Montag, 8. Oktober 2012

Wagner - Tannhäuser, 07.10.2012

Nach dem inszenatorisch stark kritisierten Lohengrin war eine große (An-)Spannung vor dem neuen Tannhäuser bei Publikum und Theatermitarbeitern am Premierensonntag im ausverkauften Großen Haus spürbar. Tannhäuser wurde gestern ein großer Erfolg für das Badische Staatstheater: alle Beteiligten wurden vom Publikum einhellig bejubelt.


Fast 29 Jahre sind vergangen seit der letzten Karlsruher Inszenierung des Tannhäusers im Dezember 1983. In der Zwischenzeit gab es drei Lohengrin Inszenierungen, zwei komplette Nibelungen-Ring Produktionen, zwei Fliegende Holländer und verschiedene andere Mehrfachproduktionen am Badischen Staatstheater. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, warum sich Tannhäuser rar gemacht hat? Ist diese Oper noch zeitgemäß? Finden Regisseure nur schwer passende Umsetzungsmöglichkeiten oder liegt es an den vielen Ungereimtheiten in Wagners Frühwerk?

Die Widersprüche im Werk
Im Tannhäuser kämpfen verschiedene Prinzipien gegeneinander: Christentum gegen Heidentum, Himmel gegen Hölle, Liebe gegen Erotik, Askese gegen Lust, Geist gegen Sinnlichkeit, Gesellschaft gegen Künstler, Konformismus gegen Kreativität - man könnte sagen lauter Konflikte vergangener Zeiten. Über die Widersprüche und Ungereimtheiten im musikalischen Stil und inneren Gehalt kann man umfangreiche Bücher lesen. Jede Inszenierung muß sich ihnen stellen, wird einige davon versuchen zu thematisieren und andere ignorieren. Dazu kommen verschiedene Partitur-Versionen aus 30 Jahren Werkabänderung, die Stärken und Schwächen haben und die Komplexität nicht verringerten. Richard Wagner scheint die Unfertigkeit des Tannhäusers ebenfalls gespürt zu haben. In Cosimas Tagebuch findet man 1883 die Bemerkung, daß er fast 40 Jahre nach der Uraufführung meinte, er schulde der Welt noch einen Tannhäuser.

Kann man Tannhäuser heute noch gerecht werden?
Tannhäuser ist ein Tabu-Brecher. Frühere Inszenierungsbeispiele des Tabubruchs durch freie Sexualität, Heidentum oder Antikonformismus wirken heute oft unfreiwillig komisch und sind nur in historischen Produktionen glaubhaft. Problematisch wird auch immer der Bruch im 2. Akt: das Drama des Außenseiters endet, danach geht es um Buße und die Rettung des Seelenheils. Gegner des sogenannten "Regietheaters" fordern u.a. Inszenierungskonzepte, die von der Musik ausgehen. Die Oper beginnt und endet mit der Melodie, die den Text "Der Gnade Heil ist (ward) dem Büßer beschieden, er geht einst (nun) ein in den seligen Frieden." begleitet. Musikalisch ist es offensichtlich: die sich opfernde Frau erwirkt das ewige Heil des Mannes; die Erlösung und die im Tod vereinte geistige Liebe ist ernst gemeint. Eine höhere Macht schickt ein Zeichen der Erlösung - jede weltliche Interpretation scheitert an dem göttlich vermittelten Ende oder muß den Willen zur Täuschung und dessen Initiator offenlegen. Tannhäuser endet also szenisch für all jene enttäuschend, die Elisabeths Opfer und die damit erreichte jenseitige Gnade als unbefriedigendes Happy End und altertümliche Vorstellung ablehnen. Im Programmheft zur Karlsruher Neuproduktion wird man deutlich: dort bezeichnet man es als feigen Verklärungsschluss und findet eine Lösung jenseits von Religion, Opfer und Buße. 

