Freitag, 2. Oktober 2015

Shakespeare - Hamlet, 30.09.2015

Vorab aus doch bemerkenswertem Anlaß mit gewissem Seltenheitswert in den letzten Jahren ein erstes Fazit: mit Spamalot, Love hurts und Hamlet gelingt dem Karlsruher Schauspiel ein ordentlicher und guter Start in die neue Spielzeit!

Hamlet vor der Hüpfburg 

Eine riesige aufblasbare Hüpfburg als dominantes Bühnenbildelement für den Königshof dürfte vorab bei einigen Skepsis hervorgerufen haben. Zu Unrecht! Der neue Karlsruher Hamlet hat viele gute Momente und spannende Szenen, die Inszenierung ist gekonnt mit einfallsreich und überraschend komponierten Szenen. Einiges gelingt, doch eines mißlingt - man kann sich nicht entscheiden, was man will. Zur Tragödie fehlt die Fallhöhe und Anteilnahme, zum Drama oft der Biß, immer wieder werden Szenen entschärft und zu viel verulkt. Zum Klamauk-Komödie fehlt manchmal nicht viel, aber das ist auch nicht Hamlet. Es ist eine Unausgewogenheit des Ausdrucks und eine halbfertige, nicht zu Ende gedachte Personenregie, die diesen Hamlet nicht zum Ereignis werden lassen: es fehlt das Abgründige, das Existentielle und der Zwiespalt. "Sein oder nicht sein" oder vielleicht doch irgend etwas dazwischen? -  etwas mehr Unbedingtheit des Konflikts hätte es schon sein können. So wird in diesem Hamlet kein Bogen geschlagen, sondern sich von Szene zu Szene gehangelt. Vom Schluß betrachtet summieren sich die guten Szenen nicht zum überzeugenden Gesamterlebnis.
                            
Worum geht es in Hamlet?

Hamlet ist ein Krimi und eine Rachegeschichte, die anders abläuft als erwartet. Denn ein perfekter Mord wird nur durch eine spiritistische Erscheinung aufgedeckt.
Es ist etwas faul im Staate Dänemark. Das Stück beginnt nachts, in Finsternis, etwas Unheilvolles liegt in der Luft, Norwegen scheint Krieg gegen Dänemark führen zu wollen, die Wachen des dänischen Königshofs beobachten wiederholt eine Erscheinung: ein Geist geht um. Vorgeschichte: Der dänische König ist vor wenigen Wochen unerwartet gestorben, sein Bruder Claudius übernimmt nicht nur sein Amt, sondern ehelicht auch seine frühere Schwägerin, die verwitwete Königsgattin Gertrude. Ihr Sohn Hamlet wird bei der Thronfolge übergangen. Er kommt mit der schnellen Heirat seiner Mutter mit seinem Onkel nicht zurecht und verachtet sie, er fühlt sich isoliert, er hat vage Selbstmordgedanken und ist des Hofs überdrüssig.

Hamlet widerfährt zum Ende des 1. Akts etwas Einschneidendes und für das Stück zentral Entscheidendes: Hamlet erscheint der Geist seines toten Vaters, der ihm enthüllt, daß er von seinem Bruder Claudius ermordet wurde (und zwar indem er ihm Gift ins Ohr träufelte - im Verlauf des Stücks erweist sich diese Beschuldigung als wahr) und Hamlet zur Rache aufruft; er soll jedoch seine Mutter Gertrude verschonen. Hamlet nimmt den Racheauftrag an und ordnet von nun an alles diesem Ziel unter. In der Folge verändert er sein Verhalten und spielt dem ganzen Hofe etwas vor, um sich nicht zu verraten (dieser zentrale Aspekt wird in der Karlsruher Inszenierung vernachlässigt und gestrichen, Hamlet spielt nichts vor, er wirkt auf seine Umwelt nur seltsam und sonderbar). Man frägt sich, was in den Prinzen gefahren ist: ist er vom Tod des Vaters einfach nur verstört, ist er in Ophelia verliebt und traut sich einfach nicht oder ist er sogar wahnsinnig? Was ist los mit dem (w)irren Prinzen Hamlet? Der König lässt ihn ausspionieren; zwei Bekannte Hamlets, Rosencrantz und Güldenstern sollen ihn im Auftrag des Königs aushorchen, der Kämmerer Polonius, der erste Mann im Staat nach dem König, setzt seine verliebte Tochter Ophelia auf ihn an. Man belauscht und belauert ihn. (Hamlet vertraut nur seinem Freund Horatio - doch der ist in Karlsruhe gestrichen, um ihn isoliert und einsam als Außenseiter zu zeigen).

