Freitag, 10. Februar 2017

McDonagh - Der Krüppel von Inishmaan, 09.02.2017

In der Klischeefalle
Endlich mal wieder eine Komödie .... doch nein, nur ein bißchen Komödie, das Zwerchfell wird nur leicht gefordert, aber dafür sieht man einige gute Schauspieler. Die Inszenierung wollte Klischee gewordene Irlandbilder bei diesem irischen Stück vermeiden und produzierte doch wieder nur Gegenklischees. Die Insel Inishmann wird zur Müllkippe, die Figuren erstarren in Konventionalität und Klamauk. Mehr Konsequenz hätte gut getan, so ist der Abend unentschlossen und bestenfalls nett. Es wäre deutlich mehr drin gewesen.

Worum geht es?
Das 1996 uraufgeführte Theaterstück Der Krüppel von Inishmaan ist eine Typenkomödie, die von den speziellen Charakteren ihrer Figuren lebt. Inishmaan ist eine karge, felsige, kleine Insel vor der windig-stürmischen irischen Westküste, deren schrullig-skurrilen Einwohner in Unruhe geraten: ein Hollywood-Film soll auf der Nachbarinsel gedreht werden, Statisten und Mitwirkende werden anscheinend benötigt. Eine Gruppe macht sich auf den Weg, doch nur die Person wird zu Probeaufnahmen nach Kalifornien mitgenommen, von der es niemand erwartet hat: Krüppel-Billy - ein Waise mit verkrüppelten Gliedmaßen. Einige Monate später floppt der Film bei der Vorführung auf der Insel, Billy kommt aus Hollywood zurück und lebt lieber auf Inishmaan weiter - anderswo ist es auch nicht besser und auf der Inseln könnte es die richtige Frau für ihn geben .....

Was ist zu sehen (1)?
Zuerst fällt einem das Klischee auf: wer am Rande Europas lebt, lebt auf einer Müllkippe. Das Bühnenbild ist eine Müll-Installation, die Insel Inishmann ist ein Müllberg. Die Bühne zeigt Verwahrlosung und Gleichgültigkeit - so sollen sie wohl sein, die Menschen am Rande Europas - ein visuelles Klischee dominiert die Bühne. Regisseur Nicolai Sykosch erläutert: "Die Geschichte erzählt davon, inmitten schlimmster Trostlosigkeit und Armut, die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufzugeben. ... Ich habe also versucht, über das Genremalerische und Irische des Stückes, das uns ja recht fern ist, hinaus nach dem universellen Kern zu bohren. Das Stück spielt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Irland war zu dieser Zeit und noch lange danach, bis zum Beitritt in die EU, eines der ärmsten Länder Europas. Der Bühnenbildner Stephan Prattes hat versucht, diese Armut nicht genrehaft nostalgisch aufzuzeigen, denn dann könnte diese Darstellung als falsche Romantisierung mißverstanden werden. Diese irische Grundsituation hat er umgesetzt, indem er die ganze Insel als einen Müllberg betrachtet. Damit wird die moderne Form der Armut aufgegriffen: Menschen, die auf dem Zivilisationsmüll ihr Leben bestreiten müssen. .... Dieser Ort erzählt natürlich auch von der Ausweglosigkeit und der Sehnsucht, dort wegzukommen. ... Das Idyll, weit weg von der Wohlstandsgesellschaft, ist heute nur mit Verdrängung zu haben. McDonagh betreibt eine Parodie des verklärten, „ursprünglichen“ Irlands. Wir drehen diese Schraube noch etwas weiter: Das einfache Leben, von dem wir erzählen, ist nicht der Anfang, sondern das Ende der Zivilisation. Auf unserer Müllinsel ist nichts mehr zu holen. Von hier will man nur weg. Und das ist die Lebenssituation für Generationen von Iren gewesen. Irland war das Auswandererland schlechthin."   