Worum geht es in der Karlsruher Neuinszenierung?
Regisseur Aron Stiehl bezeichnet Tannhäuser im Programmheft als romantische Künstleroper und die Hauptfigur als genialen Künstler, der weder mit sich noch mit anderen im Reinen ist. Tannhäuser soll laut Dramaturgie ein von gesellschaftlichen Widersprüchen zerrissener Künstler sein, der diesen Widersprüchen Ausdruck verleihen kann und der von den Institutionen zerbrochen wird. Zu Lebzeiten angefeindet wird er nach seinem Tod zum großen Künstler verklärt und re-integriert.Tannhäusers farbige Schriften, die noch am Ende des zweiten Aktes als untragbar erscheinen, zeigen schleichende Wirkung: Wolfram übernimmt im dritten Akt in seiner Kleidung Tannhäusers Farbe, der Chor übernimmt sein künstlerisches Werk am Ende zustimmend in seinen Besitz. Dieses Regiekonzept funktioniert sehr gut, reduziert es doch die oben genannten Probleme auf den Künstler-Gesellschafts-Gegensatz und blendet alle übrigen Konfliktsbildungspotentiale aus. Elisabeths Tod spielt hier keine Rolle, das Wunder des ergrünten Priesterstabs hat ebenso keine Bedeutung wie der religiöse Aspekt. Es ist Venus, die den sterbenden Künstler in ihren Armen hält. Tannhäusers Tod ermöglicht die Rehabilitierung seines Werks. Ein reduziertes und vereinfachtes, aber wirksames Regie-Konzept.
Eine wichtige Besonderheit dieser Inszenierung liegt darin, daß die Rollen der Venus und der Elisabeth von einer Sängerin dargestellt werden. Ein Kunstgriff, den Regisseur Götz Friedrich bei den Bayreuther Festspielen 1972 bereits tätigte: damals sang Gwyneth Jones die beiden weiblichen Hauptpartien. Götz Friedrich rechtfertigte diese Maßnahme damit, daß drei Frauen (Venus, Maria, Elisabeth) mit dem gleichen Akkord angerufen werden. Venus und Elisabeth sind also Projektionen Tannhäusers und präsentieren die verschieden Seiten der gleichen Medaille. In Karlsruhe ist dieser Kunstgriff keine inszenatorische Notwendigkeit und ergibt sich nicht zwingend (beim Gala-Abend wird darauf verzichtet und die beiden Rollen zwei Sängerinnen zugeteilt), sondern nur aus Besetzungsgründen. 

Was ist zu sehen?

Die Künstlerin rosalie hat Bühne und Kostüme entworfen. Das Bühnenbild ist von hoher visueller Qualität: Ein Einheitsraum, von allen drei Seiten komplett begrenzt, wird durch Lichteffekte zum Ereignis. Unmerklich ändern sich Farbtöne und schaffen Stimmungen und gleichzeitig Kommentare zum Bühnengeschehen. Dazu kommen sinnfällige Bühnenelemente. In der Venusbergszene im ersten Akt schweben üppige, wolkenähnliche Blüten, aus denen nur noch die Beine der lustvoll Eintauchenden Blütenstil-ähnlich herausragen - schützende und umspannende Sphärenelemente des Glücks. Der zweite Akt -der einen wunderbar entspannten und humorvollen Gästeinzug in die Wartburghalle bietet- wird von silbernen Sitztonnen geprägt; der dritte Akt bietet Engel-Statuen - es macht in jedem Akt Freude zuzuschauen!

Und musikalisch?
Gespielt wird eine Fassung, die man laut Badischen Staatstheater am ehesten als "Wiener Fassung" bezeichnen könnte - also die von Wagner 1875 für Wien (Wagner führte damals selber Regie, Hans Richter dirigierte) rückübersetzte Pariser Fassung mit leichten Änderungen, der vollständigen Venusberg-Musik und mit Ballett.
Justin Brown erweist sich mal wieder als großer Wagner-Dirigent: opulent und auftrumpfend in den großen orchestralen Momenten und Chorszenen, klangsinnlich in der Venusbergszene, festlich im zweiten und elegisch im dritten Akt. Immer wieder verdichtet sich das Orchesterspiel zu beeindruckenden Höhepunkten. Die Badische Staatskapelle zeigte sich in großer Form.
Sängerisch bleibt vieles in sehr guter Erinnerung: besonders der edel-melancholisch gesungene Wolfram von Armin Kolarzcyk, der den größten Einzelapplaus bekam.
Heidi Melton in der Doppelrolle als Venus und Elisabeth war erneut ein Ereignis: beiden Figuren gab sie ein unterschiedliches Profil und rechtfertigte damit ihre Doppelbesetzung.
John Treleaven bewies beeindruckend, daß er ein großer Sängerdarsteller mit jahrzehntelanger Erfahrung ist. Er wurde im Verlauf des Abend immer stärker: besondere Momente hatte er am Ende des zweiten Akts ('Erbarme dich') und in seiner intensiven Rom-Erzählung. Seine reife Stimme mag nicht jedem zusagen, doch den Respekt und die Anerkennung für seinen großen gestrigen Auftritt kann man gar nicht hoch genug ansetzen. Viele Tenöre, die nur halb so alt sind wie er, hätten nicht die Kondition für diese Rolle. Bravo!
Die Rolle des jungen Hirten ist mit einem Knabensopran besetzt: Tom Volz ist ein für sein junges Alter bereits routinierter Bühnenkünstler, bei dem man kein Lampenfieber bemerkte und der mit seiner klaren Stimme aufhorchen ließ.
Der von Ulrich Wagner erneut wunderbar einstudierte Chor sang und spielte überzeugend (wirkte beim Schlußapplaus aber ein wenig verstimmt, oder meine ich das nur?)
Das Karlsruher Ballett wurde von Choreograph Davide Bombana sehr gut für das sinnliche Bacchanal einstudiert und passte sich wunderbar in die sich verzehrende und sehnende Atmosphäre des Venusbergs ein.

