Freitag, 18. Dezember 2015

Delaporte / de la Patellière - Das Abschiedsdinner

Gemütlich geht es im Abschiedsdinner zu, man lacht und amüsiert sich, ohne sich zu verausgaben, man erlebt sehr gute Schauspieler und gut temperierte, lauwarme 90 Minuten, die schnell vorüber gehen. Doch Komödien können aufregender und lustiger sein, kontrastreicher zwischen heiß und kalt wechseln - ein solches Stück und die dazu erforderliche Inszenierung fehlen weiterhin in Karlsruhe und man wird nun den neuen Schauspieldirektor Axel Preuß ab 2016/17 daran messen können, ob endlich mal wieder eine rasante und aufregende Komödie auf den Spielplan kommt.
      
Worum geht es (1)? 
Pierre und Clotilde können mit dem befreundeten Paar Antoine und Béa nicht mehr viel anfangen, sie treffen sich mit ihnen nur noch aus Gewohnheit, nicht aus Überzeugung und wollen eine Beziehungsbeendungstechnik anwenden: ein Abschiedsdinner, bei dem die erkaltete Freundschaft noch mal nostalgisch befeuert wird, bevor sie unwiederbringlich zu Asche zerfällt, laut Programmheft "Ein letzter, perfekter gemeinsamer Abend: Einmal noch wird den Gästen ihr Lieblingswein serviert, ihre Lieblingsmusik gespielt und ihr Lieblingsessen gekocht – und dann sagt man sich für immer adieu. Doch der Abend läuft gründlich schief." Antoine kommt alleine, erkennt die Methode und kämpft um die Freundschaft zu Pierre. Wie in einer Therapie soll Ungesagtes durch Rollentausch und Kleiderwechsel endlich auf den Tisch kommen. Pierre karikiert Antoine, der revanchiert sich mit Indiskretionen, schließlich versöhnt man sich, doch das Stück muß schnell zum Ende gebracht werden, bevor die mangelnde Tragfähigkeit dieser Komödienstruktur offensichtlich wird. Das Autorenduo, das bereits mit Der Vorname eine erfolgreiche Boulevardkomödie gezeigt hat, wendet einen ähnlichen Aufbau für dieses Stück an, doch thematisch ist man zu konstruiert und gewollt.

Was ist zu sehen?
Drei sehr gute Schauspieler, ein Wohnzimmer - eine Couch und Büchertürme - , in dem sich gut situierte, wohlhabende und intelligente Figuren bewegen. Clotilde und Pierre stehen mit beiden Füßen im Leben, Antoine ist ein Typ, den man so kaum antrifft: seit Jahrzehnten beim Psychoanalytiker, seit einem Jahrzehnt als Doktorand an der Uni, exzentrisch und labil; wieso er und Pierre befreundet sind, erschließt sich kaum, wieso Antoine um die Freundschaft kämpft noch weniger. Wenn die Komödie ab der Therapiewende rapide an Substanz verliert, wird es ziemlich klamaukig: sogar die Unterhosen müssen beim Kleidertausch gewechselt werden - das Publikum stöhnt auf und kichert, denn Sebastian Reiß als Pierre und Jens Koch als Antoine haben sehr unterschiedliche Figuren und Kleidergrößen. Die wie gewohnt in Komödien großartige Lisa Schlegel, die Figuren wie Clotilde wie kaum eine zweite zu spielen versteht, glänzt durch Sarkasmus und Lakonik. Es sind die sehenswerten Schauspieler, die diese eher durchschnittliche Komödie über die Runden bringen müssen.
     
Worum geht es (2)?

