Sonntag, 17. Februar 2013

Händel - The Triumph of Time and Truth / Barry - The Triumph of Beauty and Deceit, 16.02.2013

Endlich wieder Händel Festspiele! Für das Badische Staatstheater ist die Premiere der wahrscheinlich Prestige- und Presse-reichste Tag des Jahres. Zu keinem anderen Termin hat mal für gewöhnlich so starke überregionale Aufmerksamkeit und nationale und internationale Gäste. In über 35 Jahren Kontinuität hat sich Karlsruhe als bedeutende Festivalstadt für Barockmusik etabliert. Dieses Jahr hat man viele englischsprachige Besucher und der irische Komponist Gerald Barry, dessen Oper gestern aufgeführt wurde, war zu Gast. Deshalb kann man nur mit Unverständnis darauf reagieren, daß die Gewerkschaft ver.di den Samstag bestreiken ließ. Die Bühnenarbeiter legten für die gestrigen Premieren im Kinder- und Musiktheater die Arbeit nieder. Die Premiere der Händelfestspiele musste also konzertant, in Kostümen und ansatzweise gespielt, aber ohne Bühne und Beleuchtung stattfinden. Streiks sind zweifellos wichtige und angemessene Instrumente im Arbeitskampf, aber wieso sabotiert man ausgerechnet einen für die künstlerische Bedeutung und Ausstrahlung des Staatstheater so wichtigen Tag mit so vielen anreisenden  Besuchern? Mit Carmen, Zauberflöte, Schwanensee, ... gibt es andere, ständig ausverkaufte Vorstellungen, die für einen Warnstreik ideal geeignet sind. Die möglichen Motive sind wenig schmeichelhaft für ver.di. Man kann alte Klischees bedienen und vermuten, daß diese Entscheidung aus allzu leichtfertiger Ignoranz fiel oder am Samstagabend alkoholisierte Provinzgewerkschaftler den wirkungsstärksten Coup ihrer Funktionärsgeschichte gefeiert haben. Es könnte aber auch sein, daß man von Gewerkschaftsseite rücksichtslos seine Macht benutzte, um persönliche Rechnungen zu begleichen und um es irgendjemand heimzuzahlen. Die Theaterbetriebsgruppe von ver.di entschied sich mit dem gestrigen Warnstreik für ein destruktives und feindseliges Signal, das größtmöglichen Kollateralschaden anrichten sollte.
   
Händelfestspiele 2013
Nun aber: Endlich wieder Händel Festspiele! Die Besucher schüttelten über ver.di den Kopf, ließen sich aber durch die gewerkschaftliche Negativität nicht die Freude nehmen. Die diesjährige Neuproduktion ist englisch: ein in englisch gesungenes Händel-Oratorium, ergänzt durch eine zeitgenössische englische Oper, von englischsprachigen Gastsängern und einem englischen Dirigenten aufgeführt und inszeniert von einem englischen Team.

Was wird aufgeführt?
Keine der italienischen Opern Händels (*1686 †1759), sondern mal wieder ein Oratorium aus seiner Spätzeit, sogar aus einer sehr späten Zeit, denn The Triumph of Time and Truth ist Händels letztes Oratorium und wurde 1757 erstmals gespielt. Doch das Oratorium ist kein neues Werk, sondern eine Verarbeitung eines früheren Händel Werks. 1707 komponierte Händel in Rom das Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno (war 2007 in Karlsruhe zu hören), das er 1737 nach einer Umbearbeitung in London als  Il trionfo del Tempo e della Verità (war 1999 in Karlsruhe zu hören) und noch mal 20 Jahre später nach einer englischen Übersetzung und weiteren Umarbeitung als The Triumph of Time and Truth restverwertete und nun die Karlsruher Reihe komplettiert. Um es für die Bühne inszenieren zu können, wurde das Oratorium gekürzt und dauert ca 90 Minuten.