Fazit: Viel Jubel für alle. Ein in hohem Maß gelungener, spannender und spektakulärer  Einstieg in die neue Saison. Eine Inszenierung, bei der die Fülle der positiven Eindrücke begeistert.

Premierenbesetzung 07.10.2012:
Elisabeth / Venus: Heidi Melton
Hirt: Tom Volz      
Tannhäuser: John Treleaven
Wolfram: Armin Kolarczyk
Landgraf: Konstantin Gorny    
Walther von der Vogelweide: Klaus Schneider
Heinrich der Schreiber: Max Friedrich Schäffer
Biterolf: Lucas Harbour
Reinmar von Zweeten: Luiz Molz


PS(1): Die letzte Karlsruher Tannhäuser Inszenierung hatte im Dezember 1983 Premiere. Drei Sänger sind sogar noch im Haus: Hans-Jörg Weinschenk (damals Heinrich der Schreiber), Tiny Peters (junger Hirt) und Chorsänger Markku Tervo (Reimar von Zweter). Der damalige Dirigent und frühere Karlsruher GMD Christof Prick ist in dieser Spielzeit Gastdirigent des 2. Symphoniekonzerts am 21./22.10.2012.
Für historisch Interessierte, hier die damalige Premierenbesetzung - Tannhäuser: Klaus König (hier der Link zu ihm bei Wikipedia), Elisabeth: Sabine Hass , Venus: Anne Wilkens, Landgraf: Alfred Muff, Wolfram: Michael Ebbecke, Walther: Julius Best, Biterolf: Hartmut Welker

PS(2): Liebes Badisches Staatstheater, nicht zum ersten Mal finde ich die Belüftung ziemlich stark eingestellt. Ich ziehe mich wärmer an als früher und berate Besucher dahin, daß sie sich darauf vorbereiten sollen, daß ein kühler Luftzug stören könnte. Kann man das nicht anders einstellen?

8 Kommentare:

  1. Ich als Chorsänger hatte nicht den Eindruck, dass wir beim Schlussaplaus "verstimmt"gewesen wären, im Gegenteil waren wir über die gelungene Aufführung froh und dankbar für den enthusiastischen Aplaus, der allen Akteuren zukam.

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    1. Vielen Dank! Ich hatte nur so einen vagen Verdacht: der Chor applaudiert sonst oft selber den Einzelkünstlern, dem Inszenierungsteam und z.B. dem Chordirektor. Am Sonntag abend war er "stumm" und einige Gesichter wirkten eher streng - so kam mein Zweifel zustande.

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  2. Das lag lediglich daran, dass Herr Stiehl bei der Generalprobe verlauten ließ, dass er nicht wolle, dass die Künstler sich gegenseitig applaudieren, sondern dass sie den Applaus des Publikums mit ganzer Aufmerksamkeit entgegennehmen sollten. Geschmackssache, finde ich.

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  3. Vielen Dank für die Klarstellung!

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  4. Guten Tag, Sie schreiben, dass Religion bei dieser Tannhäuser Inszenierung keine Rolle spielt. Ich gehe im November und bin jetzt etwas skeptisch, wie das funktionieren kann? Gerade die Pilgergesänge sind doch das großartige an dieser Oper. Wie ist das dann dargestellt? Vielen Dank, D.