Hamlet verhält sich seltsam und spricht in Rätseln - er sucht eine Möglichkeit, seinen Auftrag auszuführen. Im dritten Akt bekommt er eine Chance: eine reisender Schausteller kommt zu Gast und Hamlet instruiert ihn, vor Claudius ein Stück aufzuführen, bei dem der Mord an Hamlets Vater in anderem Zusammenhang nachgespielt wird. Claudius unterbricht die Vorstellung beim Mord und erkennt, daß Hamlet Bescheid weiß. Es kommt zum unerwarteten Zusammentreffen zwischen Hamlet und Claudius, der betet und um Vergebung seiner Sünden bittet, doch Hamlet will den Betenden (also im Zustand göttlicher Gnade) nicht töten, denn Hamlet will mehr: einen Seelenmord und Claudius soll zur Hölle fahren. Als er kurz darauf seiner Mutter heftige Vorwürfe macht und eine versteckte Person  bemerkt, kann er sich nicht mehr zurückhalten. Er tötet den Lauscher, der sich als Polonius entpuppt. Der Geist von Hamlets Vater erscheint und fordert erneut seinen Sohn auf, Gertrude zu verschonen. Diese glaubt, daß ihr Sohn wahnsinnig geworden ist. Hamlets Rache wird nun unschuldigen Opfern das Leben kosten. Claudius will ihn auf eine diplomatische Reise schicken und töten lassen, doch Hamlet durchschaut die Finte und schickt stattdessen Rosencrantz und Güldenstern in den für ihn vorgesehenen Tod.

Durch den Tod ihres Vaters Polonius und Hamlets Liebesentzug wird das Leben Ophelias zerrüttet - sie ist das wehrlose Opfer des Stücks, die unter dem ständigen Zynismus ihrer Mitwelt leidet, die sie immer nur als Mittel für eigene Belange und nie als Zweck betrachtet. Ophelia begeht mutmaßlich Selbstmord. Auf ihrer Beerdigung gerät der verzweifelte Hamlet in einen wüsten Streit mit Laertes - Polonius' Sohn und Ophelias Bruder. Laertes will ebenfalls seinen Vater und seine Schwester rächen und Hamlet töten. Claudius verbündet sich mit ihn. Es wird ein Wettkampf arrangiert: ein Duell auf sportlicher Basis zwischen Hamlet und Laertes, der von Claudius ein vergiftetes Schwert erhält und zusätzlich einen vergifteten Trunk vorbereitet hat, um Hamlet in jedem Fall aus dem Weg zu räumen. Doch es kommt anders: nicht nur Hamlet wird sterben, sondern auch Claudius, Gertrude und Laertes. Hamlets spiritistisch induzierter Rachefeldzug hat insgesamt acht Tote gefordert und ein Königshaus ausgelöscht. Dänemark fällt an den norwegischen Prinzen Fortinbras.

Was ist zu sehen?
Im Zentrum der Bühne steht "eine überdimensionierte weiße Hüpfburg, die während des Aufblasens, Schritt für Schritt, einen Großteil der Bühne des Kleinen Hauses vereinnahmt. Es ist ein Luftschloß, ein wackeliges, instabiles Symbol für die neue Zeit", das immer wieder eindrucksvoll an passenden Stellen in sich zusammensinkt. Was zuvor wie eine zu läppische Metapher wirkte, entfaltet gekonnt Wirksamkeit. Neben der Hüpfburg symbolisiert "ein Wachhäuschen, ein letzter Grenzposten, mit Patina belegt, ein Rest des alten Systems"; es ist der Rückzugsort für die Bedrängten. Die Kostüme erinnern an die 1980er, das ungarische Regie-Team ließ sich vom Niedergang und Ende des totalitären sozialistischen Ostblocks inspirieren. Die szenische Umsetzung ist gekonnt, das Inszenierungsteam weiß, was es macht. Auch die Musikauswahl ist durchdacht und auf die Szene abgestimmt, bspw. die Melodie von Schuberts Erlkönig-Vertonung zu Beginn als Spannungsmoment, Bohemian Rhapsody von Queen nachdem Hamlet Polonius ermordet hat ("Mama, just killed a man") oder wenn Larissa Wäspy, die im Karlsruher Opernstudio sang und hier als Marcellus auftritt, Hamlets Englandreise mit der Abschiedsmelodie aus dem 4. Satz von Gustav Mahlers 9. Symphonie begleitet. Nur die eingefügte Ballade Goethes Der Erlkönig (rezitiert und gesungen) über einen Sohn in Angst- und Fieberträumen will eigentlich nicht passen und behauptet Bedeutsamkeit, die nur lose Bande ist. 

