Dienstag, 19. Dezember 2023

3. Symphoniekonzert, 18.12.2023

Russische Musik, die zu Beginn klingt, als ob man den Zaren begrüßen wollte, und polnische Musik, die einst die DDR-Diktatur in Schrecken versetzte, bildeten das 3. Symphoniekonzert der Saison, das mit knapp 65 Minuten reiner Spieldauer wieder einmal etwas zu klein dimensioniert, wenn nicht sogar knausrig wirkte. Doch  dafür wurde dem Publikum mit den beiden Gästen -Pianistin und Dirigent- einiges geboten.

Tschaikowsky hat drei Klavierkonzerte komponiert, doch nur das 1. Klavierkonzert b-Moll op. 23 hat sich durchgesetzt. Pompös gleich zu Beginn, nach den grandiosen Akkordblöcken entwickelt sich ein typisches romantisches Klavierkonzert, vorwärtsdrängend und melodiös, mit einprägsamen Themen und virtuosen Kadenzen. Gestern hatte man das Glück, mit Anna Vinnitskaya eine Pianistin zu haben, der es hör- und sichtbar Spaß bereitete, dieses Konzert zu charakterisieren. Zum Glück wurde ihr ein Klavier modernster Bauart zur Verfügung gestellt. Es ist zu bezweifeln, ob ein historisches oder einsturzgefährdetes Modell ihrer vehementen, leidenschaftlichen Interpretation in den Ecksätzen stand gehalten hätte. Der ruhige 2. Satz klang bei Vinnitskaya heiter und schwärmerisch (wie auch später die Zugabe). Der lebhafte Schlußsatz überzeugte mit brillanten Klavierpassagen und orchestraler Leuchtkraft und endete mit einer unverkennbaren Tschaikowsky-typischen Melodie. "Tchaikovsky. Was he the tortured soul who poured out his immortal longings into dignified passages of stately music, or was he just an old poof who wrote tunes?", fragte einst frech Monty Python. Das Publikum war unmittelbar mitgerissen und spendete passend donnernden Applaus und Bravorufe. Man sollte Vinnitskaya unbedingt erneut nach Karlsruhe einladen, dann mit Rachmaninow 2 oder Prokofiew 2 oder 3!

Das Konzert für Orchester von Witold Lutosławski (*1913 †1997) lieferte einst die Erkennungssequenz des ZDF Magazin (1969-1987), das von Gerhard Löwenthal (*1922 †2002) geleitet und moderiert wurde. Löwenthal war als Jude Zwangsarbeiter in einem kriegswichtigen Betrieb, der durch die Rote Armee befreit wurde, und verlor Angehörige im Konzentrationslager. Als Journalist war er als unerbittlicher Gegner rechts- und linksfaschistoider Tendenzen bekannt, insbesondere die DDR-Diktatur stand in seinem Fokus, deren Machenschaften und Menschenrechtsverletzung er regelmäßig thematisierte und damit in den Fokus der Stasi kam, die versuchte, ihn zu diskreditieren. Löwenthal war ästhetisch gebildet, er verwendete einen einprägsamen Ausschnitt des 1954 uraufgeführten Konzerts als geniale Titelmelodie, die heute noch erkennt, wer sie damals hörte (1. Satz, nach ca. 2 Minuten). Der Blick aus der Demokratie auf die Diktatur war durch eine herabstürzende Tonfolge in den Streichern gekennzeichnet, die sich dramatisch verdichtete und im derben sozialistischen Alltag des Mangels, der Bespitzelung und des Bevölkerungsgefängnisses landete, in dem ein (g)rauer Gleichklang alles nivellierte. Viel blieb ansonsten nicht von Lutosławski  in Erinnerung, es scheint, als ob er als One-Hit-Wonder die Zeiten übersteht, denn das Konzert für Orchester ist ein hochspannendes Werk, das an Bartóks Konzert für Orchester erinnert, aber im Gestus ähnlich wie die 5. Symphonien von Schostakowitsch oder Prokofjew die Zuhörer mitreißen kann. Die Paukentöne zu Beginn erinnern unmittelbar an Brahms 1. Symphonie, danach folgt viel rhythmische Energie, Farbwechsel, Ballungen und Ausbrüche. Die Badische Staatskapelle nutze das Stück, um sich  solistisch sowie in den Gruppen virtuos zu präsentieren: Schlagzeuger, Holz- und Blechbläser zeigten sich imposant. BRAVO!

