Es gibt Bühnenerlebnisse, die unvergeßlich sind. Das gestrige 1. Sonderkonzert wird bei manchen Besuchern in solch dauerhafter Erinnerung bleiben. Alle fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens in einem Konzert!?! Was für eine wagemutige Ausdauervirtuosenleistung des Pianisten Gerhard Oppitz und was für eine wunderbare Konzertidee (dafür bereits ein herzliches Bravo! und Danke! an Solist und Dirigent). Am Vorabend verschärfter Corona-Maßnahmen wurde den Besuchern (die den Mund-/Nasenschutz auch während des Konzerts tragen mußten) mit 2 Pausen über 4,5 Stunden ein kultureller Zehrvorrat für die kommenden Wochen mitgegeben, der als außergewöhnliches Konzerterlebnis länger nachwirken sollte.
„Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt“,
Theater, Opern- und Konzerthäuser werden vom 2. November an für vier
Wochen ausnahmslos geschlossen. Die FAZ sieht (hier) die von der Bundesregierung angekündigten Schließungen zurecht kritisch. Wer in den Stoßzeiten öffentliche Verkehrsmittel nutzt, der weiß, daß die Karlsruher Lokalpolitik das Virus nicht ganz so ernst nimmt, denn statt bspw. die Anzahl der Straßenbahnwagen zu erhöhen, wurden zuletzt wegen den Herbstferien die Anzahl der Wagen reduziert und die Personendichte in den Bahnen erhöht. 5 Minuten Straßenbahn scheinen riskanter als 5 Stunden Theater mit Hygienemaßnahmen, funktionierender Lüftung und diszipliniertem Publikum. Die Theater zu schließen scheint hingegen leere Symbolpolitik.
Der 250. Geburtstag Beethovens (*1770 †1827) ist Anlaß für zahlreiche Beethoven-Konzerte. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie enthusiastisch dieses Konzert aufgenommen worden wäre, wenn es vor 1000 Besuchern, statt wie gestern vor ca. 200 gespielt würde. GMD Georg Fritzsch und Pianist Gerhard Oppitz haben diesen Beethoven-Marathon 2012 bereits zu ersten Mal bestritten, ob sich sonst jemand anderes bereits an dieses Unterfangen gewagt hat, kann auch das Programmheft nicht beantworten. Alle 5 Klavierkonzerte in Folge sind also ein exklusives Erlebnis. Oppitz
ist u.a. ein Schüler Wilhelm Kempffs, setzt sich seit Jahrzehnten mit
Beethovens Konzerten auseinander, spielte alle 5 Konzerte hintereinander
auswendig und schaffte das Kunststück, die Spannung hoch zu halten, durch durchdachtes Klavierspiel voller Nuancen Beethovens Noten jederzeit Tiefe zu verleihen. Kein Moment Leerlauf, jeder der 15 Sätze klang mustergültig, beredt und inspiriert, voller Wärme und Esprit. Eine pianistische Höchstleistung aus einem Guß. BRAVO!
Beethovens 1. Klavierkonzert op. 15 entstand erst, als das Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19 schon beendet war. GMD Georg Fritzsch brachte die Konzerte in der korrekten Reihenfolge und begann mit dem zweiten, das in den 1790er durch mehrere Revisionen entstand und 1798 -mit großem Erfolg beim Publikum- uraufgeführt wurde. Beethoven war ein Verehrer Mozarts, spielte als Pianist dessen Konzerte und komponierte eigene Kadenzen; Beethovens beiden ersten Konzerte sind noch mozartisch. Das Allegro des B-Dur Konzerts mit seinem Läufen und Steigerungen nahm Oppitz zum Einstieg voller Spielfreude, das Adagio versonnen und gedankenversunken, das Rondo dann in unbefangener, gut gelaunter Stimmung.
Das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 komponierte Beethoven 1798, im selben Jahr wurde es auch uraufgeführt. Orchestral ist es erweitert um Klarinetten, Trompeten und Pauke, die Kontraste sind deutlicher als im B-Dur Konzert, der Charakter wird individueller. Wo man bei Mozart himmlische Fügung hört, tönt bei Beethoven nun ein individueller Wille. C-dur ist hier Programm: lebensfroh und heiter. Erneut ein virtuoses Allegro con brio zu Beginn, die Stimmung ist bei Oppitz heroischer und erstmals unverkennbar Beethoven. Das folgende Largo geriet dem Pianisten seelenvoll und lyrisch, der Dialog mit der Klarinette hinterließ schönen Eindruck. Das heitere Rondo erklang tänzerisch, übermütig, mit starkem Pulsschlag. Viel Applaus zur ersten Pause für zwei Konzerte voller Grazie.
