Gemütlich geht es im Abschiedsdinner zu, man lacht und amüsiert sich, ohne sich zu verausgaben, man erlebt sehr gute Schauspieler und gut temperierte, lauwarme 90 Minuten, die schnell vorüber gehen. Doch Komödien können aufregender und lustiger sein, kontrastreicher zwischen heiß und kalt wechseln - ein solches Stück und die dazu erforderliche Inszenierung fehlen weiterhin in Karlsruhe und man wird nun den neuen Schauspieldirektor Axel Preuß ab 2016/17 daran messen können, ob endlich mal wieder eine rasante und aufregende Komödie auf den Spielplan kommt.
Worum geht es (1)?
Pierre und
Clotilde können mit dem befreundeten Paar Antoine und Béa nicht mehr
viel anfangen, sie treffen sich mit ihnen nur noch aus Gewohnheit, nicht
aus Überzeugung und wollen eine Beziehungsbeendungstechnik anwenden: ein
Abschiedsdinner, bei dem die erkaltete Freundschaft noch mal nostalgisch
befeuert wird, bevor sie unwiederbringlich zu Asche zerfällt, laut Programmheft "Ein
letzter, perfekter gemeinsamer Abend: Einmal noch wird den Gästen ihr
Lieblingswein serviert, ihre Lieblingsmusik gespielt und ihr
Lieblingsessen gekocht – und dann sagt man sich für immer adieu. Doch
der Abend läuft gründlich schief." Antoine kommt alleine, erkennt
die Methode und kämpft um die Freundschaft zu Pierre. Wie in einer
Therapie soll Ungesagtes durch Rollentausch und Kleiderwechsel endlich auf den Tisch kommen. Pierre karikiert Antoine, der revanchiert sich mit Indiskretionen, schließlich versöhnt man sich, doch das Stück muß schnell zum Ende gebracht werden, bevor die mangelnde Tragfähigkeit dieser Komödienstruktur offensichtlich wird. Das Autorenduo, das bereits mit Der Vorname eine erfolgreiche Boulevardkomödie gezeigt hat, wendet einen ähnlichen Aufbau für dieses Stück an, doch thematisch ist man zu konstruiert und gewollt.
Was ist zu sehen?
Drei sehr gute Schauspieler, ein Wohnzimmer - eine Couch und Büchertürme - , in dem sich gut situierte, wohlhabende und intelligente Figuren bewegen. Clotilde und Pierre stehen mit beiden Füßen im Leben, Antoine ist ein Typ, den man so kaum antrifft: seit Jahrzehnten beim Psychoanalytiker, seit einem Jahrzehnt als Doktorand an der Uni, exzentrisch und labil; wieso er und Pierre befreundet sind, erschließt sich kaum, wieso Antoine um die Freundschaft kämpft noch weniger. Wenn die Komödie ab der Therapiewende rapide an Substanz verliert, wird es ziemlich klamaukig: sogar die Unterhosen müssen beim Kleidertausch gewechselt werden - das Publikum stöhnt auf und kichert, denn Sebastian Reiß als Pierre und Jens Koch als Antoine haben sehr unterschiedliche Figuren und Kleidergrößen. Die wie gewohnt in Komödien großartige Lisa Schlegel, die Figuren wie Clotilde wie kaum eine zweite zu spielen versteht, glänzt durch Sarkasmus und Lakonik. Es sind die sehenswerten Schauspieler, die diese eher durchschnittliche Komödie über die Runden bringen müssen.
Worum geht es (2)?
Um Freiheit, um Wohlstandsfreuden und den Reichtum an Möglichkeiten, zu tun, was einem gefällt. Um die Möglichkeit, sich neu zu definieren, aus dem auszubrechen, was begrenzend wirkt, was über Gebühr als fordernd empfunden wird. Konkret in diesem Stück: um Freundschaft als zwischenmenschliche Verbindung, die -wie Psychologen analysierten- primär und hauptsächlich unter dem Gebot der Nützlichkeit steht, wobei dieses Gebot doppeldeutig zu sehen ist: nehmend, wenn Freundschaft Nutzen bringen soll, oder gebend, wenn man anderen nützen kann oder will. Wie das Verhältnis von gebend zu nehmend ist, hängt von den Charakteren ab. Wenn Freundschaften enden, wird zu wenige genommen oder gegeben.