Dennoch: Vieles gelingt in dieser Inszenierung und hat Hand und Fuß, einiges ist diskutabel, einigem mangelt es an Prägnanz. Die Theaterszene der Mausefalle im dritten Akt wird als Laienspiel von König und Königin gelesen - eine gute Idee, die in der Durchführung etwas zu beiläufig bleibt, zu hastig und unbetont ist. Die Monologe sind ebenfalls durchwachsen, zu selten werden sie durch die Regie gut vorbereitet, vor allem Claudius' und Ophelias Szene fehlt es an Kraft. Überhaupt muß man sagen, daß dieser Hamlet vom Ende gesehen verliert. Man steigert sich nicht, die Spannung wächst nicht. Die Fechtszene ist etwas zu kindisch, wenn dann noch Tote in der Hüpfburg hüpfen, will man das Können der Regie doch wieder ein wenig anzweifeln.

Betrachtet man die problematisch-symptomatischen vier V der letzten Jahre im Karlsruher Schauspiel -Verulkung, Verflachung, Verkürzung, Verfremdung- so kann man erleichtert feststellen, daß drei davon hier nicht zur Anwendung kommen: Hamlet ist in dieser Inszenierung weder verfremdet oder deformiert noch verflacht, er ist (wie jeder Hamlet) gekürzt, aber nicht verkürzt: alles Wesentliche ist vorhanden. Vielleicht konzentriert man sich sogar ein wenig zu stark darauf, sich durch den Kern-Hamlet zu hangeln und vergißt dabei gelegentlich, die Sicht auf manche Figuren stärker zu fokussieren: manches gewinnt nur ein unscharfes Profil. Problematisch ist die Verulkung, zu oft entgleitet Hamlet in teilweise auch sehr kurzen Momenten in den Klamauk. Der tiefe Ernst bleibt verschleiert und gewinnt nicht die erforderliche Dimension.

Wer ist zu sehen?
Als Hamlet präsentiert sich ein neuer Hauptrollenschauspieler: Sascha Tuxhorn ist seit dieser Spielzeit neu im Ensemble und startet mit einer Herkulesrolle. Die gute Nachricht: Tuxhorn macht es sehr gut, man spürt, wie motiviert er ist, daß er zeigen will, was er kann. Tuxhorn muß vielleicht sogar zu viel zeigen, manchmal wirkt es (noch) wie ein Zuviel, dem etwas Zurückhaltung gut getan hätte, bspw. im Klamauk und den schnellen Stimmungswechseln überzeichnet er. Sein Hamlet ist nicht zögernd, säumend und zaudernd, sondern hadernd, lamentierend und überspannt - ein Nervenbündel, der die eigene Befindlichkeit zu wichtig nimmt. Tuxhorn spielt ihn schnoddrig und schwafelnd, fahrig und faselnd. Dieser Hamlet scheint weniger von des Gedankens Blässe angekränkelt als von des Geschwätzes Krätze angesteckt. Tuxhorn ist stark, wenn er empört ist. Die Verachtung für den Hof spürt man besonders, wenn er den Sarkastiker herauskehrt oder seinen Zorn in Zaum zu halten versucht. Für die Entwicklung, die Hamlet durchläuft, fehlt der Regie allerdings der rote Faden. Wenn Tuxhorn am Schluß auf einmal keine Perücke trägt, erschließt sich nicht der Grund. Ein guter Hamlet Tuxhorns, doch berührt sein Schicksal in dieser Regie? Gertrudes schon, die unglückliche Nebenfigur wird durch die starke Annette Büschelberger zu einer Mutter, die leidet und im Zwiespalt ist. Weniger überzeugend ist Frank Wiegard als Claudius. Der neue König ist weder bedrohlich noch ein Machtmensch, wieso er zum Mörder wurde, erschließt sich nicht. Den Gebetsmonolg versemmelt Wiegard, weil der keinen inneren Konflikt glaubwürdig darstellt. Überhaupt ist es diskutabel, ob er nicht besser den Polonius gespielt hätte. Der bekommt von André Wagner ein strenges, tyrannisches, aus-der-Haut-fahren-wollendes Format mit senilen Abflachungen. Beide Figuren sind von der Regie nicht gründlich und tief genug ausgelegt, ein Rollentausch zwischen Wiegard und Wagner hätte beide vielleicht besser in Szene gesetzt.
Ronald Funke hat gleich drei Rollen: als Geist ist er überzeugend, als Schausteller kaum mit Funktion. Wenn dann in der allerletzten Szene zum ersten Mal der Norweger Fortinbras auftritt, ist das Publikum verwirrt, den Funke spielt auch ihn und liefert einen schwachen, nicht überzeugenden Schluß, der von der Regie mehr gewollt als gekonnt wirkt.
Ophelia bleibt blaß, eine obligate Randfigur, für deren Schicksal sich der Regisseur kaum interessiert, Laertes bleibt ebenfalls grob gezeichnet - Marthe Lola Deutschmann und Luis Quintana versuchen das Beste daraus zu machen. Rosencrantz und Güldenstern verharren als Witzfiguren, auch hier gilt, daß Maximilian Grünewald und Michel Brandt mehr daraus hätten machen können, wenn der Regisseur gewollt hätte. Die Opernsängerin Larissa Wäspy und Jonathan Bruckmeier als Wachen runden die Besetzung sehr gut ab.
  
