Samstag, 1. September 2018

Vorschau auf die Spielzeit 2018/2019

Trauriges Jubiläum
Wir befinden uns im 300. Jahr der Karlsruher Theatergeschichte, aber es gibt kein (oder bestenfalls ein spärliches) Jubiläumsprogramm. Was hätten wohl andere Theater aus so einem Anlaß gemacht! In Karlsruhe erleidet man hingegen die uninspirierte, phantasie- und kreativschwache und in zu vielen Belangen prekär-defizitäre Intendanz von Peter Spuhler. Doch auch wenn es schwer fällt, sollte man sich die fröhliche Vorfreude auf die kommende Spielzeit vom Intendanten nicht nehmen lassen, es gibt spannende Produktionen interessanter Werke, neue Spartendirektorinnen in Schauspiel und Oper, man kann die Suche nach einem neuen GMD beobachten und es gilt Abschied zu nehmen von Birgit Keil.

Oper in der Krise
Das Publikum rennt weg, man braucht nach lieblos geplanten Jahren endlich eine Idee und ein Konzept. In der kommenden Saison gibt es schöne Opernpremieren bei seltsam und planlos wirkender Repertoirepolitik. Drei Opern, die es erst im letzten Jahrzehnt zu hören gab, die man aber schon wieder bringt, obwohl man keine adäquate Besetzung hat - es sind seltsame Programmentscheidungen. Man startet die Saison mit Webers Freischütz und muß Gäste für Agathe und Ännchen engagieren; daß der verdienstvolle Matthias Wohlbrecht den Jägerburschen Max singt, hätte er sich wohl vorher auch nicht gedacht. Da bringt man im Januar Richard Strauss' spannungsgeladene Elektra und kann keine der drei Frauenfiguren aus dem Ensemble besetzen. Wer Offenbachs Hoffmanns Erzählungen singt, ist noch unbekannt, mit Ina Schlingensiepen (Olympia), Barbara Dobrzanska (Antonia) und Konstantin Gorny für die Bösewichte hat man noch drei Sänger der letzten Inszenierung im Haus, die wieder aufgewärmt werden könnten.
Keine Besetzungsprobleme sollte es im Dezember für die vielen kleinen Rollen in Leoš Janáčeks in deutscher Übersetzung gesungener Oper Das schlaue Füchslein geben, bei der die Inszenierung der Star ist - eine Übernahme einer erfolgreichen Produktion der Oper in Cleveland, für die Yuval Sharon einen Animationsfilm drehte. Justin Brown wird als Janáček-Fan mit der Badischen Staatskapelle die Produktion noch bemerkenswerter machen. Die Händel-Festspiele bieten mit Serse wieder ein Highlight. Mit Max E. Cencic und Franco Fagioli in den Hauptrollen wird der Vorverkauf sehr gut laufen. Nach der so empfehlenswerten Anna Bolena darf man sich nun auf Donizettis Roberto Devereux freuen, von der Belcanto-Serie kann man sich noch einige weitere schöne Raritäten wünschen. Bei Debussys Pelléas et Mélisande wird die männliche Titelfigur ebenfalls durch einen Gast besetzt, die Inszenierung kommt aus Malmö, Regie führte Benajmin Lazar, der Händels Riccardo I. zum Triumph machte.
Für Abwechslung ist bei den Premieren gesorgt, die Mischung stimmt, die Zusammenstellung und Abstimmung zwischen Repertoire und Ensemble bleibt weiter der Schwachpunkt. Und die Wiederaufnahmen wären ohne Tosca, Zauberflöte und Hänsel und Gretel in der Klemme. Den Anschluß an Mannheim hat Intendant Spuhler verloren, er hat die Karlsruher Oper deutlich geschwächt. Ein positives Detail sollte man dennoch betonen: für die Opern-Galas hat man sehr gute Namen engagieren können. Einige meinen hingegen, das Kind sei an der Karlsruher Oper doch längst in den Brunnen gefallen, der Schaden ist erfolgt und nur ein Neustart kann helfen.