Die Oper The Triumph of Beauty and Deceit des irischen Komponisten Gerald Barry (*1952) wurde 1991 uraufgeführt. Barry war vor der gestrigen Premiere der große Unbekannte - fast niemand dürfte bisher von ihm gehört oder etwas gehört haben. Aus gutem Grund - man kann seine Musik in jedem Fall als sehr gewöhnungsbedürftig bezeichnen: sie wirkt sehr gehetzt und gedrängt, dabei aber in ihrem Ausdruck überwiegend eintönig und schrill-hysterisch: ein akustischer Migräneanfall. Auffällig ist bei ihm auch die Behandlung der Singstimme. Im Programmheft warnt das Badische Staatstheater bereits vorab: "Außerdem schert sich Barry nur wenig um die verkrusteten Konventionen, innerhalb derer Menschen auf der Opernbühne ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen pflegen. Denn würden diese Konventionen gelten, müssten Barrys Figuren als ernstlich wahnsinnig erscheinen, da sie sich in Gesangslinien entäußern, die durch alle Register rasen, an den falschen Stellen abbrechen (will heißen: der jeweiligen Textphrasierung widersprechen) und sich überdies häufig wiederholen, wie gefangen in manischer Konfusion. …. Seine Charaktere benehmen sich nicht angemessen, indem sie ihre Emotionen ausdrücken; sie gehen weiter, bis hin zu grotesker Übertreibung. Oder sie bleiben zurück und verharren in Stille."
Es gibt immer wieder Phasen, wo man Barrys Musik durchaus einen gewissen Reiz abgewinnen kann, aber in der Summe wirkt sie wie ein Klischee über moderne Musik. Immer wieder verließen Besucher in den knapp 50 Minuten Aufführungsdauer den Saal, weil sie es nicht mehr ertragen konnten. Gerade auch nach der melodiösen und ruhigen Barockmusik, wirkt die Kombination mit der unruhigen Musik Barrys umso harscher und gewöhnungsbedürftiger für die Zuschauer.

Worum geht es?
In Händels allegorischem Oratorium und Barrys Oper gibt es das gleiche Personal. Die Zeit, die Wahrheit, das Vergnügen und die Täuschung versuchen die Schönheit auf den richtigen Weg zu bringen, und zwar bei Händel auf den Pfad der religiösen Tugend, bei Barrys Fortsetzung hin zum Vergnügen. Es ist also eine moralische Handlung, die hier inszeniert wird, bei der die Schönheit manipuliert werden soll. Der Paradigmenwechsel ist unverkennbar: im spätbarocken Oratorium ist die Vergänglichkeit der Schönheit Anlaß zur Konzentration auf göttliche Belohnung im Jenseits; in moderner Sicht ist die Vergänglichkeit der Schönheit Anlaß zu diesseitigen Vergnügen und hedonistischen Genuß. Wo Vergnügen und Schönheit einst in offizieller Moral (inoffiziell huldigten ihr die Kirchenfürsten hemmungsfrei)  nur frivol denkbar waren und ihnen der Spaß ausgetrieben wurde, sind sie heute selbstverständliche Chance zur geglückten Selbstverwirklichung.
Aus oben genannten Gründen war die Premiere konzertant und über Bühnenbild und Absichten des Regie-Teams lässt sich noch nichts sagen.

Was ist zu hören?
Wie fast immer in den letzten Jahren hat man sehr gute Sänger versammelt und es fällt schwer, jemand aus dem homogenen Ensemble hervorzuheben. In Händels Oratorium hat man mit Sebastian Kohlhepp und Stefanie Schaefer erprobte und beliebte Ensemblemitglieder und mit Anna Patalong eine schöne Sopranstimme. Zwei Sänger singen in beiden Stücken: Countertenor William Purefoy und der Bassist Joshua Bloom, den wahrscheinlich einige gerne öfters hören würden: eine tragende und markante Stimme, die auffällt. Ebenfalls eine sehr schöne Stimme hat der Tenor Peter Tantsits, der die Schönheit in Barrys Oper singt. Das Publikum spendete demonstrativ langen und starken Applaus für alle Sänger.


Die Premiere findet nun am Dienstag, 19.02. statt. Das Badische Staatstheater bietet allen Inhabern von Premierenkarten 50% Ermässigung an, falls sie sich für einen zweiten Termin mit Inszenierung noch mal eine Karte besorgen wollen.


