Sonntag, 5. Februar 2017

Thorpe - Möglicherweise gab es einen Zwischenfall, 04.02.2017

Umständehalber gab es einige Gähnattacken
Ein Ministück, nur ca. 70 Minuten. Die einzige halbwegs spannende Frage, die sich gestern nach der Premiere stellte, war die, ob die Inszenierung so zäh war, weil der Text so schwach ist, oder ob die Regie mit dem Stück nichts anzufangen wußte. Es könnte sich auch beides bedingen.
   
Worum geht es?
Vier Personen erzählen ihre Geschichte von Zäsuren, von existentiellen Ereignissen, die ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher teilen. Sie sind Opfer, Täter, Beobachter oder Beteiligter. Drei mußten sich in einer unvorhergesehenen Situation entscheiden, einer hatte sich zuvor entschieden, einer handelte selbstlos, ein anderer kaltblütig mörderisch, drei erzählen monologisch, einer gibt Antworten und rechtfertigt sein Verbrechen. Im einzelnen: Eine frühere Revolutionärin, nun Ministerin läßt auf Demonstranten schießen, um ihre Herrschaft zu retten. Nach einem Flugzeugabsturz will ein überlebender Passagier ein verletztes Kind retten und gibt auf. Ein Passant beschreibt, wie sich eine einzelne Frau mit ihren Einkaufstüten einem Panzer entgegenstellt. Und dann ist da noch ein Massenmörder, der seine Taten rechtfertigt, weil er sie als Rettungsinitative versteht. Es sind keine von einander abgegrenzten Monologe, die Erzählungen erfolgen häppchenweise, treffen aber textlich nicht aufeinander. Die Geschichten erinnern an bekannte Vorfälle, sind aber nur scheinbar real. Der Autor nahm Motive, die einem vertraut vorkommen und variierte sie für die Bühne.

Was ist zu beachten?
In einem einzigen Moment zeigt sich selten der Charakter. Umstände, Abwägungen, Stimmungen - vieles kommt zusammen, das Ergebnis ist Zufall - der Mensch ist Zufall, wie ein schwarzer Bildschirm auf dem der Cursor blinkt, das "Ich" ist ein Durchlauferhitzer, der ständig Dinge ansaugt, vieles wieder hergibt und weniges erhitzt und in den weiteren Kreislauf einspeist - das Ergebnis nennt sich Charakter, und all das, was man so gerne wichtig nimmt - Hobbys, Präferenzen, Meinungen, politische Ausrichtung, Handlungen und Taten - ist nichts als Zufall. Das Schicksal schlägt also doppelt zu: es steht plötzlich vor der Tür und steigt aus einem empor. Beide Entwicklungen gewinnen in der Karlsruher Inszenierung keine Konturen.

Was ist zu sehen?
Idee und Handlung hören sich interessant an, die Inszenierung bleibt stets im Ungefähren. Die Regie abstrahiert, zu Beginn dauert es 25 Minuten bis man zum ersten Mal ein Gesicht sieht. Erst sprechen die Schauspieler im Dunkeln aus dem Zuschauerbereich, dann ist die Bühne so dunkel, daß man nichts erkennt bzw. die Schauspieler tragen dunkle Tücher über dem Kopf. Es sind erst gesichtslose Erzähler,  später hampeln und hopsen sie herum und wahren Distanz, sie wollen nicht wissen, daß etwas passiert. Erst gegen Ende, wenn die Geschichten ihren Kern erreichen, dürfen die Schauspieler kurz etwas Spannung erzeugen, doch durch die Entrealisierung des Wegs dorthin, ist es nur ein flacher Höhepunkt. Die Regie konkretisiert nichts, die Figuren werden nicht charakterisiert, die Umstände der Erzählung bleiben unklar, man  kreist um die aller äußersten Umstände, bspw. dem Andeuten eine Landebahn. Die Monologe und Geschehnisse sind zwar voneinander unabhängig, die Schauspieler interagieren aber miteinander und verwischen die Grenzen, ohne daß dadurch etwas zusammenkommt, die dünnen Erzählfäden verflechten und verstärken sich nicht. Man sieht Aktionismus ohne Überzeugungskraft.  "Die Inszenierung von Anna Sina Fries ...siedelt das Stück in einem surrealen Wald an und schafft somit eine Bildebene, die zahlreiche Assoziationen zuläßt".  Ah ja ..... hmmmm ..... ein surrealer Wald .... eine Bildebene, die zahlreiche Assoziationen zuläßt ....... hmmm?!?! Man glaubt, man steht im Wald, irgendwie paßt die karge Bühne so gar nicht zur sehr konkret erscheinenden Thematik. Ein Keller, ein Versteck, ein Interview- oder Seminarraum, ein Gefängnis oder Verhörraum - spontan könnte da einiges atmosphärischen Mehrwert generieren. Der Wald (man erkennt ihn erst in den letzten Minuten) tut gar nichts fürs Thema. Szenisch bleibt Thorpes Stück im Vagen. Drei Schauspieler erzählen vier Geschichten, ohne ihren Figuren Konturen geben zu dürfen - eine undankbarere Aufgabe kann es kaum geben. An den Schauspielern lag es nicht, daß die Premiere über kurzen Applaus nicht hinwegkam.

Fazit: Eine überflüssige Produktion. Wer sie versäumt, hat nichts verpaßt.

Besetzung und Team
G: Hanna Binder
N: Jannek Petri
Y: André Wagner

Regie: Anna Sina Fries
Bühne & Kostüme: Moïra Gilliéron
Musik: Mathias Prinz