Abschiedstanz
Birgit Keils 16. und letzte Spielzeit als Ballettdirektorin beginnt mit einer Wiederaufnahme von Christopher Wheeldons Schwanensee und erlebt sogar noch zum Abschied eine Neuchoreographie namens Kreation von Thiago Bordin. Mit den populären Romeo und Julia, Nußknacker, Ein Sommernachtstraum, Rusalka und Carmina Burana kann man weiterhin Abschied von einer Ära nehmen. 2019/20 gibt es einen Neustart und das ist auch gut so. Wandel und Wechsel gehören zur Bühnenkunst, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Publikumszuneigung und Zuschauerzahlen sind auf einem Spitzenwert, das Ballett stagniert auf hohem Niveau. Man hört gelegentlich Gerüchte, daß es zwischen Intendant Spuhler und Birgit Keil Differenzen gab, die den Abschied beschleunigten.  Ob das stimmt, bleibt vorerst noch im Unklaren.
     
Ein langer, langer symphonischer Ausklang
Justin Brown
war schon weg und blieb dann doch, weil der designierte Nachfolger absagte. Zwei weitere Jahre, die zweifellos interessant werden und bei den Konzerten einiges zu bieten haben. Die Badische Staatskapelle hat sich im vergangenen Jahrzehnt verjüngt, die Spielkultur verbessert. Als das 350jährige Orchesterjubiläum zu wenig Aufmerksamkeit bekam, konnte man es noch damit relativieren, daß der Zeitpunkt aufgrund des kurz zuvor stattgefundenen Intendanzwechsels ein wenig unglücklich war. Es wird nun Zeit, daß das Badische Staatstheater seinen Klangkörper stärker profiliert und neue Wege geht. Mit der aktuellen Intendanz scheint man allerdings keine Fortschritte machen zu können.

        
Vom schwachen Geschlecht als starke Frauen unter männlicher Führung

Im achten Jahr des Intendanten ist Anna Bergmann nun bereits der dritte Schauspieldirektor (oder "korrekt" vergendert: das dritte Schauspieldirektor*in(?)). Personell setzt man in der Schauspieldirektion auf Frauen, man hat nun neben der Schauspieldirektorin, eine stellvertretende Schauspieldirektorin (Anna Haas), eine Referentin der Schauspieldirektion, eine Assistentin der Schauspieldirektorin, eine geschäftsführende Dramaturgin im Schauspiel (Sonja Winkel) und eine Dramaturgin. Ihre Chefs bleiben amüsanterweise  ausschließlich Männer: der Generalintendant und seine drei Stellvertreter, darunter der "Chefdramaturg", sind hemizygot. Die Wahrheit liegt aber auf der Bühne und Qualität ist nun mal nicht von Chromosomen abhängig. Die eunuchisch-admistratorische Intendanz von Peter Spuhler hat es geschafft, vom Wesentlichen abzulenken - dem Geschehen auf der Bühne. Es sind nun mal weder die Eunuchen der Zweck des Harems noch die Verwalter der Zweck des Guthabens und schon gar nicht dessen Stars, sondern nur ein Mittel zu dessen Bestehen. Wer das erkennt, der wird die unfreiwillige Komik der Intendanz wahrnehmen und trotz ihres quälend uninspirierten Stils zumindest etwas haben, worüber man stets herzhaft lachen kann. Das Publikum zahlt für gutes Theater, nicht für die Selbstdarstellung der Intendanz.