PS: Diesmal hat man die Preisverleihung (mehr dazu hier bei den Gurreliedern) für den "Preis der deutschen Theaterverlage - Bestes Opernprogramm 2012/13" im Anschluß an die Premiere vorgenommen. Vielen Dank, daß man all jenen, für die das Was weniger wichtig ist als das Wie, die üblichen Blabla-Ansprachen dieses so beliebig und überflüssig anmutenden Preises vor der Premiere nicht zugemutet hat. Dennoch zur Orientierung eine kurze Wertung und Einordnung des Preises.
Das Badische Staatstheater hat also scheinbar ein besseres Opernprogramm als alle anderen Städte. Zur Erinnerung hier das sensationelle Karlsruher Programm, das der Jury keine andere Wahl ließ, als den Preis ins Badische zu vergeben: Wagner - Tannhäuser, Künneke - Der Vetter aus Dingsda, Händel - The Triumph of Time and Truth, Barry - The Triumph of Beauty and Deceit, Donizetti - Die Regimentstochter, Weinberg - Die Passagierin, Britten - Peter Grimes. Der Konkurrenz hat es wahrscheinlich Verzweiflungstränen in die Augen getrieben angesichts dieses außergewöhnlichen Hammerprogramms, um das uns viele in der Republik beneiden müssen.

Gewürdigt wurden also nicht Künstler oder künstlerische Qualität -was manche für die einzige maßgebliche Kategorie halten- sondern theoretische Absichten bei der Zusammenstellung der Programmpunkte. Bereits im zweiten Jahr unter Joscha Schaback kann die Jury überraschenderweise  feststellen: "Beeindruckend ist ... die Stringenz, mit der thematische Linien verfolgt werden." Unglaublich, aber wahr: das Badische Staatstheater begeistert damit, daß es eine stringente Planung über zwei Jahre zustande gebracht hat. Als Zuschauer reibt man sich allerdings verwundert die Augen und fragt sich, wieso Absichten und Pläne überhaupt preiswürdig sind und so wichtig, daß man das Publikum seit Monaten auf den Preis aufmerksam macht. Vielleicht muß man in einem mit Steuergeld subventionierten Umfeld arbeiten, um Leistung und Errungenschaft so einfach zu definieren.

Wieso macht das Badische Staatstheater so ein großes Trara um Preise? Eigenlob stinkt! heißt es umgangssprachlich und frühere Intendanzen veröffentlichten ihre Auszeichnungen nur auf einer mittleren Seite in der Theaterzeitung. Bescheidenheit und Gelassenheit kann zeigen, wer Vertrauen in seine Arbeit hat. Es spricht nicht für die Selbstsicherheit und das Stilgefühl eines Theaters, das nach außen die eigenen Verdienste ins Rampenlicht stellt. Wer Zweifel an seiner eigenen Qualität hat oder denkt, daß das Publikum Qualität nicht erkennt, wenn es sie sieht, zeigt, daß etwas nicht zusammenpasst und Mißtrauen gegenüber den Zuschauern herrscht.

Übrigens: "Der Bariton Seung-Gi Jung, seit 2011/12 Ensemblemitglied, hat den 1. Preis beim Internationalen Gesangswettbewerb in Bilbao in der Kategorie Männerstimmen gewonnen". Dem Badischen Staatstheater war dieser großartige Erfolg nur diese kurze Notiz auf Seite 35 des aktuellen Theatermagazins wert. Hätte man mal lieber ihm auf der Bühne gratuliert und den "Preis" für das "beste" Opernprogramm einmalig auf Seite 35 verkündet - dann hätten die Verhältnisse gestimmt und jeder wäre an dem Platz, an den er gehört.


Team und Besetzung:

HÄNDEL - DER SIEG VON ZEIT UND WAHRHEIT:
Beauty: Anna Patalong
Deceit: Stefanie Schaefer
Counsel (or Truth): William Purefoy
Pleasure: Sebastian Kohlhepp
Time: Joshua Bloom

BARRY - DER SIEG VON SCHÖNHEIT UND TÄUSCHUNG:
Beauty: Peter Tantsits
Pleasure: Iestyn Morris
Truth: William Purefoy
Deceit: Gabriel Urrutia Benet
Time: Joshua Bloom

Musikalische Leitung: Richard Baker
Regie: Sam Brown
Bühne & Kostüme: Annemarie Woods
Choreographie: Lorena Randi

