Donnerstag, 4. Oktober 2012

Richter - My Secret Garden, 03.10.2012

Das Erlebnis des gestrigen Abends war nicht My Secret Garden, sondern Timo Tank. Der Schauspieler gestaltete und dominierte auf großartige Weise einen Text, dem man nur ein beschränktes Haltbarkeitsdatum attestieren kann und der nur durch die faszinierende Schauspielkunst Tanks lebendig wurde.

Worum gehts es?
Nach dem Musical Alice startete gestern nun auch das Schauspiel auf der Studio-Bühne in die neue Saison. Ausgesucht hatte man sich eine deutschsprachige Erstaufführung: My Secret Garden des deutschen Bühnenautors Falk Richter (Jahrgang 1969) hatte seine Uraufführung in französischer Sprache beim Festival d’Avignon 2010. Laut Staatstheater ist der Text eine Reise in eine bundesrepublikanische Biografie: "Ein Mann um die vierzig, ein Schriftsteller, nachts in einem Hotelzimmer: Während sein Vater im Krankenhaus mit dem Sterben ringt, lässt der Autor sein eigenes Leben Revue passieren." Dieser Mann um die vierzig scheint der Autor selber zu sein; er spricht sich selber mit dem Vornamen Falk an. My Secret Garden besteht aus Reflexionen und Erinnerungen - den Innenansichten eines Autors.

Autofiktion?
Richter bezeichnet My Secret Garden als Autofiktion, eine Mischung aus Autobiographie mit erfundenen Bestandteilen oder eine Erfindung mit autobiographischem Anteil. Eine Mischung mit vorläufig unklarem Verhältnis. Die Autofiktion erscheint als eine Zweckform. Die autobiographische Selbstthematisierung ist immer auch eine Selbstuntersuchung: eine Therapieform, bei der man sich selber kennenlernt, sich eigene Unzulänglichkeiten von der Seele schreibt und gleichzeitig in die Zukunft blickt und den großen Bogen über ein Leben spannt. Verschleiert wird sie hier durch fiktive Elemente. Auf der Bühne wird für die erzählende Figur ein desaströses Lebengefühl diagnostiziert: ohne richtige soziale Kontakte, einsam, um Anerkennung als Autor ringend und voller Sinnlosigkeitsgefühle. Eine Entwicklungsgeschichte ohne geglückte Emanzipation. Die Schwäche des Textes besteht darin, daß er nicht konsequent zu Ende geschrieben ist. Etwas Unaufrichtiges, nicht Zuendeoffenbartes, Erfundenes lässt die schonungslose Offenheit vermissen, die nötig gewesen wäre, um My Secret Garden also große Innenanalyse gelten zu lassen. In Karlsruhe ist die Wirkung  des Textes keine stoffliche, sondern wird durch die Form des Erzählens erzielt: die Geschichte interessiert aufgrund der schauspielerischen Darstellung. 

Was wird gezeigt?

My Secret Garden ist zweigeteilt und beginnt als Monolog. In den ersten 50 Minuten blickt der von Timo Tank gespielte Erzähler zurück auf seine Kindheit und Jugend. Als Wunschbild stilisiert sich Tank in der ersten Szene: cool, selbstbewußt und lässig tanzt er auf der Bühne, doch die Fassade bröckelt schnell. Das beengende, spießige Milieu der Eltern in der norddeutschen Provinz, das von Lieblosigkeit und Enge gekennzeichnet war, ließ kein selbstbewußtes Ich entstehen, sondern eines, das von vitalen Unfähigkeiten und stumpfen Verstimmungen geprägt ist.  Die Vergangenheitsinstrumenalisierung wird aber auch zur Relativierung eigener Defizite genutzt. Im zweiten Teil, der den Autor und Künstler in den Mittelpunkt stellt und durch Dauerzweifel am eigenen Handeln und Bitterkeit gekennzeichnet ist, ergänzen zwei weitere Schauspieler das Ich des Erzählers. Dieser Abschnitt kann die Dichte des Beginns nicht halten und ist etwas schwächer. Die drei Schauspieler -Simon Bauer, Benjamin Berger, Timo Tank- tragen eng anliegende silbern-glänzende Kostüme, die an Ballett-Tänzer erinnern.  Kostüme, die nichts verbergen, aber auch das Inauthentische des Autofiktion-Konzepts zeigen.

Fazit: Als Schauspiel-Fan darf man Timo Tank nicht verpassen! In seinem Monolog gibt es keinen langweiligen Moment, jeder Satz lebt und atmet. Sein grandioser Auftritt bietet die kurzweiligsten und spannendsten 50 Minten seit langem. Insgesamt 90 schauspielerisch lohnenswerte Minuten.

Schauspieler: Timo Tank, Simon Bauer, Benjamin Berger
Regie: Pedro Martins Beja
Bühne und Kostüme: Christine von Bernstein
Musik: Jörg Follert