Um Freiheit, um Wohlstandsfreuden und den Reichtum an Möglichkeiten, zu tun, was einem gefällt. Um die Möglichkeit, sich neu zu definieren, aus dem auszubrechen, was begrenzend wirkt, was über Gebühr als fordernd empfunden wird. Konkret in diesem Stück: um Freundschaft als zwischenmenschliche Verbindung, die -wie Psychologen analysierten- primär und hauptsächlich unter dem Gebot der Nützlichkeit steht, wobei dieses Gebot doppeldeutig zu sehen ist: nehmend, wenn Freundschaft Nutzen bringen soll, oder gebend, wenn man anderen nützen kann oder will. Wie das Verhältnis von gebend zu nehmend ist, hängt von den Charakteren ab. Wenn Freundschaften enden, wird zu wenige genommen oder gegeben. Freundschaften sind Zufall und hängen von verschiedenen Faktoren ab: regelmäßige Kontakte, räumliche und emotionale Nähe, ein Vertrauensverhältnis, der Wohlfühlfaktor der Wertschätzung und eines dadurch gestiegenen Selbstwertgefühls. Dauerhafte Freundschaften bilden sich ungleich leichter bei gleicher Herkunft, gleicher Ethnie und ähnlichem Umfeld. Befreunden kann man sich inzwischen vermeintlich auch übers Internet, leere Beziehungen zählen einige als Statussymbol.
Entfreunden verläuft oft nach vergleichbaren Mustern. Viele Freundschaften enden schleichend, oft durch räumliche Trennung bei lockeren Bindungen, Paarbeziehungen beenden hingegen enge Freundschaften am häufigsten und öfter noch bei Männern als bei Frauen, wobei zuvor meistens die emotionale Nähe zum Freund zugunsten des Partners gekappt wurde. In diesem Umfeld läßt sich auch das Abschiedsdinner ansiedeln, die Freundschaft von Pierre und Antoine leidet unter der Entfremdung im Alltag.
       
"Was bedeuten uns Freundschaften heute noch?" frägt das Programmheft und lockt die Zuschauer auf die falsche Fährte: "Das Abschiedsdinner stellt die Frage danach, wieviel uns unsere alten Freunde wert sind, und wieviel wir bereit sind, in sie zu investieren, in einer Zeit, in der alle nach Optimierung streben." Freundschaften haben einen psychologischen Unterbau, keinen wirtschaftlichen, alle anderen Gründe sind hinreichend, aber nicht notwendig. Es ist falsche Zeitdiagnostik, wenn man glaubt, daß der Kapitalismus oder ein vermeintlicher Optimierungszwang die Ursache für endende Freundschaften sein sollen. Was das Staatstheater Optimierung nennt, ist tatsächlich das Eingeständnis einer psychologischen Entfremdung, weil sich Persönlichkeiten weiter entwickeln. Pierre und Antoine haben fast keine Chance, ihre Gemeinsamkeiten scheinen zu gering geworden.

Abschweifung: Das Karlsruher Schauspiel und das Humor-Problem
Komödien sind ein wichtiger Bestandteil des Spielplans, bereits Ende November waren die ersten vier Vorstellungen des Abschiedsdinners ausverkauft, vergleichbaren Erfolg man mit den musikalischen Komödien Spamalot und My fair Lady. Unverständlich, warum es Jan Linders in seiner Programmplanung für das Schauspiel bisher so schwer fiel, passende Komödien zu finden. Was während der letzten Jahre im Karlsruher Schauspiel fehlte, war ein umwerfende Komödie mit rasantem Tempo, bei der man noch Tage später den Muskelkater in der Lachmuskulatur und rund ums Zwerchfell spürte. Der Vorname war stabiles Boulevard-Theater - amüsant und unterhaltsam, Richtfest sehr gut konzipiert und gemacht - das war's aber auch. Das Abschiedsdinner ist lediglich ganz nett. Die fünf Jahre des scheidenden Schauspieldirektor Linders waren in vielerlei Hinsicht hochdefizitär: das Fehlen guter Komödien mit einer hohen Schlagzahl eines Abtauschs und einer fulminanten Eskalation besonders unverständlich.
    
Fazit: Sehr gute Schauspieler, eine ordentliche Inszenierung und eine durchschnittliche Komödie. Es wird gelacht, doch nicht zu viel und nicht zu stark, man schmunzelt eher und amüsiert sich gut. Das Abschiedsdinner ist bestenfalls ein netter Zeitvertreib und als Theaterstück dennoch zu fad und unaufregend.

4 Kommentare:

  1. Es wäre doch zu schön, wenn es das Abschiedsdiener für Spuhler und seine Entourage gewesen wäre......

    Ihnen lieber Honigsammler gesegnete und fröhliche Weihnacht und ein gutes und gesundes 2016 !!!

    Gruß Klaus

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    1. Herzlichen Dank! Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr.

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  2. Im BadenTV sah ich per Zufall die Werbung für den Opernball 16.
    OD Fichtenholz machte seine Sache professionell gut und unaufdringlich.

    Von Spuhler und Linders habe ich nichts bemerkt - und das war auch sehr gut so !

    Gruß Klaus

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    1. Danke für die Info. Ja, stimmt - Fichtenholzs Spuren sind langsam positiv erkennbar. Gute Gast-Stars und einiges Spannendes an den Händel Festspielen sollten bereits ihm zu verdanken sein.

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