Eine Müllkippe - ein interessanter Bühnen-Ansatz, der die Komödie zum Sozialdrama macht. Die Figurenzeichnung hätte dem folgen können, doch den Mut, die Komödie konsequent ernst zu nehmen, hat die Inszenierung dann doch nicht. Der Regisseur läßt auf dem Müllberg Figuren auftreten, die konventionell als Klischee konzipiert sind und so auch auf einer anderen ("normalen" irischen) Bühne funktionieren würden. Die Bühne tut nichts für die Inszenierung, da die Figuren nicht zu ihr passen. Dabei war das wohl erst anders geplant. Die Inselbewohner sollten in der Karlsruher Inszenierung ursprünglich wohl nicht als irgendwie sympathische Typen oder Originale erscheinen - im Programmheft des Badischen Staatstheaters denunziert man sie: "Allesamt beschädigte Menschen". Das hat man nicht konsequent weitergeführt. Man wollte nicht pittoresk sein und wählt die Häßlichkeit des Müllbergs, statt schrullig und skurril wären die Figuren dann gestört und prekär heruntergekommen. Nicht die Insel, das Meer und der Wind hätten sie geprägt, sondern die Armut, die Figuren wären Abfallprodukte der entsolidarisierten offenen Gesellschaft, man hätte Zurückgebliebene gesehen, die sich nicht in die weite Welt trauen und Abgehängte, die es nicht schaffen. Hätte man der enthumorisierten Komödie eine politische Komponente geben wollen, dann hätten die aggressiveren Inselbewohner politisch verführt  radikale Insignien bekommen können.
Tatsächlich spielt man die erwartbare Typenkomödie im unerwarteten Müll und kommt nicht voran.

Was ist zu sehen (2)?
In Hollywood gab es einst die Aussage, daß man einen Behinderten spielen muß, um einen Oscar zu gewinnen - gestern stimmte das nur teilweise. Die Rolle des Krüppels Billy ist bei Meik van Severen als sympathischer, eloquenter Softie angelegt, der keine Entwicklung erfährt. Er ist schon zu Beginn als Person fertig modelliert, die USA Reise verändert ihn nicht, nichts hinterläßt Spuren an ihm. Von Anfang an ist er zu selbstsicher, er paßt nicht zur Insel, obwohl er dort aufgewachsen ist. Und auch das Trauma als Waise, der seine Eltern anscheinend durch gemeinschaftlichen Selbstmord verloren hat, bleibt an der Oberfläche. Billys Adoptiv-Tanten Kate und Eillen werden von Antonia Mohr und Lisa Schlegel dargestellt. Insbesondere Lisa Schlegel ist der heimliche komödiantische Star des Abends: bei ihr sitzt jede Nuance. Bravo! Und auch Gunnar Schmidt als tratschender (aber ein wenig zu aufgesetzter) Johnnypateenmike gehört deutlich zur Habenseite dieser Produktion: auch bei ihn kann man immer lachen. Die kleineren Rollen sind sehr gut besetzt: die ständig betrunkene Mammy ist Eva Derleder, Bartley wird bei Jonathan Bruckmeier etwas zu trottelig, den Fischer Babbybobby spielt Sascha Tuxhorn und Sebastian Reiß hat als Arzt leider wenig zu tun. Nur Billys Schwarm Helen bekommt von  Marthe Lola Deutschmann zu wenig Eigenleben, das wilde Mädchen nimmt man ihr nicht ab, die Figur bleibt blaß.

Fazit: Eine bestenfalls nette Komödie, deren Schwäche die Unentschlossenheit ist

PS:
Auch im sechsten Jahr tut man sich mit Komik schwer im Karlsruher Schauspiel. Während man im letzten Jahrzehnt Tränen lachen durfte und Zwerchfellmuskelkater bekommen konnte, hatte sich mit Jan Linders Antritt die Situation verkrampft - richtig lachen darf man nun nicht mehr und wenn, dann behäbig und eher schmunzelnd. Und auch im sechsten Jahr und mit neuem Schauspieldirektor wartet man weiterhin auf eine Lockerung des moralinsauren Oberlehrertheaters. Hallo liebes Badisches Staatstheaters, wie wäre es mal mit einer rasanten Komödie!?!?!

Team und Besetzung:
Kate: Antonia Mohr
Eileen: Lisa Schlegel
Johnnypateenmike: Gunnar Schmidt
Billy (Krüppel): Meik van Severen
Bartley: Jonathan Bruckmeier
Helen: Marthe Lola Deutschmann
Babbybobby: Sascha Tuxhorn
Doktor: Sebastian Reiß
Mammy: Eva Derleder

Regie: Nicolai Sykosch
Bühne: Stephan Prattes
Kostüme: Britta Leonhardt