10 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,
    gerne lese ich Ihren Blog. Ihren Ausführungen zu den Vorstellungen will ich gar nichts hinzufügen. Hier ist ja eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge oft Anreiz, sich ein zweites Mal mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Zu dem immer wieder aufgegriffenen Thema Bescheidenheit hätte ich doch eine Anmerkung: Wenngleich ich bei dem Satz mit dem Hammer sehr schmunzeln musste: „Klappern gehört zum Handwerk.“ Ich finde es gut, dass das Theater sich inzwischen als Teilnehmer in einem Markt aufstellt. Man fragt sich in der Gastronomie auch manchmal, warum hat der jetzt einen Stern oder andere Kritikerauszeichnung bekommen, aber diese Auszeichnung stärkt den Anbieter. Und warum sollte er diese Auszeichnung in die Unterlippe reinnuscheln oder auf Seite 36 verstecken. Keine Firma stellt eine Führungskraft zu einem Spitzengehalt ein, wenn sie während des Vorstellungsgesprächs nur wie Lieschen Müller auf den Boden schaut. Es gilt ja auch, Leute, die noch nie da waren, neugierig zu machen. Es wäre doch sicher auch in unser aller regionalem Förderverständnis, wenn Karlsruhe gegen das Festspielhaus Baden-Baden antritt. Aus Image- und Prestigegründen finde ich es schon mehr als ok, eine Marke (als Platzhirsch) in Karlsruhe zu etablieren. Und da muss nicht jeder Slogan bis ins Kleinste analysiert werden, ob er nun gerechtfertigt ist. Das soll dann der tun, der auch tatsächlich kommt.
    Liebe Grüße, bis bald im Theater, Desiree Paul

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    1. Vielen Dank für die Ergänzung. Ich stimme zu, „Klappern gehört zum Handwerk.“ Deswegen war ich umso überraschter die wichtigen Mitteilungen nur auf Seite 36 des Theatermagazins zu finden, aber den Preis für die beste Speisekarte groß herausgestellt zu sehen. Ich glaube allerdings, daß die meisten Besucher auf diesen Preis nicht reinfallen und ihn in seiner Relevanz richtig einordnen können: als ziemlich beliebige Beurteilung, die nichts über den (Mehr-)Wert des Staatstheaters aussagt. Als Marke finde ich den Preis nicht nur ungeeignet, sondern auch unangebracht.

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  2. "Es spricht nicht für die Selbstsicherheit und das Stilgefühl eines Theaters, das nach außen die eigenen Verdienste ins Rampenlicht stellt. Wer Zweifel an seiner eigenen Qualität hat oder denkt, daß das Publikum Qualität nicht erkennt, wenn es sie sieht, zeigt, daß etwas nicht zusammenpasst und Mißtrauen gegenüber den Zuschauern herrscht."

    Bei der Premiere von "Medea" war auch zu beobachten, dass eine Mitarbeiterin des Hauses, die direkt hinter dem Intendanten saß, ungefähr eine Dreiviertelstunde lang mit ihrem iPhone spielte. Spricht auch nicht gerade für ein großes Interesse des Hauses an den eigenen Inszenierungen. Geschweige denn von Respekt vor den Schauspielern.

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    1. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis beim Geburtstagskonzert für Wolfgang Rihm, als nach dem ersten Musikstück einige Mitarbeiter -ich glaube aus Schauspiel-Dramaturgie und des Kindertheaters- gingen. Man hatte sie wohl zu Besuch des Konzerts aufgefordert, ihnen aber nicht gesagt, welche Sorte Musik auf sie wartet. Viele Blicke folgten der abziehenden Gruppe...

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  3. Wolfgang Kiefer20 Februar, 2013 15:44

    Hallo Honigsammler
    Sicher haben Sie vielen Theaterbesuchern aus dem Herzen gesprochen, was die Aktion von Verdi und die alberne Preisverleihung angeht. Mit Rüdiger Krohn haben Sie noch einen potenten Mitstreiter erhalten. Ob Verdi und die Intendanz sich davon beeindrucken lassen, bleibt abzuwarten. Beide werden sich nichts anmerken lassen.
    Was das Stück betrifft bin ich mir der allgemeinen Zustimmung nicht so sicher. Für die Händelfans mag der Abend (zumindest bis zur Pause) etwas gebracht haben. Repertoirtauglich ist das Stück nicht.
    Ich habe vor etwa zwei Jahren eine frühere Version dieses Oratoriums in Stuttgart gesehen – in Szene gesetzt von Calixto Bieto (ohne Blut und Sperma Orgie, h.d. ziemlich gut). Dennoch blieb es ein Oratorium ohne Handlung mit einem effektvollen Fazit am Schluss: Zwei Stunden Da Capo Arien, in die auch Bieto nichts reinzuinterpretieren wusste und zwei Minuten szenische Überraschung zur Rechtfertigung. Gut musizieren ist gut fürs Podium, für die Bühne reicht es nicht. Ich argwöhne, dass die Wahl des Stückes auf die Barry-Oper zurückgeht, mit der man eine interessante (im Staatstheaterjargon „eine spannende“) Kombination zur Erlangung des Preises für das beste Opernprogramm gewinnen wollte.
    Joscha Schaback hat in dieser Spielzeit eine noch unglücklichere Hand mit seinen Produktionen als in der vergangenen Spielzeit. Der Preis für das beste Opernprogramm muss ihn über vieles hinwegtrösten. Wie lange sich das Publikum mit den angestaubten Thorwald-Produktionen trösten lässt, wird eine „spannende“ Frage. Trost finden kann man übrigens in Straßburg, Mannheim, Stuttgart und Frankfurt mit jeweils hervorragenden Programmen im Musiktheater. Es ist dort halt etwas teurer als in Karlsruhe, aber einen Preis hat keiner von denen bekommen.

