Freitag, 4. Dezember 2015

HfM Karlsruhe: Monteverdi - L‘incoronazione di Poppea, 03.12.2015

Claudio Monteverdis (*1567 †1643) spätes Meisterwerk Die Krönung der Poppea, uraufgeführt 1642 in Venedig, bietet als Opernprojekt der Karlsruher Hochschule für Musik für alle Opernfans mit barocken Neigungen einige bereits bemerkenswerte Stimmen, eine mit 11 Musikern etwas zu karg gespielte Fassung und eine lediglich arrangierende und auch für eine Hochschulaufführung ein wenig  inspirationsfreie Regie, die kaum eingreift und die Vorstellung wie ein konzertante Aufführung mit improvisierten Spielszenen wirken läßt.
  
Worum geht es?
Es geht um eine Liebesbeziehung, die durch Verrat, Intrigen und Mordkomplotte zum glücklichen Ende kommt: die Geschichte des römischen Kaisers Nero, der sich in Poppea verliebt, die Ehefrau seines Generals Ottone, und in ihr für seinen Größenwahn die richtige, von Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis durchdrungene Partnerin gefunden hat. Die Figuren der Oper gehen über Leichen, um zu bekommen, was sie wollen: Nero zwingt seinen Berater, den mahnenden Philosophen Seneca, zum Selbstmord, Poppea stiftet Nero dazu an, seine Gemahlin töten zu lassen. Kaiserin Octavia  wiederum drängt Poppeas Ehemann, seine Gattin für die erlittene Untreue zu ermorden, doch der Liebesgott Amor verhindert die Tat. Als alle Störfaktoren verbannt oder tot sind, beenden Poppea und Nero die Oper mit einem der schönsten Liebesduette und vielleicht dem ambivalentesten Opernende der Operngeschichte: die Unmoral verhilft der Liebe zum Glück oder moralisch gesprochen: die vermeintlich Rücksichtslosen triumphieren mit berückend schöner Musik, die bei Monteverdi ganz ohne Ambivalenz die zärtliche Liebe feiert. Für Moralisten eine Unoper, für alle anderen eine Lektion darin, lange verstorbene Figuren nicht zu denunzieren und bei ihnen einen zeitfremden Maßstab anzulegen, dem sie nicht gerecht werden konnten (- wie es heutige Biographen so gerne machen, wenn sie sich auf Kosten großer Namen in den Vordergrund drängen wollen: Thomas Mann und Richard Wagner und ihre Familien sind bspw. beliebte Opfer heutiger Profilierungsdiffamierungen, bei denen das Werk durch den vermuteten Personencharakter beschädigt werden soll).

Was ist zu sehen?
Kaum eine Figur in Monteverdis genau beobachteter politischen Oper kommt gut weg, er "rechnet schonungslos ab mit den Mechanismen der Macht. Ein Stück, das vorführt, wie Skrupellosigkeit, Egozentrik und Machtgier ineinandergreifen", so die HfM. Interessanterweise hat das keine Auswirkung auf das Bühnengeschehen. Eine Interpretationsidee war zumindest für mich nicht erkennbar. Die Personen agieren untereinander, doch ohne daß sich die Szene verdichtet oder die Personenregie bemerkenswerte Einfälle hätte, der Tod des Seneca war bspw. szenisch frei jeglicher Anteil- oder Stellungnahme, er verstarb unauffällig. Die jungen Sänger dürfen agieren und man kann den Eindruck haben, daß sie auch auf die Albernheiten des heutigen Regietheaters vorbereitet werden sollen: im zweiten Akt tritt der Sänger der kleinen Rolle des Liberto im Tütü auf und trägt Handschuhe mit überlangen Fingern und Senecas Freunde tragen alle lange blonde Zöpfe - eine sinnfreie Verkleidung, die wirkte, als ob man verwendete, was man gerade im Fundus in die Finger bekam. Die Personenregie begrenzt sich überwiegend darauf, den Figuren ein Attribut zu geben: der verzagte Ottone hat einen Goldfisch dabei, die Amme raucht Zigarre und läuft breitbeinig, Poppea darf als blonder Vamp oft Kleidung an- und ablegen. Starke Charakterisierungen darf man nicht erwarten, ein wenig mehr Emphase hätte es von der Regie schon sein dürfen. Das Bühnenbild besteht überwiegend aus Projektionen, anfänglich ist eine düsteren Comic-Hochhauslandschaft zu sehen, die an Hollywood-Filme wie Sin City erinnert, aber nicht weiter geführt wird. Eine konsistente Atmosphäre bildet sich nicht.

Was ist zu hören?
Zwei Sängern erschienen am Premierenabend besonders weit: Die schwedische Mezzosopranistin Anna Hybiner sang als zwischen Wut und Verzweiflung schwankende Ottavia mit auffällig ausdrucksstarker Stimme, der aus Calw stammend Tenor Kai Kluge den unbelehrbaren und beratungsresistenten Nero mit Vehemenz und sehr schöner Stimmfarbe - ein sehr vielversprechender Auftritt von beiden. Bravo!
Weitere positiv auffallende Stimmen waren Cornelius Lewenberg als Ottone sowie Julian Popken als Seneca, die ihrem Rollen mit schöner und abwechslungsreicher Phrasierung Leben einhauchten, dazu kommen bspw. Konstanze Kirsch in der Hosenrolle des Pagen Valletto, Poppeas Vertraute Arnalta ist mit einem Gast besetzt: der chilenische Countertenor Eduardo Rojas macht etwas aus seiner kleinen Rolle der komischen Alten, auch Carinna Schmieder hatte als Drusilla schöne Momente.
Wie bei einer Hochschulaufführung zu erwarten, gab es auch noch gelegentliche Defizite: zu viel Vibrato, zu undeutliche Aussprache (das sollte ein Italiener beurteilen, doch mir fiel es teilweise schwer, bekannte Worte zu erkennen), aber trotzdem war es schön zu sehen, mit wie viel Engagement hier gesungen und gespielt wurde.
11 Musiker (2 Theorben, Kontrabaß, Cello, 2 Cemabalos, 2 Geigen, Viola und 2 Flöten) spielen sehr schön, doch der Klang war ein wenig trocken. Der musikalische Leiter und Cembalist Howard Arman hat eine Fassung seines kürzlich verstorbenen Landsmanns Alan Curtis aus dem Jahr 1989 gewählt.

Karlsruher Hochschule für Musik: Vier weitere Aufführungen im Wolfgang-Rihm-Forum neben dem Schloß Gottesaue am Sa 05.12.15 / Di 08.12.15 / Do 10.12.15 / Di 15.12.15  

Besetzung und Team:
Nerone: Kai Kluge
Ottavia: Anna Hybiner
Poppea: Venicia Rasmussen
Ottone: Cornelius Lewenberg
Seneca: Julian Popken
Arnalta: Eduardo Rojas a.G. 
Valletto: Konstanze Kirsch
Drusilla: Carina Schmieger
sowie weitere Studierende des Instituts für Musiktheater und verschiedener Klassen der Hochschule für Musik Karlsruhe

Musikalische Leitung: Howard Arman
Inszenierung: Andrea Raabe
Bühnenbild und Kostüme: Julia Schnittger
Video: Matthias Rörig