Donnerstag, 2. September 2021

Das instrumentalisierte und ideologisierte Theater (2)

Gender-Clown*innen, Genderpfaffen*innen und Gender-Taliban*innen sind als Mensch*innen oft ideologische Betonköpf*innen, die Sündenböck*innen suchen
Eine Abschweifung am Anfang: Humor ist eine Tür zur Gedankenfreiheit, Gendern (im Folgenden: Dschendern) kann viel Spaß machen, wenn man die Lächerlichkeit daran auskostet. Es gibt viele Identitätsschubladen, die nicht zur gedschenderten Sprache kommen; nur zwei Kategorien sollen immer genannt werden, die Genitalien werden zur wichtigsten Unterscheidungskategorie, männlich und weiblich sollen gesondert ausgewiesen werden - das birgt Komik. Das wäre doch ein amüsanter Karikaturwettbewerb, bei dem Gewinner wird, dessen gedschenderte Geschichte am bescheuertsten klingt.
Doch zurück: viele staatliche Institutionen dschendern, obwohl es orthographisch nicht korrekt ist, eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger das Dschendern ablehnt und sprachliche Rücksichtnahme auch ohne Sternchenverhunzung möglich ist. Wie konnte es so weit kommen, daß man -auch am Theater- undemokratisch, von oben herab versucht, Sprache zu manipulieren?

Maßnahme ohne Mehrheit
Die ideologische Vereinnahmung und Instrumentalisierung des Theaters zeigt sich auch bei bei diesem Thema (mehr auch hier). DIE ZEIT berichtete dieses Jahr, daß nur 14 Prozent des Bundesbürger ein klares Ja zu dschendergerechter Sprache geben, die FAZ konkretisierte: "Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, an Hochschulen, in der Verwaltung wird inzwischen gegendert. Auch zwangsweise. Was halten die Menschen davon? Das Ergebnis einer Umfrage ist eindeutig", 65% der Bevölkerung "halten nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter ... Im vergangenen Jahr lag die Ablehnung noch bei 56 Prozent". Sowohl Frauen und Männer sind mehrheitlich dagegen. Die Ablehnung ist gestiegen und parteiübergreifend: Selbst bei den Anhängern der Grünen stellt sich demnach eine knappe Mehrheit gegen die Gendersprache;  Bei den Anhängern aller anderen Parteien überwiegt der Umfrage zufolge die Kritik".

Demokratisch legitimiert ist Dschendern also nicht, es ist vielmehr eine Maßnahme, die als vermeintlich moralischer Wertbeitrag von oben nach unten durchgesetzt werden soll. Der manchmal als  "Kronjurist des Dritten Reiches" bezeichnete Carl  Schmitt ist der Stichwortgeber der politischen Moral- und Wertediskussion: "Wer Wert sagt, will geltend machen und durchsetzen. Tugenden übt man aus; Normen wendet man an; Befehle werden vollzogen; aber Werte werden gesetzt und durchgesetzt. Wer ihre Geltung behauptet, muß sie geltend machen. Wer sagt, daß sie gelten, ohne daß ein Mensch sie geltend macht, will betrügen.

Glaubenslehre für den Kulturkampf
Eine autoritärer werdende Politik will ihre Vorstellungen geltend machen und die von ihr finanzierten Institutionen faseln unter Verwendung dubioser Argumente zur Rechtfertigung von moralisch vermeintlich gefühlter Dschendergerechtigkeit. Doch damit ist es nicht weit her. Es gibt genug Länder, in denen seit jeher geschlechtsneutral gesprochen und geschrieben wird (z.B. Ungarn oder die Türkei - nirgendwo sollte es also dschendergerechter  zugehen als dort) und die dennoch keine vorteilhaftere Entwicklung genommen haben. Die dem Dschendern unterstellte Gerechtigkeit stellt sich nicht ein. Wieso auch? Eine Gesinnungsbezeugung führt nicht zu guten Handlungsfolgen. Dschendern ist keine geeignete Maßnahme, sie stellt keinen Beitrag zu einer rationalen Lösung eines Problems dar, sondern ist nur symbolische Selbstdarstellung, die zur Ab-und Ausgrenzung dient. Wer nicht konform geht, dem kann schnell ein vermeintlich falsches Bewußtsein unterstellt werden. Hinter dem Kulturkampf um eine gesäuberte Sprache versteckt sich ein anderes Phänomen. Dschendern ist Bestandteil einer säkularen Glaubenslehre einer moralistisch gefärbten Politik, die mittels moralischem Framing ein Gut-Böse-Schema zu etablieren versucht, dem sich Bürger unterordnen sollen. Politisch ist die Durchsetzung einer neuen Herrschaftssprache ein Schritt zur autoritären Demokratie, bei der Entscheidungsprozesse in eine Sphäre jenseits demokratischer Institutionen verlagert sind und willkürlich vollzogen werden.

