staatskapelle musiziert perfekt balanciert, opulent, freudvoll und lebendig. Die Figuren verkleiden und verstellen sich, und auch die Musik schmückt sich mit Anleihen und Zitaten, von Monteverdi, Legrenzi bis Wagner, dazu wird im Orchestergraben organisierter Lärm entfesselt und geschwelgt. Strauss-Freunde kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten!
Und auch Solisten und Chor ist die Spielfreude anzuhören. Großartige Ensembles, ob Septett, Nonett oder das Sextett nach der Trauung, der reich orchestrierte Sprechgesang oder der poetisch humorvolle traurig wirkende Schluß: virtuoser Gesang. Als Sir Morosus hat man mit Friedemann Röhlig einen Charakterbaß, der die Rolle singt, darstellt und verkörpert. BRAVO! Die anspruchsvolle Koloraturrolle der Aminta singt die griechische Sopranistin  Danae Kontora - ein bemerkenswert schöne, klare und ätherisch schlanke Stimme, der es als gewitterziegrige Ehefrau etwas an Deftigkeit mangelte (trotz des schlechten Gewissens, das ihr Stefan Zweig schreibt).  Eleazar Rodriguez hat schon im handlungsverwandten Don Pasquale die Rolle des Neffen interpretiert. Als Henry Morosus wirkte sein Strahlkraft dosierter als sonst, als ob seiner Stimme noch die langen Proben in den Bändern stecken würde. (Beide Kontora und Rodriguez zeigten vollen Einsatz: Kontora schien wegen Nasenbluten ab dem 3. Akt Papiertaschentücher zu benötigen, Rodriguez hatte sich den Daumen so verletzt, daß er einen Verband bekam). Tomohiro Takada überzeugt als eloquenter Barbier mit tadellosem Auftritt. In den kleineren Rollen ist man ebenfalls engagiert aufgestellt, es singen  Henriette Schein (lsotta), Florence Losseau (als Carlotta), Konstantin Ingenpass (Morbio), Renatus Mészár (Vanuzzi), Gabriel Fortunas (Farfallo) sowie Christina Niessen als (zu Beginn etwas textunverständlich singende) Haushälterin.


Fazit: Endlich! Unterhaltsam, auf hohem Niveau, zum Wiederhören. Gratulation an alle Beteiligten für diese engagierte Produktion!

PS: Die letzte Produktion der schweigsamen Frau blieb insbesondere wegen Günter von Kannen als Sir Morosus in Erinnerung (der übrigens auch Don Pasquale sang). Auch Mark Munkittrick sang die Hauptrolle. Anläßlich des 125. Geburtstages von Richard Straus gastierte die Badische Staatskapelle 1989 mit dieser Inszenierung an der Semperoper in Dresden -dem Ort der Uraufführung-, wenige Monate vor dem Fall der Mauer.

Besetzung und Team
Sir Morosus: Friedemann Röhlig
Der Barbier: Tomohiro Takada
Haushälterin: Christina Niessen
Henry Morosus: Eleazar Rodriguez
Aminta: Danae Kontora
lsotta: Henriette Schein
Carlotta: Florence Losseau
Morbio: Konstantin Ingenpass a. G.
Vanuzzi: Renatus Mészár
Farfallo: Gabriel Fortunas a. G.
Operntruppe:  Harrie van der Plas, Manuel Oswald, Edgars Skarbulis, Lukasz Ziolkiewicz

Musikalische Leitung: Georg Fritzsch
Chor: Ulrich Wagner
Regie: Mariame Clément
Bühne & Kostüme: Julia Hansen

6 Kommentare:

  1. Danke für den Bericht, wir empfanden den Abend sehr vergnüglich. Ich kannte das Werk bisher nur aus München, dort hatte Barrie Kosky bei aller Lust am Absurden die Charaktere doch recht zweidimensional gezeichnet. Da empfand ich die distinguiert-humorvolle Regie in Karlsruhe doch recht angenehm. (In diesem Zusammenhang entstand bei uns der Eindruck, das Theater könnte Claqueure, im Sinne von "bezahlten Lachern" im Publikum platziert haben. Einer von beiden kam jedenfalls aus der Zuspätkommer- oder Intendantenloge, was schon auffällig war.)
    Vielleicht zwei Wermutstropfen: Kontora fehlte im zweiten Akt ein wenig der Furor für ihren Ausraster als "Timida", Röhlig besaß einfach nicht die nötige Tiefe als Morosus.
    Gleichwohl ein schöner, unterhaltsamer Abend, dem eine zweite Pause vielleicht ganz gut getan hätte...? (So wurde es auch in München gehandhabt.)