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    1. Guten Tag Herr Kiefer,
      ich stimme Ihnen zu: die Oratoriums-Inszenierung war Folge der Barry-Oper, die Bernd Feuchtner 2002 in Berlin hörte und als originelle Kopplung für die Händel-Festspiele plante. Ich sehe ihren Repertoire-Wert ebenfalls gering.
      Ich bin aber auch kein Fan von inszenierten Oratorien. Eine meiner langweiligsten Erfahrungen: Saul (1999). La Ressurezione in quasi-szenischer Aufführung (2007) war da eine interessante Ausnahme.
      Ich finde die Auswahl für diese Spielzeit sogar gut, aber in keiner Weise Massenpublikums-tauglich. Besonders Spontini und Britten sind dieses Jahr meine Favoriten. Aber Schaback produziert zu wenig Interessantes, um auf Thorwald- und Fieber-Produktionen verzichten zu können. Mal schauen, was er für 2013/14 ausgraben muß, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Vielleicht sogar Könemanns Boheme oder Lucia.
      Ich schaue mich auch schon anderweitig um: demnächst will ich auch mal wieder nach Pforzheim: Rossinis Cenerentola und Glass' Untergang des Hauses Usher interessieren mich.

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    2. Wolfgang Kiefer24 Februar, 2013 18:22

      Erwarten Sie Nichts aus der Aera Fieber. Aera Fieber = Aera Schulte-Michels und die Produktionen unter der Regie von Schulte-Michels hat Achim Thorwald gründlichst entsorgt. Die Mannschaft um Spuhler tut sich deshalb bei den Wiederaufnahmen sehr schwer. Wenn Sie sich lobend zu Thorwald äußern, knirsche ich jedesmal mit den Zähnen.

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    3. Vielen Dank für den Hinweis. Mit Tosca, Zauberflöte und Hochzeit des Figaro ist die Ära Fieber zwar noch präsent, aber Schulte-Michels kam leider wirklich nicht bei Thorwald vor, abgesehen von Parsifal und später im Schauspiel. Bei SchuMi war es meines Erachtens immer alles oder nichts, großartig oder steril; bei keinem anderen Regisseur waren für mich die Unterschiede so groß. (Spontan fallen mir folgende 3 Inszenierungen ein, die ich gerne noch mal gesehen hätte: Macbeth/Verdi, Wenn ich König wär/Adam, Faust/Gounod).
      Ein wenig erinnert mich die Fieber-Zeit an heute: Frank Gersthofer hatte damals auch einen stark programmatischen Spielplan für die 5 Jahre Intendanz entworfen, den die Frankfurter Rundschau damals als "einen der aufregendsten Opernspielpläne in ganz Deutschland" bezeichnete.
      Thorwald hat für mich einiges zu verantworten, was ich nur loben kann. Die Erfolge sind mir deutlicher in Erinnerung als Mißglücktes. Thorwald halte ich zugute, daß er Birgit Keil als Ballettdirektorin engagierte, daß er Knut Weber nach Karlsruhe brachte (der für mich in seinen ersten Jahren prägend war und nach 15 überwiegend lauen Schauspieljahren bei mir Begeisterung auslöste), daß er die Händel Festspiele wieder im großen Haus als echtes Festival etablierte und daß er mit Stellvertreter Thomas Brux Sänger engagierte, die für mich ebenfalls Maßstäbe setzten.
      Um die Schwächen der Thorwald-Zeit aufzulisten (abgesehen von vielen lauwarmen Inszenierungen), müsste ich meine handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Intendanz lesen, abtippen und digitalisieren (die Vorgängertexte dieses Blogs), da ich ein schlechtes Gedächtnis für weniger gute Theatererlebnisse habe.
      Was störte Sie an Thorwald?

