Sonntag, 19. September 2021

Theatertag, 18.09.2021

Ein wenig Aufbruch, ein wenig Neustart und ganz viel Provisorium
Ein neuer Intendant für die nächsten drei Jahre und der Beginn des Umbaus - nicht nur wegen des Corona-Virus befindet man sich in der Baumeisterstraße in einer Übergangsphase, über ein Jahrzehnt der Provisorien steht bevor. Baustellen und Übergänge sind spannend, aber nach außen nicht stetig attraktiv. Es wird eine zentrale Aufgabe werden, nicht den Kontakt zu Abonnenten und Zuschauern zu verlieren und vor allem nach einem sehr ideologisch und intendanzzentriert geprägten, problematischen Jahrzehnt eines wieder strikt in den Mittelpunkt zu stellen: Qualität und Freude. Es braucht Publikumslieblinge und zuverlässige Konstanten, die Besucher gerne zurückkehren lassen, Orchester und Ballett scheinen sehr gut aufgestellt, die Oper muß sich noch ein wenig sortieren und zurück zu alter Stärke finden. Nur das Schauspiel dümpelt uninspiriert und bieder vor sich hin, ob mit Schauspieldirektorin Anna Bergmann die Wende zu Freude, Vielfalt und Abwechslung möglich ist, darf man inzwischen stark bezweifeln. Gestern waren auf und vor der Bühne Erleichterung und Freude angesichts der Wiederaufnahme des Spielbetriebs kaum zu übersehen, Intendant Peters wird dennoch für frischen Wind sorgen müssen.

Neuer Eingang. Neuer Zugang?
Mit Beginn dieser Spielzeit hat das Badische Staatstheater einen 1000qm großen blauen Vorbau und einen neuen Haupteingang, der im hinteren Bereich des Blaubaus über eine lange Rampe oder über Treppen zu erreichen ist. Ein erster guter Eindruck bei Annäherung an den neuen Eingang und zu Beginn der neuen Spielzeit erhält man durch eine Abwesenheit: Der Kanzelspruch am Balkon (mehr auch hier) ist verschwunden, ein neuer Fluchtweg an der Stelle eingerichtet. Die Frage "ist man am Badischen Staatstheater einfach nur historisch unterbelichtet und intellektuell überfordert gewesen oder will man sich zu Extremismus und Gewalt bekennen? (mehr dazu hier) ist hingegen noch nicht beantwortet, der Text besteht weiter.
Der Abriß des alten Kassenfoyers und der darüberliegenden Gastronomie markiert den Start der Erweiterung, Sommer 2022 beginnt der Neubau des Kindertheaters und des Schauspielhauses, die Spielzeit wird deshalb früher enden. 2034 soll das neue Staatstheater fertig werden.
Eintrittskarten erwirbt man nun tagsüber 100 Meter entfernt am Ettlinger Tor im K., dem früheren Infopavillon zur Kombilösung, bzw. abends im neuen Blaubau, der die Garderobe und die Gastronomie beherbergt, die zukünftig ganztags Kaffee servieren kann, im Sommer auch im Freien, der Vorbau direkt vor der Südseite wird als Außenterrasse genutzt.
Der alte Treppenaufgang beim Kleinen Haus wird auch vom Umbau betroffen, ins Schauspielhaus kommt man über einen Durchbruch im Großen Haus, wo früher ein Spiegel hing. Die Einführungen zu Vorstellungen im Großen Haus finden nun bei den früheren Garderoben des Großen Hauses beim Treppenabgang zu den Toiletten statt. Die Toilette im Kleinen Haus ist nicht mehr zugänglich, eine neue gibt es im Blaubau

 Die Corona-Spielzeit 2020/21 mit sehr wenigen Live-Vorstellungen wird man schnell vergessen: "Insgesamt habe das Staatstheater in der Spielzeit 2020/21über 74.500 Zuschauer erreicht – den Großteil davon, nämlich 52.840, bei digitalen Formaten. 20.464 Besucher habe man bei Veranstaltungen im Theater verzeichnet, 1.201 bei Veranstaltungen unter freiem Himmel. Konzert- und Premierenstreams sowie weitere Online-Formate hätten großes Interesse geweckt, so die Mitteilung."
Wie es im Herbst/Winter angesichts der indischen Deltavariante des Virus weitergeht, bleibt abzuwarten.
 
Das Theaterfest wurde gestern nicht als Fest, sondern virusbedingt als Theatertag angekündigt und bot einige Aktivitäten mit limitiertem Zugang. Einige werden weniges besucht haben, der Blogautor gönnte sich das Opernkonzert und die abschließende Eröffnungsshow, die auch live gestreamt wurde. Intendant Ulrichs trat in der letzten Vorstellung kurz auf, dankte und sagte nichts Wesentliches. Für ihn gibt es viele Baustellen zu konsolidieren. 

Vor allem das Wiederhören mit vielen Opernsängern bot große Momente. Im Opernkonzert eröffnete der Herrenchor, in der Eröffnungsshow war es der Damenchor. Viele Sänger nutzen die Chance, sich mit markanten Arien auf hohem Niveau zu präsentieren: Uliana Alexyuk (Lauretta / Gianni Schicchi), Seung-Gi Jung (Posa / Don Carlo), Konstantin Gorny (Banquo / Macbeth), Nutthaporn Thammathi (Gounods Roméo), Alexandra Kadurina (aus Chabriers L'Étoile), Nathanaël Tavernier (Giovanni da Procida / Les vêpres siciliennes), Ina Schlingensiepen (Gräfin Mariza). Das Highlight zu Schluß des Opernkonzerts: Jennifer Feinstein sang Vanilla Ice Cream aus Jerry Bocks Musical She loves me. Ehemann Nicholas Brownlee saß im Publikum. In der Eröffnungsshow sangen Ina Schlingensiepen und Klaus Schneider (Gräfin Mariza), Armin Kolarczyk (Malatesta / Don Pasquale) sowie im komischen Finale Dilara Baştar, Eleazar Rodriguez und Tomohiro Takada (Terzett aus Barbier von Sevilla).  Der Blogautor mag es nicht verheimlichen: die Freude angesichts so guter Sänger wirkte nachhaltig und beglückend.

Ansonsten: sympathische Tänzer im Ballett und ein wenig Schauspiel. Das Volkstheater wirkte diesmal nicht so dilettantisch wie in den Jahren zuvor, dennoch bleibt es Geldverschwendung. Ein Volkshochschulkurs in Zusammenarbeit dem dem Staatstheater und kleineren Spielstätten wäre die günstigere und angemessene Variante. Das Kindertheater ist noch immer darauf angewiesen, Schüler als Quasizwangsbesucher mit Prüfungsstoff auf der Bühne zu quälen (konkret: Seethalers Traffikant und Juli Zehs Corpus Delicti). Hätte der Verfasser dieser Zeilen Theater nur als Zwang  und als Ergänzung zum Schulstoff des Deutschunterrichts kennengelernt, wäre er wohl kaum Theaterfan geworden.

1 Kommentar:

  1. @GP: Vielen Dank für den Hinweis. Einen Buchstabendreher habe ich gefunden und korrigiert.

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