Früher war mehr Musik
Nur zwei Stücke und 65 Minuten Musik? Vielleicht lag es ja an den Kosten für den renommierten Gast-Dirigenten, denn Michael Sanderling, Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling, ist Chefdirigent des Luzerner Symphonieorchesters, wird wahrscheinlich in stabiler Schweizer Währung bezahlt und blickt auf eine eindrucksvolle Karriere. Er wirkte bei beiden Stücken hochmotiviert und doch entspannt - er stand über den Schwierigkeiten der Partitur und dirigierte mit viel Sinn für Spannung. Ein souveräner Auftritt. Bravo!

2 Kommentare:

  1. Das 3. Synfoniekonzert hat am gestrigen Abend wieder mal gezeigt, dass die Badische Staatskapelle das kulturell Beste ist, das die Stadt Karlsruhe zu bieten hat. (- und den Staatstheater-Chor natürlich) Selbst junge Besucher*innen konnten sich für das hochkarätige Konzert begeistern. Kulturell auch mit oben genannter Pianistin und Dirigent ein Highlight im Jahr 2023.
    Traurig nur, dass das Theater als Kunst- und Kulturstätte immer mehr zu verwahrlosen scheint: Dreckige Fußspuren, von rauchenden Gästen nach der Pause vom Baustellendreck ins Haus gebracht, auf Flur und Treppen hoch bis in den Besucherraum im Großen Haus verteilt, waren am Ende der Vorstellung nicht weggewischt und der Dreck am Boden wurde weiter ins Haus getragen. Fußmatten wurden zu Stolperquellen. Auch scheint es für einen immer größer werdenden Teil des Publikums zwischen einem Theaterbesuch und dem Einverleiben einer Currywurst am Imbissstand auf dem Weihnachtsmarkt keinen Unterschied zu geben. Man beharrt lautstark darauf, mit vollen Einkaufstüten, Riesenrucksack, dicker Garderobe und sogar mit nassen, tropfenden Regenschirmen in den ausverkauften Zuschauerraum auf die Plätze zu dürfen und die Nachbarn damit zu bedrängen. Wen’s stört, der soll sich halt wegsetzen… Das Theater verdreckt und verkommt immer mehr und bis auf einige wenige vom Einlasspersonal, die nichts zu sagen haben, scheint für das Haus als Kulturstätte niemand mehr verantwortlich zu sein und keine Vorgesetzten bis zur Theaterleitung nicht zu kümmern.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Der baustellenbedingte Dreck, der vom Außenbalkon nach innen getragen wurde, sollte eine Ausnahme bleiben. Dafür wird wahrscheinlich bald eine Lösung gefunden.
      Irgendwann letzte Spielzeit wurde ich beim Betreten des blauen Pavillons von einer Kartenkontrolleurin des Badischen Staatstheaters verfolgt, weil ich eine Tasche dabei hatte, die ich aber sowieso immer an der Garderobe abgebe.
      Draußen gab es eine 50m lange Schlange, aber meine Tasche ging vor. Inzwischen werden die Karten erst im Haus am Eingang zum Großen Haus kontrolliert und da für das Kleine Haus die alte Garderobe reaktiviert wurde, kommen auch Leute mit Mäntel und Taschen ins Theater und in den Innenraum. Auch Getränke werden nach der Pause inzwischen zu den Sitzplätzen mitgenommen. Man würde das Einlaßpersonal auch in der Pause an den Türen benötigen. Doch gerade das Garderoben- und Einlaßpersonal scheint keine Lobby und keine Unterstützung zu haben. Ob die scheidende Intendanz noch ein Interesse daran hat, das in den Griff zu bekommen, ist fraglich.

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