Endlich mal wieder Gustav Mahler! Davor gab' s erst mal Nielsen, danach viel Applaus und Bravos.
Das 1926 uraufgeführte Flötenkonzert von Carl Nielsen erwies sich als eines jener Konzerte, die einfallsreich komponiert und gut anzuhören sind und denen doch das entscheidende Moment der Unverwechselbarkeit fehlt, ein hübsches zweisätziges Werk mit spannenden Dialogen, Flötist Samuel Coles duettierte u.a. mit Klarinette, Fagott und Pauke, die lyrische Szene des zweiten Satzes schwebte kurz schwerelos im Raum. Ein gelöster Einstieg in den Abend.
Nach der Pause folgte die 7. Symphonie (UA 1908) von Gustav Mahler - ein komplexes fünfsätziges Werk, wie geschaffen für GMD Justin Brown. Die Dur-Moll-Wechsel halten es in der Schwebe, eine Vielzahl von Attributen, doch die betonten bei Brown nicht das Zerrissene dieses Werks, das Disparate wurde nicht aufgezeigt, er glättete die Konturen. Dirigent Hermann Scherchen peitschte die Symphonie einst rasant in 70 Minuten durch, der große Otto Klemperer zelebrierte sie (auch altersbedingt) in unglaublichen 100 Minuten, das Durchschnittsmaß liegt eher bei 80 Minuten, Brown benötigte gestern ca. 76 Minuten - ein flotter Ansatz mit leichten Nebenwirkungen: manche Schattierung blieb zu unprononciert auf der Strecke, die beiden Ecksätze gelangen überzeugender als die drei zentralen Abschnitte.
Zu Beginn ein Trauermarsch, zu dem niemand marschiert und dessen Bewegung nicht geradlinig
erklingt, tastend und zögerlich - Neuland, das romantisch erkundet wird. Mahlers Symphonie besitzt mysteriöse Stimmungen, Mahlers Witwe erklärte, daß es Eichendorffsche Visionen gibt - Ahnung und Gegenwart, die Zusammenhänge bestehen in der Phantasie: schauriges Nimmermehr und Seelenerbauung, Lust und Wehen - "Fahre zu! ich mag nicht fragen, wo die Fahrt zu Ende geht!", "laue Luft kommt blau geflossen", "manches bleibt in Nacht verloren" - Romantik ist vielleicht ein Schlüsselbegriff zu den Erkundungsreisen dieser Symphonie, auch im bizarren Sinne eines ETA Hoffmann. Die grandiosen Steigerungen im 1. Satz gelangen Brown gestern am besten. Die erste Nachtmusik mit den Hörnern, die rufen und antworten. Wie schon in der 6. Symphonie gibt es Kuhglocken als Idyllenmetapher, dazu Vogelstimmen, Anklänge an Lied und Marsch, stilisierte Landschaften der Romantik - das Nächtige, das kernromantisch Mysteriöse kam bei Brown etwas abhanden, der 2. Satz klang fast taghell. Das zentrale Scherzo ist vielleicht die wahre Nachtmusik, es ist etwas Gespenstisches darin, grelle Tupfen, Tuba, Fagott und Streicher in Kombination, die unheimliche Note fehlte allerdings gestern. Die zweite Nachtmusik mit der schönen Bezeichnung Andante amoroso klang fragil, Mandoline und Gitarre - und doch kein Ständchen, nur ein Graziosissimo der hingebungsvollen Art konnte man vermissen. Das pompöse C-Dur Finale mit seinem aufgesetzt wirkenden Gestus wirkt so überraschend anders: ein Paukenwirbel zu Beginn, Fanfaren und schmetterndes Blech, die Ohrenbetäubung am Schluß mit Glockenläuten: ein Freudenfuror - fast alkoholisch enthemmt und angeberisch, ungestüm vorwärtsfeiernd im Gestus der Überbietung immer weiter jubilierend.
Das ca.100köpfige Orchester nutzte die farbige Palette der instrumentalen Kombinationen in dieser Symphonie - bspw. zu
Beginn das Horn über tiefen Streichern und Holzbläser, Klarinette mit Bratschen, immer wieder wunderbare Holz- und Blechbläserszenen - zu hören gab es viel in dieser Leistungsschau und Materialschlacht, die viel Applaus, Bravos und Begeisterung beim Publikum auslöste.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.