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    1. Sie können sich bedenkenlos auf Tannhäuser freuen. Die Geschichte Tannhäusers ist hier nicht religiös gefärbt. Die Aktualität dieser Inszenierung liegt darin, daß es ein weltliches Drama ist. Das Inszenierungsteam liefert allerdings eine subtile Religionsanalyse. Die Pilger unterscheiden sich von der Wartburggesellschaft und haben nichts gemein. Die Kostüme zeigen zwei homogene Gruppen ziemlich gleichgekleideter Personen. Die schick-reiche und kunstliebende Wartburg-Gruppe, die im zweiten Akt zum Kunst-Event zusammenkommt, stellt keine Pilger. Der "Wartburg-Adel" lacht am Ende des ersten Akts über die "leichtgläubigen" Pilger.
      Die Rom-Reisenden wirken einfach gekleidet, zottelig-ungepflegt. Hier ist Religion in ihrer ursprünlichen Funktion als Trost- und Hoffnungsmittel für seelisch bedürftige Menschen.
      Religion erfüllt also in dieser Inszenierung zwei Funktion: individuell zur Bewältigung von Furcht und kollektiv zur Rechtfertigung und Kontrolle einer Gesellschaftsordnung. Die eine Gruppe benutzt Religion und beutet die aus, die angstvoll glauben.

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  5. Wolfgang Kiefer29 Oktober, 2012 12:47

    Hallo Honigsammler
    Ich habe es jetzt auch in den Tannhäuser geschafft, ich kam mit hochgespannten Erwartungen hin und ging sehr ernüchtert wieder nach Hause. Mit den enthusiastischen Kritiken stimme ich nur bei der musikalischen Seite überein. Dafür wäre eine konzertante Aufführung ausreichend gewesen. Die Ausstattung halte ich für eine rosalie ziemlich schwach und eine Regie konnte ich nicht erkennen.
    Natürlich ist Tannhäuser weit schwieriger in Szene zu setzen als Blaubart. Dies war mein erster Gedanke, als ich den Namen Aaron Stiehl las. An Blaubart konnte man erkennen, dass Stiehl sein Handwerk versteht. An Tannhäuser konnte man erkennen, dass Wagner (zumindest noch) eine Nummer zu groß für ihn war. Die dürftige Personenführung ist einem ebenso dürftigen (oder nicht vorhandenen) Regiekonzept zuzuschreiben. Ohne griffiges Regiekonzept scheitert auch die Abstimmung von Ausstattung und Spielgeschehen. Eine starke Persönlichkeit wie rosalie wird dann immer die Bühne dominieren..
    Das Ballett mag der historischen Praxis genügen, nicht aber modernen Maßstäben, wo ein Bezug zur Handlung hergestellt wird.
    Den enthusiastischen Reaktionen auf diese Produktion merke ich die Erleichterung darüber an, dass ein zweiter Lohengrin-Gau ausgeblieben ist. Umjubelt und gefeiert war sie aber am 28.10. nicht – vielleicht nicht mehr. Mein letzter Tannhäuser war die Inszenierung von Robert Carsen 2008 in Barcelona. Seither habe ich Tannhäuser gemieden, weil eigentlich nur noch eine Enttäuschung kommen konnte. Sie kam.

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    1. Guten Tag Herr Kiefer,
      vielen Dank für Ihre Analyse!
      Ich kenne die Carsen Inszenierung nur vom Hörensagen (eine DVD dazu ist meines Wissens erhältlich; die beiden Sänger dort -Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer- sind ja auch zur Gala-Veranstaltung in Karlsruhe vorgesehen).
      Was Sie als "dürftig" beschreiben war für mich lediglich "reduziert". Diese Reduzierung empfand ich als geglückt, da Tannhäuser für mich immer schon eine sehr widersprüchliche Oper ist, deren Konflikte nicht richtig zusammenpassten. Diese Reduzierung in Kombination mit rosalies für mich ebenfalls dominantem Konzept ergaben bei mir ein ständiges Spannungsniveau und einen kurzweiligen Tannhäuser.
      Allerdings haben Sie Recht: es war wahrscheinlich auch viel Erleichterung beim Premierenjubel dabei. Ich will mir diesen Tannhäuser noch mal anschauen und meinen Eindruck überprüfen.

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