Sonntag, 15. September 2019

Maier - Mein Jahr ohne Udo Jürgens, 14.09.2019

Wer schwärmt, bleibt jung im Herzen
Dieser Abend war überfällig. Nicht wegen Udo Jürgens, sondern wegen Gunnar Schmidt, der endlich die große Solo-Rolle gefunden und bekommen hat. Der Udo Jürgens-Abend ist ihm auf den Leib geschneidert, doch leider läßt ihn der Regisseur mit einer manchmal fast bieder wirkenden Inszenierung im Stich, bei der der ganz große Spannungsbogen nicht entstehen will und der am Ende die Luft ausgeht.

Ein anderer Nekrolog

Jeder Jahresrückblick beinhaltet auch Todeslisten. Persönlichkeiten im Licht der Öffentlichkeit hinterlassen mit ihrem Tod Lücken bei Menschen, die sie nie kennen gelernt haben. Es gibt Prominente, die Jahre eines Lebens von wildfremden Menschen mitprägen und denen man dankbar ist für ihr künstlerisches Werk, mit dem sie befreiend und inspirierend wirken. Solche Freischaufler verhelfen ihren Bewunderern zu einer vermeintlichen Eigentlichkeit in der Uneigentlichkeit des Alltags, ein Jahr ohne manche Prominente ist bei genauer Betrachtung allerdings nicht viel anderes als ein weiteres Jahr mit ihnen. Sich mit dem Wirken von Idolen künstlerisch auseinander zu setzen, ist eine hoch individuelle Sichtweise, die weniger über die prominente Persönlichkeit und viel über den verrät, der bewundert. Jeder könnte nach einem Prominententod seine persönliche Hommage als authentische Darstellung der eigenen Faszination für einen Menschen verfassen (z.B. Mein Jahr ohne Leonard Bernstein (†1990), Mein Jahr ohne Sergiu Celibidache (†1996), um zwei Beispiele für radikale Emotionalität zu nennen, s.u.). Autor Andreas Maier verfaßte für Suhrkamp eine Kolumne unter dem Titel Mein Jahr ohne Udo Jürgens. Der Autor gibt zu: "meine faktisch - biografischer Wissensstand über Udo Jürgens tendiert allerdings gegen Null".
Maier schrieb über seinen Ansatz zur Annäherung an das Phänomen Udo Jürgens: "Was Udo Jürgens ist, war, wie er wirkte und als was er (und für was er) dasteht, das können wir nur in uns wiederfinden, den Lesern dieser Erzählung Udo Jürgens. Oder hermeneutisch besser gesagt: wir müssen diese Erzählung erst konstruieren. Wir müssen über Udo Jürgens ins Erzählen kommen, um ihn zur Erzählung zu machen. Und in jeder Erzählung stecken wir drin. Es geht also immer auch um uns."). Maier erzählt also von sich. Ob seine inzwischen als Buch erschienen Kolumnen wirklich lesenswert sind, sei dahingestellt. Manch einer mag schiefe, unprägnante Vergleiche anmerken oder Metaphern, die zu konstruiert sind, um originell zu sein. Es sind Erinnerungen von begrenztem Reiz, mit mehr oder weniger Belang, eine zu lang geratene Hommage, die relativ wenig erklärt. Statt über Udo Jürgens erfährt man viel über die Familie des Autors, seine hessische Heimat und Frankfurt, Raumschiff Enterprise und Mister Spock. Eine Kolumne in der man alles mögliche erfährt, nur leider kaum etwas Interessantes über Udo Jürgens. Der Autor entdeckte Jürgens erst spät für sich, knapp vier Jahre vor dessen Tod. Er fand in ihm eine "radikale Emotionalität", "ganz großes Kino". Eine These, die der Autor nicht überzeugend zu belegen mag, doch als Meßlatte für die Bühnenfassung war sie die größte Herausforderung an die Inszenierung. Der Regisseur konnte diese Aufgabe in Ansätzen gut lösen, dem radikal Emotionalen an Udo Jürgens Schaffen kommt er nicht auf  die Schliche, der große Wurf gelingt ihm ebenso wenig wie dem Autor. Diese Chance bleibt einem anderen Theater vorbehalten.