Sprachsäuberung ist also kein probates Mittel, sondern reine Machtsymbolik. Insbesondere auch, weil eine überragende Mehrheit der Bundesbürger liberal-tolerant ist und keine symbolischen Zwänge als Umerziehungsmaßnahmen benötigt. Es geht bei der Sprachmanipulation von oben nur um Macht (die bereits zu Zwang und Kontrolle führt) und um die Partikularinteressen einer Minderheit. Wo dann noch der Koch zu einem Kochenden, der Trinker zu einem Trinkenden und der Säugling zu einem Gesäugten wird, muß man zwar lachen, das demokratiefeindliche Potential dahinter sollte mehr Sorgen bereiten. DIE ZEIT schreibt zum übergeordneten Phänomen der Identitätspolitik: "Eine neue Ideologie breitet sich in Deutschland aus. Sie teilt die Gesellschaft künstlich in feindliche Lager ein. Dieser Irrsinn muß gestoppt werden."
 
George Orwell hat in seinem Roman 1984 nicht nur mit dem "Big Brother" die digitale Bürgerüberwachung vorweg genommen, sondern auch die Mechanismen beschrieben, mit denen autoritäre Staaten  "Gedankenverbrechen" definieren, indem sie die Sprache manipulieren. "Neusprech" als Amts- und Herrschaftssprache der Diktatur dient dem "Ministerium für Wahrheit" und der "Gedankenpolizei" zur "Wirklichkeitskontrolle". Aktuelles Beispiel: die Kanzlerkandidatin der Grünen verwendete das Wort Neger, um Rassismus zu beschreiben. Doch allein das Aussprechen des Worts Neger aktivierte in ihrer eigenen Partei die Gedankenpolizei, die ihr nun selber Rassismus vorwarf. Die Inquisitoren der Berliner Grünen hatte zuvor ihre Bürgermeister-Kandidatin Bettina Jarasch zensiert, weil sie in ihrer Rede beim Landesparteitag erzählt hatte, daß sie als Kind gern Indianerhäuptling*in werden wollte. Beide Politikerinnen unterwarfen sich einem Bußritual, das der ZEIT Korrespondent und Literaturkritiker Ijoma Mangold -selber aus schlesisch-nigerianischer Abstammung- kritisierte: "Wenn ich eine solche Szene sehe, habe ich nicht das Gefühl, daß ich hier an lebendig empfundenem Anti-Rassismus teilnehme, sondern an einem sozialen Ritual, das die Gruppen-Identität ... unterstreichen soll". Diese "Sprachhygienen" für vermeintliche Gerechtigkeit und Korrektheit mittels Geboten und Verboten wirken bei aufmerksamen Zeitgenossen wie die herauf dämmernde Schreckensherrschaft eines neuen Jakobinertums, gegen die aktuell nicht konsequent vorgegangen wird. Sie sind auch eine Ursache des Verlusts an politischen Vertrauens, Wokeness und Moralismus fördern die Spaltung der Gesellschaft:  "Nach dem Eindruck vieler Deutscher ist es um die Meinungsfreiheit derzeit so schlecht bestellt wie nie zuvor in der Bundesrepublik: Etwas weniger als die Hälfte glauben, man könne seine politische Meinung noch frei äußern", schreibt die FAZ vor wenigen Wochen anläßlich einer Allensbachumfrage.

Die Geschichte autoritärer Länder zeigt, daß man dort politisch Andersdenkende zum Schweigen brachte, indem man sie einschüchterte und Abweichlern Stempel aufdrückte. Nur Konformismus und Schweigen halfen gegen Stigmatisierung. Dschendern als Unterscheidungsmerkmal ist ein solcher Stempel, der in Form eines Gesinnungszwangs von oben eingeführt wird. "Niemand hat die Absicht. eine Mauer zu errichten", sagte einst DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht vor dem Bau der Mauer. Und auch Dschendern wird zum Diskriminierungsmerkmal werden, das mit Zwang durchgesetzt werden soll, falls sich die Mitte nicht gegen den autoritären Rand stemmt.

Wird das Badische Staatstheater vom grünen Ministerium gezwungen, gegen die Mehrheit zu agieren und zu dschendern? Oder kann der Intendant frei entscheiden, ob gedschendert wird oder nicht? Wo sich die autoritären Abgründe verstecken, bleibt dem Zuschauer vorerst unklar. Solange das Theater instrumentalisiert wird, um ideologische Propaganda zu verbreiten, ist es gerade kein Theater für alle, sondern ein Theater von oben. Insbesondere Schauspieldirektorin Anna Bergmann erweist sich bei der Ideologisierung aktuell als ein Hauptproblem des Badischen Staatstheaters (dazu dann Teil 3). Das Theater muß wieder lernen, Fragen zu stellen und sich selber zu hinterfragen, statt die Bühne für ein neues Pfaffentum zu instrumentalisieren.

Der Staat legt seine Samthandschuhe ab, heißt das aktuelle Buch von Peter Sloterdijk. Die Bundesrepublik wird autoritärer, manchen mag das leider gefallen. Privat hingegen kann jeder schreiben, wie er will und hat keine weitere Verantwortung, wohlgemerkt geht es hier bei dieser Kritik um den Besserwisserschreiber von oben, es geht um die tatsächlichen Mittel, die verwendet und durchgesetzt werden sollen, nicht um den behaupteten Zweck.