Die unfreiwillige Komik im Egoelfenbeinturm
Wird nun alles besser? Oder bleibt das Badische Staatstheater ein Klienteltheater? Schauspieldirektorin Anna Bergmann scheint das Machtvakuum nach
Abgang des alten und vor Amtsbeginn des neuen Intendanten ausgenutzt zu haben: "Für die kommenden Monate kündigt sie eine Radikalisierung des Programms
an, weg vom 'Gemischtwarenladen' hin zu Fokussierung auf Themen, die ihr
wichtig sind", verkündet etwas versteckt die Internetseite des Staatstheaters. Doch wie
programmatisch öde, kleinkariert und monoton wirkt es, wenn alles, was Frau Bergmann als Schauspieldirektor verantwortet, sich innerhalb ihres
engen persönlichen Horizonts abspielen sollte? Sie mag es ja toll finden, nicht über ihren
Suppenteller hinausschauen zu müssen und in ihrer eigenen Filterblase zu verbleiben, aber es scheint doch eine
narzißtische Selbstüberschätzung zu
sein, damit gutes "Theater für alle" machen zu wollen. Statt Vielfalt und Abwechslung (oder wie sie es nennt: "Gemischtwarenladen") kündet sie Eintönigkeit und Themenenge durch radikale Einschränkung an. Der neue Intendant sollte ihr bei der Selbsterkenntnis helfen, daß Theater, Bühne
und Künstler nicht Mittel zum Zweck ihrer Ego-Show sind. Die Millionen Euro Steuergelder, die die Schauspieldirektorin zur Verfügung gestellt bekommt, sind für gutes Theater gedacht, nicht um ihre persönlichen Befindlichkeiten und Gesinnungen auszuleben. Es geht darum, daß endlich wieder lebendiges, spannendes Schauspiel gezeigt wird, Applaus gibt es für Qualität, nicht für eine Instrumentalisierung der Bühne zu persönlichen Zwecken. An einem Staatstheater geht es also nicht darum, daß Verantwortliche sich aufspielen und ausleben. Die angekündigte "Radikalisierung des Programms" bedeutet Theater, das dem Publikum den Rücken zudreht.
Mentale Blockaden durch ideologische Verklemmtheit
Wenn es in der Bundesrepublik eine Leitkultur gibt, dann ist es die Mittelmäßigkeit, die ihre Ambition nur noch in der selbstüberzeugten, egoverliebten Spießigkeit sieht. Das vergangene Jahrzehnt am Badischen Staatstheater war oftmals geprägt von diesem Anspruch, sozialidentitäre Moderituale zu üben, sich selber als "politisch korrekt" zu inszenieren, sich eine politisch-moralische Haltungspose anzulegen, um sich wie in einem eitlen Selfie selbst aufzublähen und von seinen Followern unterstützen zu lassen. Als dann noch ein Intendant, der wegen seines toxisch-patriarchalischen Verhaltens später aus dem Theater vertrieben wurde, an das Theater die unantastbare Würde des Menschen pinseln ließ, war es für humorbegabte Zeitgenossen ein Höhepunkt der Heuchelei und Hybris, dessen unfreiwillige Komik nur als Karikatur gelten konnte. Die moralisch gemeinte Ermahnung ans Theaterpublikum prangte am Balkon des Theaterbaus und schaute wie von einer Kanzel auf Theaterbesucher und Passanten hinab. Nur wieso? Wo bitte wird denn die Menschenwürde in Karlsruhe, im Land oder im Bund so mit Füßen getreten, daß sogar ein Theater mahnen muß? War das eine Botschaft an den Publikumspöbel, der gefälligst das Theater als neue Zentrale von Pfaffen, Spießern und Moralaposteln anerkennen sollte? Lag es daran, daß man einen Intendanten hatte, der nicht selber inszenierte und stattdessen als Gutsherr zu agieren schien, dessen Zugang zum Amt wie der
eines Lobbyisten in eigener Sache wirkte, der sich regelmäßig an Mitarbeitern abzureagieren schien? Alles diente vorrangig dem Selbstzweck,
nicht dem Theater? Le théâtre, c'est moi - könnte das Motto dieser Ego-Theaterleute sein, die lieber sich als Werk und Künstler in den Mittelpunkt stellen.
Wer ein Gespür für die falschen Töne hat, die Führungspersonal in Machtpositionen hervorbringen, der konnte oft herzlich lachen über Inszenierungen und Selbstinszenierung am Karlsruher Theater im vergangenen Jahrzehnt und die Schauspieldirektorin scheint diesen Anspruch weiterführen zu wollen, nicht ganz so plump, aber voraussichtlich genauso oberlehrerhaft. Bemerkenswert war hingegen, wie viele Kulturpolitiker und auch Journalisten dieses Gespür für Fehltöne anscheinend verloren haben und von den Vorkommnissen 2020 überrascht wurden.
