Begeisterter Applaus und Bravo-Rufe bekamen gestern der texanische Dirigent Robert Trevino und eine hochmotivierte Badische Staatskapelle für eines der elektrisierendsten Konzerte seit langem!
Maurice Ravel (1875-1937) komponierte die Valses nobles et sentimentales in Zeitgenossenschaft zu Strawinskys Sacre du Printemps, das gerade im Ballett so fulminant zu erleben ist. Ravel orchestrierte die für Klavier geschriebenen Tänze als Auftragswerk fürs Ballett, auch an seiner Musik schieden sich die Geister des Publikums. Zu hören sind acht Sätze, farbig und abwechslungsreich vertont, mit Rhythmen und Harmonien, die heute niemanden mehr befremden sollten. Ketzerischer Gedanke dabei: ist Ravel vielleicht doch einfach nur der Komponist des Bolero?
Es folgte die Uraufführung von On A Long Strand. Musik für Violoncello und Orchester des 1979 geborenen Komponisten Anno Schreier, der sich in Irland von Natur und Poesie (konkret: vom Gedicht North von Seamus Heaney) inspiriert haben lassen soll. Die drei Sätze lauten I. On A Long Strand, II. Intermezzo, III. Reeling And Tumbling - Naturschilderung hört man allerdings keine oder kaum und nur mit viel Vorstellungskraft, es handelt sich auch nicht um Filmmusik und schon gar nicht um spröde und mathematisch konzipierte Geräuschkulisse. Das Besondere an der gestrigen Uraufführung war, daß man vollwertige Konzertmusik mit sinnhaften Spannungsbögen zu hören bekam, ein unmittelbar spannendes Cellokonzert mit vielfältigem Ausdruck und schönen Kontrasten, z.B. Harfe und Cello im 1. Satz oder Flöte und Cello im 2. Satz. Der junge Cellist Julian Steckel spielte engagiert und leidenschaftlich, ihm gelang, daß man den Eindruck gewann, ein zeitgenössisches Konzert zum Wiederhörenwollen zu erleben (wie bereits letzte Spielzeit bei Thomas Larchers Konzert für Violine, Violoncello und Orchester). Jubel und Bravos für diese Uraufführung waren hochverdient. Hoffentlich folgt irgendwann ein Konzertmitschnitt oder eine CD-Aufnahme. Den Komponisten Anno Schreier sollte man im Auge behalten.
Nach der Pause folgte einer der großen Schwung- und Stimmungsmacher der Konzertbühne, die Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64 von Peter Tschaikowsky und hier geschah nur ebenfalls etwas Bemerkenswertes - Dirigent Robert Trevino bewies, über welch hohen Gestaltungswillen er verfügt. Jede Geste stimmte, nie wurde gleichgültig oder ideenlos musiziert, sondern mit höchsten Nachdruck, stets durchdacht und in makelloser Formgebung - das Ergebnis war aufregender, elektrisierender Tschaikowsky mit hoher Klangkultur. Wie Trevino dem Jubel des Schlußsatzes eine Portion Schicksalstrotz beimischte und eine weitere Dimension eröffnete war herausragend! BRAVO! auch an die Badische Staatskapelle und diesmal auch namentlich an Tamar Romach (Flöte), Lydia Pantzier (Fagott), Dominik Zinsstag (Horn), Daniel Bollinger (Klarinette) und Stephan Ruitz (Oboe) für wunderbare Töne. Und ein Extra-BRAVO an den Dirigenten Robert Trevino, der das Orchester zu einer beglückenden Meisterleistung animierte.
Ist Trevino schon der erste Kandidat für die Brown-Nachfolge?
Bis zum Ende der Spielzeit 2017/2018 wird Justin Brown noch als Generalmusikdirektor in Karlsruhe bleiben. Die Suche nach seinem Nachfolger soll begonnen haben und wenn wie gestern ein Gastdirigent engagiert ist, lohnt es sich genauer hinzusehen und -hören. Wer Browns Nachfolger bestimmen wird, ist noch unklar. Aktuell vernimmt man, daß nach den geplanten neuen Regeln für das in einen Landesbetrieb umgewandelte Staatstheater der Generalintendant Spuhler letztendlich alleine entscheidet, wer ihm genehm ist. Doch ob das so kommen wird? Es wird sich vermutlich Widerstand regen, falls auf eine ordentliche Findungskommission verzichtet werden würde. Trevino schien gestern ein erster Kandidat (aber er hat wohl kaum Opern-Erfahrung?), den man im Auge behalten könnte.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.