Fazit: Knapp drei Stunden - besser als erwartet, schlechter als erhofft. Nach dem sich das Karlsruher Schauspiel vier Jahre zu oft untertroffen hat und vielfältige Defizite aufwies, ist man mit diesem Hamlet in der qualitativen Erwartungszone: eine handwerklich gute Produktion mit Normalniveau. Aber für Hamlet - "eines der bedeutendsten Bühnenstücke der Weltliteratur" - hätte man höher zielen müssen! In dieser Hinsicht hat man auch hier eine etwas vertane Chance, doch zumindest wurde sie nicht wieder in den Sand gesetzt. Es ist immer noch viel Luft nach oben; man kann nur hoffen, daß Schauspieldirektor Jan Linders sein Karlsruher Learning-on-the-job nicht schleifen läßt, sondern sich darüber bewußt ist, daß es noch ein weiter Weg ist, bis man wirklich wieder frühere Selbstverständlichkeiten erreicht und vom Standpunkt Qualität und Format vom aktuellen B-Niveau das A-Kategorie-Theater geworden ist, daß man als Zuschauer und Steuerzahler erwarten darf.

PS(1): Wieso das Programmheft kaum taugt 

Das Programmheft lockt auf die falsche Fährte und beinhaltet kaum relevante Informationen. Nur die Inhaltsangabe lohnt unter Umständen die Lektüre. Das Konzept der Regie wird ebenfalls grob umrissen, es sind gute Ideen dabei, aber sie haben keine Auswirkungen auf das Bühnengeschehen. "Um die Gräben zwischen den Generationen" soll es in Csaba Polgárs Hamlet-Inszenierung gehen, doch damit bringt man das Publikum auf die falsche Fährte. Hamlet scheint als Drama über den Zerfall des totalitären Sozialismus im Ostblock gedacht. Die Kostüme scheinen ins Jahr 1989 zu versetzen. Der faule Staat Dänemark ist ein Ostblockland, das ungarische Inszenierungsteam hat selber die Revolution 1989 erlebt. Die Regentschaft von Hamlets Vater könnte "restriktiv" und "brutal" gewesen sein, Claudius' Tat ein Tyrannenmord. Doch alle Andeutungen konkretisieren sich nicht wesentlich auf der Bühne.

PS(2):
Ein wenig ärgern darf man sich als Schauspiel-Fan darüber, daß das Badische Staatstheater in Hamlet als "einem der bedeutendsten Bühnenstücke der Weltliteratur" nicht mehr investiert hat. Es erscheint im Rahmen und Aufwand einer normalen Produktion. Man hat in Karlsruhe den Mut in Spamalot zu investieren, aber nicht in Hamlet? Es ist keine gute Botschaft, die damit vom Schauspiel vermittelt wird.

PS(3):
Wer erinnert sich noch an den letzten Hamlet? ich glaube, er wurde damals nicht oft gespielt, ich konnte mich nur an den Hauptdarsteller erinnern. Beeindruckend war damals Sebastian Kreutz als Hamlet in einer ziemlich schnell vergessenen Inszenierung. Kreutz schreibt darüber auch auf seiner spannenden Internetseite (und zwar hier), auf der er hoffentlich noch mehr Erinnerungen zusammenträgt.
                
