Kultur ist Glücksversprechen
Nach 204 Tagen ohne Theaterbesuch endete für den Verfasser dieses Blogs gestern die längste staatstheaterfreie Periode seit über drei Jahrzehnten und die Vorfreude auf das Orchester, den neuen GMD und Beethoven hatte sich gebirgig aufgetürmt. Das Glücksversprechen wurde eingelöst. Georg Fritzsch ist aktuell der Hoffnungsträger am Badischen Staatstheater, er steht für das, was Intendant Spuhler dem Publikum und den Mitarbeitern des Badischen Staatstheaters verweigert: einen unbelasteten Neuanfang. Fritzsch ist nicht wie andere Spartenleiter in den letzten Jahren gezwungen, wegzuschauen, zu ignorieren oder zu relativieren oder lieber zu gehen, als den Windmühlenkampf gegen ahnungslose Politiker und selbstherrliches Führungspersonal aufzunehmen. Fritzsch kann sagen, was ist, er muß sich nicht in die Schweigespirale einfügen. Er wird auch daran gemessen werden.
Konzerte in Zeiten des Covid19-Virus
Das erste Symphoniekonzert der Spielzeit und das erste unter virusbedingter Publikumsverknappung. Nur
jede zweite Reihe war besetzt und zwischen den Zuschauern waren
mindestens zwei leere Plätze. Und auch auf der Bühne herrschte Abstand: gerade mal 30 Musiker fanden Platz: 8 Geigen, 3 Bratschen, 3 Cellos, 2 Kontrabässe, bis zu 8 Holzbläser und 2 Hörner, 2 Trompeten und eine Pauke.
Orchester in Corona-Zeiten. 30 Musiker spielten Beethoven. |
Um die Abonnements bedienen zu können, gab
es vier statt zwei Konzerte an zwei Tagen. Ursprünglich wollte Georg Fritzsch Strauss' Alpensinfonie dirigieren: "Die Alpensinfonie ist ein für mich persönlich sehr wichtiges Werk. Karlsruhe ist mein viertes Amt als Generalmusikdirektor und die Alpensinfonie ist immer auf dem Programm des Eröffnungskonzertes gewesen." Doch das voll besetzte Orchester ist in Pandemiezeiten nicht machbar, Fritzsch mußte verzichten und wählte stattdessen Beethovens 8. Symphonie. Doch zuvor dirigierte Fritzsch eine andere Herzensangelegenheit: das Violinkonzert D-Dur op. 61 (UA 1806). Beethoven komponierte das erste der großen Violinkonzerte (es folgten Mendelssohn, Bruch, Brahms, Tschaikowsky, Elgar und Sibelius, andere sind diskutabel), das er auf ungekannte Länge dehnte (zwischen ca 38 und 48 Minuten Spieldauer bewegen sich heutzutage die Interpretationen) und mit dem er -wie auch in anderen Gattungen- den ästhetischen Maßstab setzte, denn sein Konzert blendet nicht durch Virtuosität, es fordert vielmehr erzählerische Gestaltungskraft, um dem musikalischen Verlauf Charakter und Seele zu verleihen, insbesondere im ersten Satz, der länger ist als der zweite und dritte gemeinsam. Antje Weithaas ist eine renommierte Violonistin mit einigen CD-Aufnahmen. Sie spielte das Beethoven Konzert mit dem Stavanger Symphony Orchestra unter Steven Sloane 2012 für Tonträger ein. Ihr gestriger Ansatz hatte eine klare Linie, die Violine als Subjekt war bei Weithaas ein behutsamer Schöngeist, durchgängig lyrisch, doch nie mäandernd, sondern stets bestimmt. Sie verlor sich nicht im großen
Allegro ma non troppo, sondern blieb als Poetin direkt und geradlinig, ohne
abschweifend verspielt zu sein. Das Larghetto erklang zurückhaltend, fast schüchtern, vorsichtig den Moment auskostend. Dem melodisch reichen Konzert gab Weithaas einen zärtlich singenden Charakter, in gewisser Weise schlicht in hoher Kunstfertigkeit und langsam im Tempo (45 Minuten Spielzeit, ca. 25-10-10). Ein Ansatz, den man als weiblich bezeichnen könnte, als ob eine Romanfigur von Jane Austen musizieren würde. Der Klang von Weithaas' Violine war warm und reich, eine seelenvolle Lyrikerin sang Beethovens Konzert - das Publikum dankte ihr lautstark für diesen schönen Start in die Spielzeit.
Das Leichte ist das Schwere. Beethovens 8. Symphonie F-Dur op.93 (UA 1814) ist hell und
heiter, freudvoll und lebenszugewandt, wie geschmackvoller Haydn der nach typischem Beethoven klingt. Und das war gestern auch zu
hören. Georg Fritzsch und die Badische Staatskapelle spielten diese
Symphonie ohne langsamen Satz als manchmal auftrumpfendes, manchmal hintergründiges Gutelaunewerk, das beim Publikum wohl nie für Furore sorgen kann, aber ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Fritzsch dirigierte die Symphonie ohne Partitur und entsprechend souverän und makellos gelang dieses Einstiegskonzert für den neuen GMD und ein stark aufspielendes Orchester. Bravo!
30 Musiker fanden auf der Bühne Platz, der Klang war zwar nicht opulent, aber auch nicht dünn. Publikum und Orchester waren zwar ausgedünnt, der Applaus des Publikums war hingegen kräftig, herzlich und anhaltend mit Bravo-Rufen. Das Karlsruher Konzertpublikum bewies in diesem dritten von vier Konzerten mal wieder seine Klasse. 30 Musiker - für eine Spielzeit wird man damit leben können, dann sollte ein Impfstoff
vorhanden sein und idealerweise wird man dann in 12 Monaten die
Alpensinfonie in der Saison 2021/2022 hören.