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    4. Wolfgang Kiefer25 Februar, 2013 13:01

      Hallo Honigsammler
      Ich glaube, dass Thorwald ein guter Theaterleiter war, aber leider ein schlechter Regisseur. Wenn Sie abmildernd von „lauwarmen Inszenierungen“ sprechen (ein schönes Wort), dann meinen Sie wohl den Gesamteindruck. Bei allen seinen Regieversuchen hat Thorwald nämlich prominente Bühnenbildner engagiert, die seine Nicht-Regie teilweise ausgeglichen haben.
      Nun tummeln sich an deutschen Bühnen viele sogenannten Regisseure vom Format eines Achim Thorwald. Die sind aber nicht zugleich Intendanten, die sich ihre Stücke auswählen können, oder sie reservieren nicht das Standartrepertoire total für sich. Ein gutes, aufregendes Standartrepertoire ist aber der ideale und wichtigste Werbeträger für jedes Theater (s. Macbeth oder Attila). Solche Inszenierungen sollen zehn bis 15 Jahre halten. Die Thorwald-Inszenierungen tun dies notgedrungen, weil er die Alternativen beseitigt hat und jetzt eine Erneuerung des Standartrepertoires blockieren. In der Konsequenz sitzen Spuhler/Schaback/Feuchtner auf einem Stapel unattraktiver Inszenierungen, ohne die sie keinen Spielplan füllen können.
      In der ganzen Aera Thorwald gab wenige gute Inszenierungen. Daher rührt auch die geringe überregionale Resonanz ohne die sich keine prominenten Regisseure nach Karlsruhe locken lassen. Alexander Schulin und Georg Köhl, teilweise auch Robert Tannenbaum. Spuhler war sich dieses Missverhältnisses bei seinem Amtsantritt durchaus bewusst. Ob seine Konsequenzen die richtigen sind bleibt abzuwarten. Ich fürchte NEIN. Er will neues und junges Publikum mit ziemlich inovativen Mitteln mobilisieren. In Mannheim sehe ich in Lohengrin, Fanciulla, selbst im Ring mehr junge Leute als in Karlsruhe während eines ganzen Monats. Und wie schaffen die das: Mit gutem bzw. herausragendem Theater. Kein einfacher Weg, wenn man so weit unten angekommen ist. Gleiches gilt für Stuttgart, das sich innerhalb einer Spielzeit von Puhlmann erhohlt.
      Zu Thorwalds Meriten: Unbestritten war sein Glückgriff mit Knut Weber. Unbestritten auch sein sehr gutes Sängerensemble. Für Birgit Keil möchte ich ein Minderheitenvotum abgeben: Ich glaube keine andere Bühne hat eine so radikale Ausrichtung auf klassisches Ballett, wie Karlsruhe. Solange damit anhaltend ein volles Haus erreicht wird, ist das vielleicht hinnehmbar. Mittelfristig aber werden sich gerade die Jüngeren von dieser Klassik abwenden. Die Alternativen sind gegeben. Das neue Heidelberger Ballett mit seinem ersten Programm ZERO war blitzschnell für alle Vorstellungen ausverkauft – ebenso wie in Stuttgart TANZ/TÖNE. In Karlsruhe wird die Bedeutung des Balletts für die Jungen Zuschauer (nicht für Kinder) total unterschätzt.
      Dies muss nicht ins Netz gestellt werden. Da Sie aber direkt gefragt haben, wollte ich auch direkt antworten.

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    5. Guten Tag Herr Kiefer,
      herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die so treffend ist, daß ich sie gerne in Netz stellen möchte. Wenn ich spontan antworten müsste, welche Inszenierungen der Thorwald Zeit ich gerne noch mal sehen wollte, würde mir erst mal nur Köhls Tod in Venedig, Schulins Mefistofele und Tannenbaums Frau ohne Schatten einfallen. Viele andere habe ich zwar sehr oft sehr gerne gesehen, aber aus einem bestimmten Grund: wegen der Sänger.
      Und auch da stimme ich Ihnen zu: bei Birgit Keil hoffe ich auch auf etwas weniger Klassisches in der Zukunft.

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