Wagner vor der Pause, Bruckners "Wagner-Symphonie" danach - die Rückkehr aus dem Urlaub und der Start in die neue Spielzeit gelang motiviert und souverän, obwohl die Musik des Sachsen neben der des Oberösterreichers ziemlich blaß blieb.
Richard Wagner komponierte seine Faust-Ouvertüre in Paris, wohin er vor seinem Gläubigern geflüchtet war. Die Ouvertüre sollte eigentlich der erste Satz einer ganzen Symphonie werden, blieb dann aber in der Schublade und wurde erst 1844 für Dresden wieder herausgeholt, wo die Uraufführung erfolgte. Ein dissonantes Thema der Tuba und Kontrabässe steht am Beginn, die Oboe kündigt Erlösung an, Franz Liszt fiel auf, daß Gretchen noch fehlt, Wagner interpretierte daraufhin sein Werk als Charakterstudie. Beim Zuhören fällt die sinnstiftende Verknüpfung zu Goethe schwer, es fehlt das treffend Atmosphärische bzw. das Anschauliche. Mendelssohns Sommernachtstraum ist ein geniales Äquivalent zu Shakespeare, Wagner und Goethe gehen keine symbiotische Verbindung ein.
Zwei der fünf Wesendonck-Lieder sind quasi Vorstudien für Singstimme und Klavier zu Tristan und Isolde, Im Treibhaus und Träume wirken wie Opernmusik mit ungewohnter textlicher Unterlegung. Vielleicht liegt es daran, daß die Wesendonck-Lieder in gewisser Weise fremdeln. Katherine Broderick sang sie mit warmer, leuchtender Stimme, ganz schlicht und innig - irgendwie wirken wollten die Lieder dennoch kaum. Der Applaus ebbte schnell ab, auf der Konzertbühne wollte Wagner keine Funken schlagen.
Justin Brown und die Badische Staatskapelle beendeten die letzte Konzertsaison mit der bis dahin besten Bruckner-Interpretation des GMD, nach der Siebten im Juli folgte nun die 3. Symphonie von Anton Bruckner zum Beginn der Saison, und zwar in der selten zu hörenden Erstfassung von 1873, die von mehr oder weniger vagen Wagner-Zitaten aus dem Tristan und dem
Nibelungenring durchsetzt ist, die in den späteren 2. und 3. Fassungen (1877 und 1888/89) entfernt wurden. Das Reizvolle der Erstfassung liegt in ihrem Ideenreichtum (wie viele andere Symphonien wirken substanzlos gegen diesen die Muskeln spielen lassenden Giganten!) und dem Zusammenspiel des Ungestümen und Ausufernden mit dem Intimen und Delikaten, immer wieder kommt es zu blockweisen Eruptionen und horizontöffnenden lyrischen Beruhigungen. Noch vor der Achten ist die erste Dritte die umfangreichste Symphoniepartitur Bruckners, ihr fehlt noch deren monumentale, eschatologisch anmutende Formvollendung. Europäer sind höhepunktgläubig, Christen sterben nach oben, dieser
Kontinent glaubt an das Finale und die finale Entscheidung - Bruckners Symphonien sind ein Paradebeispiel dafür. Die Kombination mit Zitaten aus Wagners
erlösungssüchtigem Musikdrama ist also durchaus eine formal passende Reminiszenz. Justin Brown machte auch in dieser frühen Symphonie Bruckners kraftvolle Wellenstruktur erlebbar, die immer weiter und stärker anbrandet und dem finalen Höhepunkt in Form strahlender Befreiung von Widerständen unaufhaltsam zustrebt. Das Misterioso zu Beginn gelang Brown noch nicht voller Geheimnis, er glättete die Kanten, statt die Blöcke schroff gegeneinander zu stellen. Der Dirigent wählte organisch fließende Tempos und lud die Musik mit etwas vibrierend Spannendem auf, das Adagio steigerte sich aufregend. Das Scherzo nahm Brown nach Vorschrift "Ziemlich schnell, zwischendrin fühlte man sich an Gustav Mahler erinnert, der hier ein Vorbild für seine Ländler gefunden haben dürfte. Auch im Finale verlor das Orchester nicht die Eloquenz, und überhaupt - wie viele schöne Melodien sind in dieser Symphonie, es lohnte gestern, genau auf die Instrumentengruppen zu achten. Die vielbeschäftigten Blechbläser und die Holzbläser glänzten bereits zu Beginn der Saison, die Streicher webten einen dichten Teppich, um die Eruptionen aufzufangen. Die ungestüme erste Dritte Bruckners gelang stimmig als die eigentlich maßgebliche und beste Version dieser Symphonie. BRAVO! und vielen Dank für die Erstfassung!
Mit knapp 70 Musikern war Bruckners frühe Symphonie fast kammermusikalisch klein besetzt. Auffällig war die veränderte Sitzstruktur: die Kontrabässe wechselten die Seiten und saßen nicht am üblichen Platz außen hinter Celli und Bratschen, sondern gegenüber, hinter den Violinen. Die Celli wechselten von vorne (vor den Bratschen) auf die andere Seite, mittig neben die Violinen. Das entstehende Musikeroval um den Dirigenten war deformiert, 27 Streicher auf der einen (darunter alle voluminösen Kontrabässe und Cellos), 21 Streicher auf der anderen Seite.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.