Phänomen Udo Jürgens
Wer war dieser Udo Jürgens? Nicht bloß ein Schlagerstar, sondern auch ein Chansonnier, ein Liedinterpret, der etwas zu erzählen hatte und -das ist das Besondere an ihm- oft eine ungewöhnliche Authentizität und Unmittelbarkeit erreichte, die all jenen auffallen kann, die den Kitsch und das Vordergründige des Schlagergeschäfts ablehnen. Die  Karriere hatte Vorfahrt, die Familie nicht. Hochs und Tiefs, Geliebte, Affären, Eskapaden, außerordentlich erfolgreich (über 100 Millionen verkaufte Tonträger sollen es sein) und untreu - das ist das Bild, das viele von Jürgens haben. Ein erfolgreiches Künstlerleben bis zuletzt. Und wenn Udo Jürgens nicht gestorben wäre, würde er wahrscheinlich heute noch Konzerte geben. Als Achtzigjähriger tat er das noch kurz vor seinem Tod. Wofür stand aber Udo Jürgens? Was genau war denn seine Marke? Sie ist schwer zu definieren, eine Kombination von Kategorien, die in keine Schublade paßt, ein "Elder Statesman der Unterhaltungsindustrie", der sich weder verweigerte noch aufdrängte. Seine Musik hatte keine Abgründigkeit, keinerlei Angesagtsein, sie ist nicht cool, nicht hip, nicht modern. Wie wird man zum Fan von Udo Jürgens? In einer Zeit, wo viele zu Kuratoren ihres Lebens werden,  gibt Geschmack auch Auskunft. Doch wofür steht Udo Jürgens? Was macht ihn aus? Jürgens hat keine prominenten Fans, inspirierte keine stilbildende Subkultur, die Zuschauer seiner Konzerte haben kaum erkennbare Gemeinsamkeiten, außer daß sie visuell nicht auffallen. Es scheint eher ein Makel zu sein, den man verschweigt, eine musikalische Liebe, die man nicht erklären kann und die auf kein Verständnis trifft.

Was ist zu sehen (1)?
Regisseur Patrick Wengenroth hat in den letzten Jahren bereits in Karlsruhe gearbeitet, seine Inszenierungen von Textmontagen ähneln sich in ihrer grundlegenden Problemlage. Wie ein Hobbykoch scheint er nach  Rezeptbuch zu kochen, selbst wenn nicht alle Zutaten vorhanden sind, variiert er nicht individuell, sondern gestaltet seinen Einheitsbrei: etwas Humor, etwas Verfremdung, etwas Unterhaltung, etwas Zeigefinger. Das wirkte gestern routiniert montiert und unoriginell kombiniert. Wengenroth muß Maiers kopflastigen Text stark kürzen, um ihn auf die Bühne bringen zu können. Das geschieht am Anfang gut, der Einstieg ist leicht, man umkreist das Phänomen Udo Jürgens, nähert sich gelegentlich, ohne ihm nahe zu kommen, doch ein etwas schaler Humor irritiert, die Erzählung über Jürgens kommt gegen Ende in Stocken, der Druck fällt ab. Das Jahr ohne Udo Jürgens hätte ein Publikumsmagnet werden müssen, eine Stück, das man am liebsten mehrfach sehen will, denn radikale Emotionalität bewegt sich von Höhepunkt zu Höhepunkt und elektrisiert die Zuschauer. Diese fehlende radikale Emotionalität ist das größte Defizit dieser Inszenierung. Wer sich ein zweites Mal Eintrittskarten besorgt, wird dies wegen Gunnar Schmidt alleine tun und trotz der plätschernden Bühnenfassung, die kaum auf Touren kommt.

Was ist zu sehen (2)?
Gunnar Schmidt reflektiert über Udo Jürgens (*1934 †2014) und zeigt seine Paraderolle: als Conférencier moderiert er zwischen Publikum und Stück, er spielt und singt, er ulkt und verkleidet sich als Frau (die schwächste Passagen, dramaturgisch gewollt, aber nicht gekonnt). Die Liederauswahl ist diskutabel, einige Neben- oder auch schwächere Werke ohne Reiz, wenige Ohrwürmer (z.B. Siebzehn Jahr', blondes Haar)Mercie, Chérie, mit dem Jürgens 1966 den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson gewann, wird als zentrales Lied ausführlich und mit viel Körpereinsatz erklärt. Bravourös gelingt es Schmidt, daß man im Publikum gerne noch mehr haben will, mehr (gute) Lieder, mehr Reflektion über diese Lieder. Bravo!

Fazit: Trotz eines groß auftrumpfenden Gunnar Schmidt läuft aufgrund einer mäßigen Inszenierung der Udo-Jürgens Abend nicht rund. Da hätte man viel mehr daraus machen müssen

Besetzung und Team
Schauspieler: Gunnar Schmidt

Regie & Bühne: Patrick Wengenroth
Musikalische Leitung / Piano: Matze Kloppe
Kostüme: Friederike Hildenbrand