Freundschaften sind Zufall und hängen von verschiedenen Faktoren ab:
regelmäßige Kontakte, räumliche und emotionale Nähe, ein
Vertrauensverhältnis, der Wohlfühlfaktor der Wertschätzung und eines
dadurch gestiegenen Selbstwertgefühls. Dauerhafte Freundschaften bilden
sich ungleich leichter bei gleicher Herkunft, gleicher Ethnie und
ähnlichem Umfeld. Befreunden kann man sich inzwischen vermeintlich auch übers Internet, leere Beziehungen zählen einige als Statussymbol.
Entfreunden verläuft oft nach vergleichbaren Mustern. Viele Freundschaften enden schleichend, oft durch räumliche Trennung bei
lockeren Bindungen, Paarbeziehungen beenden hingegen enge Freundschaften
am häufigsten und öfter noch bei Männern als bei Frauen, wobei zuvor
meistens die emotionale Nähe zum Freund zugunsten des Partners gekappt
wurde. In diesem Umfeld läßt sich auch das Abschiedsdinner ansiedeln, die Freundschaft von Pierre und Antoine leidet unter der Entfremdung im Alltag.
"Was bedeuten uns Freundschaften heute noch?" frägt das Programmheft und lockt die Zuschauer auf die falsche Fährte: "Das Abschiedsdinner stellt die Frage danach, wieviel uns unsere alten Freunde wert sind, und wieviel wir bereit sind, in sie zu investieren, in einer Zeit, in der alle nach Optimierung streben." Freundschaften haben einen psychologischen Unterbau, keinen
wirtschaftlichen, alle anderen Gründe sind hinreichend, aber nicht
notwendig. Es ist falsche Zeitdiagnostik, wenn man glaubt, daß der
Kapitalismus oder ein vermeintlicher Optimierungszwang die Ursache für
endende Freundschaften sein sollen. Was das Staatstheater Optimierung nennt, ist tatsächlich das
Eingeständnis einer psychologischen Entfremdung, weil sich
Persönlichkeiten weiter entwickeln. Pierre und Antoine haben fast keine Chance, ihre Gemeinsamkeiten scheinen zu gering geworden.
Abschweifung: Das Karlsruher Schauspiel und das Humor-Problem
Komödien sind ein wichtiger Bestandteil des Spielplans, bereits Ende
November waren die ersten vier Vorstellungen des Abschiedsdinners
ausverkauft, vergleichbaren Erfolg man mit den musikalischen Komödien Spamalot und My fair Lady. Unverständlich, warum es Jan Linders in seiner
Programmplanung für das Schauspiel bisher so schwer fiel, passende Komödien zu finden. Was während der
letzten Jahre im Karlsruher Schauspiel fehlte, war ein umwerfende
Komödie mit rasantem Tempo, bei der man noch Tage später den Muskelkater
in der Lachmuskulatur und rund ums Zwerchfell spürte. Der Vorname war stabiles Boulevard-Theater - amüsant und unterhaltsam, Richtfest sehr gut konzipiert und gemacht - das war's aber auch. Das Abschiedsdinner ist lediglich ganz nett. Die fünf Jahre des scheidenden Schauspieldirektor Linders waren in vielerlei Hinsicht hochdefizitär: das Fehlen guter Komödien mit einer hohen Schlagzahl eines Abtauschs und einer fulminanten Eskalation besonders unverständlich.
Fazit: Sehr gute Schauspieler, eine ordentliche Inszenierung und eine durchschnittliche Komödie. Es wird gelacht, doch nicht zu viel und nicht zu stark, man schmunzelt eher und amüsiert sich gut. Das Abschiedsdinner ist bestenfalls ein netter Zeitvertreib und als Theaterstück dennoch zu fad und unaufregend.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Es wäre doch zu schön, wenn es das Abschiedsdiener für Spuhler und seine Entourage gewesen wäre......
AntwortenLöschenIhnen lieber Honigsammler gesegnete und fröhliche Weihnacht und ein gutes und gesundes 2016 !!!
Gruß Klaus
Herzlichen Dank! Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr.
LöschenIm BadenTV sah ich per Zufall die Werbung für den Opernball 16.
AntwortenLöschenOD Fichtenholz machte seine Sache professionell gut und unaufdringlich.
Von Spuhler und Linders habe ich nichts bemerkt - und das war auch sehr gut so !
Gruß Klaus
Danke für die Info. Ja, stimmt - Fichtenholzs Spuren sind langsam positiv erkennbar. Gute Gast-Stars und einiges Spannendes an den Händel Festspielen sollten bereits ihm zu verdanken sein.
Löschen