Team und Besetzung
Hamlet: Sascha Tuxhorn 
Claudius: Frank Wiegard
Polonius, Totengräber: André Wagner
Ophelia, Totengräber: Marthe Lola Deutschmann
Gertrud: Annette Büschelberger
Laertes: Luis Quintana
Rosencrantz: Maximilian Grünewald
Güldenstern: Michel Brandt
Geist /  Schauspieler / Fortinbras: Ronald Funke
Bernardo: Jonathan Bruckmeier
Marcellus: Larissa Wäspy
  
Regie: Csaba Polgár
Bühne & Kostüme: Lili Izsák
Musik: Tamás Matkó
Künstlerische Mitarbeit / Dramaturgie: Ildikó Gáspár
Licht: Christoph Häcker

2 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,

    ich habe gerade mehrmals versucht, einen Kommentar unter deiner tollen Besprechung von "Hamlet" zu hinterlassen, aber die Technik streikte und nach dem Drücken des Buttons "veröffentlichen" verschwand mein Kommentar einfach.

    Da du dir so viel Mühe gegeben hast, ist mir eine Rückmeldung wichtig. Was ich dazu sagen wollte:

    Eine sehr zutreffende und gründliche Analyse, danke!
    Ich kann in allem zustimmen, nur sehe ich das mit den vier V's kritischer. Wieso wurde zum Beispiel Horatio herausgestrichen? Das ist für mich keine Kürzung, sondern Verflachung und Verkürzung. Und die Verfremdungseffekte mit Musik und "Fecht"szene fand ich auch unpassend - was sollten sie in mir bewirken? Außer Kopfschütteln erst mal nichts.
    Schade, dass die große Stärke von Sascha Tuxhorn, melancholische Charaktere zu spielen, nicht genutzt wurde. Er kann mehr, als er zeigen durfte und ich hoffe, dass er in Karlsruhe demnächst die Chance dazu bekommt. Als Einstand nicht ganz so gelungen.

    Nochmals danke, ich finde deinen Beitrag viel tiefgründiger als manch eine Rezension in der Zeitung.

    Viele Grüße aus Mannheim
    Susanne

    P.S.: Bald kommt ja der Londoner Hamlet in die Kinos. Auch keine völlig überzeugende Inszenierung, aber eine deutlich gründlichere Auseinandersetzung mit dem Text. Nur so als Tipp =)

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    1. Hallo Susanne,

      herzlichen Dank für die freundliche Nachricht, die ich für dich hier gepostet habe.

      Mit den vier Vs bezog ich mich auf das Gesamtstück und den Gesamteindruck. Hamlet wird ja immer gekürzt, auch Personen entfallen, kaum ein Stück kann so viel Anpassungen vertragen und immer noch spannend und neu sein. Für mich war dieser Hamlet legitim, fast alles was ich erwarte war vorhanden. Einzelne Momente waren problematisch, ohne daß ich dem Kern-Hamlet deswegen vermisst habe. Daß Horatio gestrichen ist konnte ich verkraften, die Erklärung der Regie, daß Hamlet isoliert ist, klingt für mich akzeptabel. Ich sah auch schon einen Hamlet, bei dem Rosencrantz und Güldenstern gestrichen waren, damals konnte ich auch damit leben (auch Horatio war mal bei einer Inszenierung so in Hamlet verliebt, daß er aus Eifersucht Ophelia erst quälte, dann tötete und es als Unfall aussehen ließ - selbst das war für mich im Rahmen inszenatorischer Freiheit für einen Nebenhandlungsstrang).

      Musik in Theaterstücken ist für mich keine Verfremdung, oft ist es Verzögerung und Handlungsbremse, manchmal untermalt sie mehr die Stimmung des Regisseurs als der Szene, die meistens nicht mit meiner Empfindung übereinstimmt, manchmal liefert sie eine sinnvolle Ergänzung der Handlung, selten ist es ein Gewinn, bestenfalls stört sie mich nicht. Hier fand ich sie o.k.!

      Also der Vorhang zu und vieles bleibt diskutabel. Sascha Tuxhorn hingegen scheint ein klarer Zugewinn für das Karlsruher Schauspiel zu sein. Nun hat Schauspieldirektor Jan Linders bei der Besetzung von Hauptrollen schon einige meines Erachtens unverständliche Entscheidungen getroffen. Ich hoffe, daß Tuxhorn durchstarten darf und nicht in den falschen Produktionen landet. So jemand wie ihn braucht man dringend im Karlsruher Ensemble.

      Noch mal vielen Dank für den Kommentar und ja, den Londoner Hamlet (sie meinen den mit Cumberbatch) schau ich mir an, wenn er im Kino zu sehen ist. Cumberbatch sehe ich sehr gern zu.

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