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    1. Vielen Dank Herr Kaspar, für Ihren Kommentar sowie den Hinweis auf die empfehlenswerte Frankfurter Salome mit Matthias Wohlbrecht als Herodes und Nick Brownlee als Jochanaan.
      Die schweigsame Frau hat mich in sehr gute Laune versetzt, vor allem, weil die zentralen Momente für mich sehr gut funktioniert haben, doch darüber schreibe ich noch nach den Folgebesuchen. Endlich mal wieder eine Produktion, von der ich nicht gleich genug habe.
      Das Claqueur-Problem bedrückt seit 2011 die Beziehung des Theaters zum Publikum, allerdings was soll das jetzt noch groß bewirken, der Wechsel steht bevor, wer will hier noch Renommée mitnehmen?

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  2. Die schweigsame Frau empfand ich gestern Abend als gelungene Premiere. Die Inszenierung von Clement bleibt nah am Libretto und wird nur ergänzt statt (wie im heutigen Opernbetrieb leider oft üblich) entfremdet. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Inszenierung gut beim Publikum angekommen ist. Der einzige Buh Ruf kam von einer älteren Dame mit Gehstock hinter mir, für die der Farfallo im Rock einfach nur schockierend zu sein schien (Ich verfasse diese Aussage auf Grundlage der lautstarken Bekundungen der Dame, denen meine Ohren leider nicht entkommen konnten).

    Musikalisch gefiel mir die Aufführung sehr gut. Ich schließe mich meinem Vorredner an, dass Danae Kontora in ihrem großen Ausraster etwas mehr hätte aufdrehen können, andererseits war es vielleicht auch so gewollt.

    Zu dem Thema "Claqueure" kommt mir meine Beobachtung wieder in den Sinn das bei den Premieren doch wirklich sehr viele Ensemblemitglieder und sonstige Theatermitarbeiter im Publikum sitzen. Ich hatte darüber schon einmal auf Ihrem Blog in einem Kommentar gelesen, doch seit den letzten beiden Opernpremieren fällt es mir immer stärker auf.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich weiß nicht, ob diese Oper ein breites Publikum anspricht oder eher eine Oper für Feinschmecker und Liebhaber. Ich kann mich noch an die letzte Karlsruher Produktion erinnern, die mich insbesondere durch den musikalischen Einfallsreichtum begeisterte. Es gibt so viele überraschendem und besondere Momente, die oft nur wenige Takte dauern, aber sofort in Ohr gehen.
      Bzgl. der Claqueure: es handelt sich dabei m.E. nicht um bezahlte Personen, sondern um Angehörige, Freunde und Mitarbeiter, die anscheinend über Jahre kostenlose Eintrittskarten bekamen. Früher galt bei Premieren eine strikte Zurückhaltung für diesen Personenkreis, erst nach dem Abgang von Achim Thorwald tauchte dieses Phänomen bei Karlsruher Premieren auf. Das Theater kann sich damit rausreden, daß sie diesem Personenkreis keine Vorschriften machen kann, offensichtlich bittet man sie aber auch nicht um Rücksichtnahme. So oder so hat sich das Theater mit den massenweise für Premieren ausgegebenen verschenkten Tickets und der fehlenden Distanzierung von den opportunen Jublern kompromittiert

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  3. Bitte erlauben Sie mir, darauf aufmerksam zu machen, dass es erst in letzter Zeit und das auch ganz selten, nämlich bei schlecht verkauften Premieren und wenn die freie Dienstzeit es zulässt, für das schlechtbezahlte fußläufige Personal die Möglichkeit gibt, eine Freikarte zu bekommen. Gönnen Sie denen doch dieses kleine vergünstigte Vergnügen, um wenigstens ein wenig die miserablen Arbeitsbedingungen kompensieren zu können. Mir ist unter der Kollegschaft niemand dafür bekannt, der sich für unangemessene Lacher und künstlichen Beifall bezahlen ließe.

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    1. Vielen Dank für Ihren Hinweis. Das ist auch gar nicht das Thema , was Sie beschreiben ist fair und angemessen. Der Rechnungshof des Landes hat das BaSta allerdings wegen der Freikartenthematik gerügt (https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/07/ruge-des-rechnungshofes.html). Dies war für das Publikum zu spüren: Im vergangenen Jahrzehnt gab es bei Premieren Freikartenbenutzer, die massiv beim Applaus durch Bravo-Rufe auffielen und versuchten, Pleiten und Mittelmaß künstlich zum Premierenerfolg hochzujubeln. Bis 2011 herrschte bei Angehörigen mit Freikarten Zurückhaltung. Die Stammleser haben dieses unseriös wirkende Selbstbejubelung hier auf diesen Seiten schon öfters diskutiert.

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