Das Staatstheater als STAATStheater von oben
Das Badische Staatstheater hat sich im vergangenen Jahrzehnt in verschiedener Hinsicht zum Schlechten entwickelt, als Zuschauer konnte man kaum übersehen, daß das Theater programmatisch und in der Außendarstellung von oben herab, engstirniger und voreingenommener geworden ist. (mehr dazu auch hier). Es ging nicht mehr vorrangig um Publikum und Künstler, sondern auch um die Selbstdarstellung des Intendanten (und nun ggf. der Schauspieldirektorin). Mit seinem Rausschmiss scheint das größte Hindernis beseitigt, aber wird es nun besser? Dr. Ulrich Peters tritt als neuer Intendant sein Amt an, ob und wie er agieren wird und kann, bleibt abzuwarten. Die Schützlinge seines Vorgängers scheinen aber noch an manchen Schalthebeln zu sitzen, denn die neue Internet-Präsentation des Badischen Staatstheaters beinhaltet (noch) manche historisch-ideologischen Bedenklichkeiten, die der demokratischen Mitte den Kampf ansagen. Eine freie Gesellschaft lebt vom Widerspruch, fehlender Widerspruch wird gerne als Zustimmung mißverstanden, deshalb wird hier auch weiterhin der politisch-ideologischen Instrumentalisierung des Theaters widersprochen, ob das nun bspw. das neue alte Selbstverständnis des Theaters (dieser Teil 1), das Gendern der Texte (Teil 2) oder eine verharmlosende DDR-Nostalgie (Teil 3) ist.
Mehr DDR wagen?
Das Staatstheater "versteht sich als Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Kunst und Politik". Als Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Kunst ist ein Theater richtig positioniert. Doch als Schnittstelle zur Politik ist viel mehr Vorsicht angebracht. Schon im vergangenen Jahrzehnt war eine Anbiederung und Instrumentalisierung zu erkennen, bei dem das Führungspersonal das Theater ihrer persönlichen politischen Agenda unterordnete, die durch die zuständige Ministerin gedeckt schien. Gutes Theater kann politisch sein, es kann Fragen stellen, ideologisches Theater gibt Antworten
und belehrt das Publikum. Rückblickend war es oft das Jahrzehnt des
ideologischen AgitProp-Theaters, das ein sehr enges, mit einer Regierungspartei konformes Themenspektrum
hatte. Es ging dabei um den Diskurs der Politeliten und der institutionalisierten
Politik, das Theater spiegelt die Sicht der etablierten Politik, nicht die Probleme, die daraus entstehen. Es ist eine Politiksichtweise von
oben, die Alltagswelt kommt darin kaum vor. Statt umständlich interessante, ungehörte Stimmen zu suchen, folgt man einfach und unkreativ der Agenda bevorzugter Parteien. Was nicht "politisch korrekt" ist, darf anscheinend nicht thematisiert werden oder muß negativ unterlegt sein, Sorgen. Ängste, Widerstände werden nicht berücksichtigt, sondern ignoriert oder in schlechtes Licht gesetzt. Man bleibt ohne Perspektivwechsel in einer engen Sichtweise gefangen. Doch vor allem war eines eklatant: es ging nicht mehr um Qualität! Die Freude am Theaterbesuch kann man nur wecken, indem man begeistert, nicht indem man belehrt. Wenn man nun "ein vielfältiges Programm zu gesellschaftlich relevanten Themen, wie Klima, Nachhaltigkeit, Kapitalismuskritik oder Männer und Frauen auf die Bühne bringen" will, wirkt das wie ein Alibi-Versuch, denn man kann ahnen, wie borniert und voreingenommen es wohl erneut werden wird. Mit Floskeln wie "gesellschaftlich relevante Themen" lügt sich das Theater in die Tasche, man deckt nur ein sehr enges Spektrum in Schwarzweiß ab, Grautöne werden übertüncht. Sich mit Hilfe des Theaters als Moralist aufzuspielen, ist wohlfeile Spießigkeit, politische Qualitätsarbeit ist hingegen harte Kompromißarbeit.
Theater von Spießern für Spießer
Theaterleute
sind keine Journalisten, die sich unvoreingenommen ihren
Fragestellungen stellen müssen (wenn man auch auf der Suche nach
Journalisten inzwischen oft nur noch politische Influencer findet).
Theater sind Orte der Fiktionen, der Phantasie, der Erfindung. Was
politisch eine Lüge sein kann, wird unter dem Deckmantel der
Kunstfreiheit legitim, bleibt aber dennoch die Unwahrheit. Es gab in den letzten Jahren viel zu viel schlecht und einseitig konstruierte Inszenierungen, die den Zweck erfüllen sollten, den Zeigefinger heben zu können; Figuren konnte man oft in zwei Schubladen unterteilen: entweder als positive Identifikationsfigur (oft weiblich) oder als abzuurteilende Negativfiguren (oft männlich). Das Ganze unter den immer gleichen ideologischen Vorzeichen. Theater, das weder Ambivalenz noch Neugierde kennt, sondern schon vorher die Antwort weiß, das sich von oben herab verhält, das sich freiwillig selbst einschränkt und keinen Pluralismus will, ist ein Klienteltheater von Spießern für Spießer, das nicht mehr für Qualität, sondern für politische Posen steht. Wo Theater die Versuchung zur einseitig politisch motivierten Propaganda erliegen, darf die liberale Mitte nicht schweigen. Keine Regierungspartei hat das Theater für seine Themen gepachtet, kein Theaterverantwortlicher darf es in dieser Hinsicht über Gebühr instrumentalisieren - wer diesen Konsens nicht mitträgt, hat eine demokratische Mindestanforderung nicht erfüllt und ist fehl am Platz. Es wird deshalb auch von den autoritären bzw. demokratiefeindlichen Tendenzen im Programm des Badischen Staatstheater in dieser Reihe die Rede sein müssen.