Danach folgte das Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37, das einzige Moll-Konzert des Abends (Mozarts c-moll Konzert KV 491 soll Beethoven besonders bewundert haben). Die Uraufführung fand 1803 statt und feiert seitdem zahllose Erfolge. Der Kopfsatz ist nun ein Konflikt, dem der Pianist gedankenvoll entgegentritt, die Balance von Unruhe und Entschlossenheit prägten gestern die musikalische Entwicklungen und Variationen. Im Zentrum des Beethoven-Marathons stand als Herzstück der mittlere Satz des mittleren Konzerts; Oppitz schrieb vorab über das romantisch wirkende Largo in E-Dur: "Der langsame Satz des 3. Konzerts liegt mir besonders am Herzen, da er eine ganz spezielle Atmosphäre heraufbeschwört, die u. a. sehr weit von der Stimmung der ihn umgebenden Rahmensätze entfernt ist. Er wirkt dadurch wie eine wunderbare Insel der Ruhe und Nachdenklichkeit. Und ich bin überzeugt, auch wenn Beethoven in seinem ganzen Leben nur diesen einen Satz geschrieben hätte, wäre er allein dadurch in die Weltbestenliste der Komponisten aller Jahrhunderte eingegangen." Das Rondo erklang dann voller Lebensfreude und Überschwang.
Das Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 wurde im Rahmen der regulären Symphoniekonzerte vor einer Woche bereits gespielt (mehr hier), Oppitz wiederholte hier seine Interpretation und zeigte langen Atem, ganz lyrisch, verträumt, unbeeindruckt und erhaben. Das 4. war gestern in einer Reihe hochwertiger Interpretationen vielleicht die herausragendste Darbietung. Viel Applaus und Bravos für die beiden schönsten Konzerte, die Oppitz souverän meisterte.
Nach der zweiten Pause zum Abschluß das prunkvolle Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73, uraufgeführt 1811. Gleich zu Beginn entfaltete es sich bereits kraftvoll und strahlend, das Adagio erklang feierlich und ernst, Oppitz gab ihm sogar weihevolles. Das Rondo zum Abschluß war dann übermütig und jubelnd. Oppitz bekam stehende Ovationen vom Publikum.
Pianist und Orchester standen über alle 5 Konzerte in vertrautem Dialog, was der langjährigen Bekanntschaft von Oppitz und Fritzsch zu verdanken sein dürfte. Das Orchester glänzte mit kantablen Melodielinien einzelner Instrumente und schönem Beethoven-Klang. Nach dem 3. Konzert wurden ca. 90% der 30 Musiker durch ihre Kollegen ersetzt.
Fazit (1): BRAVO! Ein Konzert, daß lange in Erinnerung bleiben wird. Wer weiß, vielleicht wird der Beethoven-Marathon ja doch noch zu einer
musikalischen Disziplin für Virtuosen. Man kann nur hoffen, daß Oppitz
und Fritzsch nach der Corona-Krise auch noch den Brahms-Marathon mit
beiden großen Konzerten dem Karlsruher Publikum präsentieren.
Fazit (2): Erschöpft, aber glücklich. Nach so einem Konzert haben alle Krisen und Sorgen weniger Bitternis, ja sie erscheinen vielleicht nicht einmal mehr so gewiß. Die Theater haben nun vorerst für 29 Tagen geschlossen, daß danach die Virus-Pandemie wieder im Griff ist, kann man bezweifeln.
PS: Statt im Badischen Staatstheater musizierte man gestern im Konzerthaus
Karlsruhe, das im Rahmen der Sanierung in einigen Jahren ein sinnvoller
Kandidat für eine
Ausweichspielstätte seine könnte. Klang und Ambiente passen, Abwechslung
tut gut, mehr Personal für Getränke und Brezeln sowie an der Garderobe
hätten es schon sein dürfen.