Dienstag, 16. Mai 2017

6. Symphoniekonzert, 15.05.2017

Ein Konzert mit Rachmaninows monumentalen 3. Klavierkonzert verspricht immer ein Höhepunkt der Saison zu werden und wenn wie gestern der Pianist nach einem kräftezehrenden Konzert auch noch drei große Zugaben gibt, dann hat man wirklich einen außergewöhnlichen Abend erlebt.
 
Das Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30 von Sergej Rachmaninow ist für jeden Virtuosen eine Gipfelbesteigung im Himalaya mit exzessiven Herausforderungen und Gefahren. Das 1909 uraufgeführte Konzert ist der großartige Abschluß der Epoche des romantischen Klavierkonzerts, das zwar den Pianisten in den Mittelpunkt stellt, dessen Virtuosität aber im Dienst des Gesamtausdrucks steht. Ein Konzert, das nicht einzelne Passagen aneinander reiht, sondern den großen Bogen spannt und alles verbindet, eine aufregende Reise als gesamterlebtes großes Abenteuer und dazu eines der qualitativ und quantitativ fordernsten Konzerte überhaupt. Der Pianist Alexei Volodin (der ursprünglich angekündigte Boris Berezovsky mußte absagen) war gestern die Hauptfigur in dieser Reise, die die Zuschauer nicht enttäuschte. Volodins Spiel zeigte Kanten, in den beiden ersten Sätzen betonte er öfters das Vertikale gegenüber dem Horizontalen mit dem Ergebnis, daß er nie in Melancholie schwelgte und schon gar nicht ins Sentimentale abglitt oder zahm klang, sein Ansatz wirkte impulsiv mit durchaus spröden und unruhigen Gesten. Volodins Spiel war atemberaubend, dynamisch mit Steigerungen, Ballungen  und Notentrommelfeuern, nach dem Schlußakkord löste sich die Spannung im Publikum durch frenetischen Applaus und Bravos. Und als ob das alles nichts gewesen wäre, spielte der Pianist noch drei große Zugaben. Eine künstlerische Souveränität, die belohnt gehört - alle Zuschauer sollten sich eine Einspielung von Alexei Volodin kaufen und ihn unterstützen. Denn Mittelmaß gibt es genug in der Welt, es kommt darauf an, das Besondere und Vorzügliche zu fördern!

Als Rachmaninows „Elefantenkonzert“ zuletzt in Karlsruhe erklang, legte es der damalige GMD Kazushi Ono ans Ende des Konzerts und spielte es nach der Pause, denn was kann nach diesem gigantischen Klavierkonzert noch folgen? Darunter litt auch ein wenig das gestrige Konzert, denn nach der Pause war die Spannung ein wenig weg. Die aufwändig instrumentierten Lieder aus Des Knaben Wunderhorn von Gustav Mahler gehören zu den bekanntesten und beliebtesten Liedersammlungen, schade, daß man gestern nur zwei der zwölf Lieder hören konnte, die beide vordergründig militärischen Inhalt haben, aber tatsächlich existentiell sind, vom Preisgegebensein handeln, unabänderliche äußere Zwänge dienen als Folie für Lebenskonstrukte, der Tod setzt stets den Schlußstein. Das achtstrophige "Revelge“ ist makaber und grausam, Seung-Gi Jung betonte das Unerbittliche. Das sechsstrophige „Wo die schönen Trompeten blasen“ sang Dilara Baştar mit wunderschönen Pianissimo-Tönen, der Kontrast aus Liebeslied mit Todesahnung, Marschmusik und Verklärung machte Lust auf mehr.

Die offizielle Sowjetunion erwartete von ihrem renommierten Komponisten Dmitri Schostakowitsch 1945 eine neunte Symphonie als Aussage, eine heroische Hymne an die UdSSR und Stalin, eine sozialistische Beethovenübertrumpfung. Doch Schostakowitsch war zu sehr Zeitgenosse als daß er das Leben im real existierenden Kommunismus als Grundlage einer Jubelsymphonie verarbeiten konnte. Er unterlief die Erwartungen an die Neunte, seine Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 wurde ein Rätsel -
eine kleine, humorvolle Verulkung, eine Parodie auf den Willen zur Macht in den Ecksätzen, doch es brodelte unter der Oberfläche dazwischen, etwas Unheilvolles lag in der Luft. Bei Justin Brown wurde die Symphonie nie blökend oder clownesque, es gelang vielmehr, sie als direkten Vorläufer der großen 10. Symphonie zu musizieren.
Die Badische Staatskapelle unter Justin Brown zeigte viel Spielfreude und Engagement bei diesem ungewöhnlichen und spannenden Konzertabend.