Zur bevorstehenden Schauspielsaison
Es
gibt in der Summe 12 neue Produktionen, aber nur fünf Abo-Premieren in dieser Spielzeit, statt wie üblich sechs oder sogar mehr, Anna Bergmann startet defizitär. Wer ein Schauspielpremieren-Abo hat, muß trotzdem für sechs Premieren bezahlen. Man schiebt seinem  Publikum unverschämterweise zum vollen Preis Volkstheater unter. Dabei wäre es so einfach, das Publikum nicht zu verarschen (so deutlich muß man es leider benennen). Was spricht gegen ein Abo mit fünf Premieren? Klar, das Volkstheater ist eine Totgeburt, die man durch Abo-Zuschauer künstlich am Leben halten will, aber dann könnte man dafür zumindest den Preis reduzieren. Der unsympathisch unaufrichtige Stil der Intendanz wurde hier schon öfters thematisiert und bevor das zu einer längeren Abschweifung wird, zurück zum Thema.


Anna Bergmann ist eine sehr gute, allerdings auch etwas riskante Wahl für das Karlsruher Schauspiel. Mit Blick auf Schauspieler und Spielfreude darf man viel erwarten. Es gab bei bisher drei Inszenierungen drei unterschiedliche Ergebnisse, einen Volltreffer (Drei Schwestern), eine flache und kaum anregend diskutable  Operninszenierung (La Bohème) und eine verirrte Antigone.
Bergmanns Inszenierungen sind also bisher im Ergebnis durchwachsen, aber nie einfallslos und man kann ihr herzlich viel Glück und Erfolg wünschen. Eine spannende und bemerkenswerte Spielzeit ist ihr zuzutrauen, wenn sie sich nicht in schalen Belehrungsposen und leeren Abarbeitungsroutinen verrennt, also ein zur Intendanz oppositionelles Konzept vertritt.

Von Liebe, Ehen und Beziehungen - so könnte das Motto der neuen Spielzeit sein. Die Saison beginnt mit einem großen Ibsen-Abend, der mit Nora, Hedda und ihre Schwestern (ab 30.09.18) drei Stücke in einer Vorstellung vereint - das mutigste und spannendste Konzept gibt es aktuell zu Beginn. Es folgt eine Übernahme von Anna Bergmanns positiv aufgenommener Lübecker Inszenierung von Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe (ab 27.10.2018), die auch in Karlsruhe erfolgreich sein sollte. Es gibt zwei Beziehungskomödien, wobei die deutschen Übersetzer am kompliziert-vielschichtigen englischen Titel von Samantha Ellis' How to date a feminist (ab 15.12.18) scheiterten und es im Original beließen. Das Stück scheint man allerdings in Deutsch aufführen zu können. Es folgt Shakespeares Viel Lärm um nichts (ab 31.01.19), das von der widerspenstigen Liebe von Beatrice und Benedikt handelt (und die mit Kenneth Branaghs starbesetzter Strumpfhosen-Verfilmung 1993 so hinreißend in Erinnerung blieb. Joss Whedon verfilmte den Stoff 2012 in Schwarzweiß und in unsere Zeit versetzt. Beide ergänzen sich und taugen zur Vorbereitung). Mit The broken circle (auch kompliziert zu übersetzen) wird es wieder ernster und trauriger, ein Ehepaar mit todkrankem Kind, erzählt mit viel Live-Musik und vor einigen Jahren (2014?) in der Schauburg ein Erlebnis. Goethes Iphigenie (ab 26.05.19) handelt von Geschwistern, sie sich wieder finden. Apokalypse Baby (ab 06.06.19) ist eine Adaption eines Romans von Virginie Despentes (die wie Michel Houellebecq als Establishment-kritisches enfant terrible gilt), eine Mischung aus sex & crime mit Sozialkritik. Am Königsweg von Elfriede Jelinek (ab 24.11.2018) muß beweisen, daß man das Phänomen Donald Trump intelligent und witzig aufarbeiten kann und nicht in Oberflächlichen und platten Ressentiments stecken bleibt. Weiterhin gibt es noch ein bisher titelloses Auftragswerk und einige kleinere Projekte, die mit Belanglosigkeit drohen und erst dann lohnen, wenn man von verschiedenen Seiten gute Kritiken zu hören bekommt.