Ein weitere schöne barocke Entdeckung, allerdings ohne szenische Tiefenwirkung - so präsentiert sich Leucippo bei den Schwetzinger SWR Festspielen.
Hasse, Metastasio und die Opera Seria
Johann Adolf Hasse (*1699 †1783) komponierte dutzende Opern und war zusammen mit seine Frau (der berühmten Sängerin Faustina Bordoni, die für Händel in London sang) ein maßgeblicher, internationaler Star der europäischen Opernszene seiner Zeit. Befreundet mit dem berühmtesten und überhaupt meistvertonten Opern-Librettisten Pietro Metastasio (*1698 †1782), dessen über 30 Bühnenwerke er fast alle in Noten setzte, entwickelte sich Hasse zum maßgebenden Komponisten der italienischen Opera Seria, deren Mustern er stetig folgte. Die Opera Seria ist stilistisch geprägt durch ihre Verbindlichkeit in wenig variablen Formen und ohne Ausnahmewerke, durch die Konvention eines glücklichen Endes sowie ihrer Situationsgebundenheit: meistens komponiert als ein repräsentatives Auftragswerk für einen bestimmten Anlaß, ein bestimmtes Orchester und für bekannte Sänger, deren Vorzüge und Schwächen in der Partitur berücksichtigt wurden. Hasse war kein Neuerer, sondern ein Vollender. Nach Mozart geriet er -wie der ganze Stil der Opera Seria- schnell in Vergessenheit, trotz hoher musikalischer Qualität. Händel (*1685 †1759) war origineller, Gluck (*1714 †1787) innovativer, Hasse hingegen der Liebling der Fürsten und des Publikums, ein Abbild seiner Zeit und ohne Einfluß auf die folgende Generation.
Worum geht es?
Leucippo (UA 1747 in Dresden) beruht auf keinem Libretto Metastasios, sondern ist eine Favola Pastorale
von Giovanni Claudio Pasquini. Hasse überarbeitete die Partitur
beträchtlich für eine spätere Aufführung in Schwetzingen 1757. Für
Dresden stand ihm mit dem berühmten Kastraten Carestini ein Star der
Opernszene zur Verfügung, für Schwetzingen musste er die sängerischen
Ansprüche senken.
Der SWR beschreibt die Handlung folgendermaßen:
»Gemäß
der so beliebten Gattung des tonidyllischen musikalischen Schäferspiels
widmet sich Hasses Werk einem alten und recht häufig verwandten Stoff.
Es geht darin um die Liebe des Jünglings Leucippo zu der schönen Dafne.
Der Titelheld, im Knabenalter entführt, trifft auf den Oberpriester
Narete, in Wirklichkeit sein leiblicher Vater, der seine Bestrafung zu
betreiben hat – ein veritabler ödipaler Randkonflikt. Dafne, der zu
ewiger Keuschheit verpflichteten Priesterin der Diana, der göttlichen
Protektorin der Jungfräulichkeit, ist der Held gänzlich verfallen. Damit
einhergeht – wie auch anders? – der dramatische Konflikt zwischen
Pflicht und Neigung. Das gängige Happy End offeriert auch dem
obligatorischen zweiten Liebespaar, bestehend aus Leucippos Schwester
Climene und seinem Freund Nunte, den ersehnten Hochzeitssegen. Vernunft
und Natur haben sich damit, als getreue Kinder Jean Jacques Rousseaus,
aufs Innigste vereint.«
Was ist zu sehen?
Die Regisseurin Tatjana Gürbaca ist laut Jahresumfrage der Zeitschrift Opernwelt ›Regisseurin des Jahres 2013‹ und ihre Inszenierung von Richard Wagners Parsifal an der Vlaamse Opera in Antwerpen/Gent wurde in London als beste Opernproduktion mit dem ›Opera Award 2014‹ ausgezeichnet. Gürbaca ist bis zum Ende der Spielzeit noch Operndirektorin am Staatstheater in Mainz und wird danach erst mal nur als Regisseurin arbeiten. Für Leucippo fand sie allerdings keinen überzeugenden Zugang zum antiquierten Schäferspiel. Sie erzählt eine dreistufige Entwicklungsgeschichte: der erste Akt zeigt Harmonie mit ersten Rissen und das überwiegend in sich ziehender Langeweile. Die Handlung im antik-paradiesischen Arkadien schwenkt dann im zweiten und zu Beginn des dritten Akts zur Komödie über: die utopische Gesellschaft kommt in die Pubertät und entdeckt die Liebe und Rebellion. Nach über einer Stunde leichter Sterilität gibt es hier zum ersten mal Szenenapplaus. Doch das Ende wird dann todernst, das musikalische Happy-End wird dem Publikum szenisch versagt; auch in der Mythologie fanden Leucippo und Dafne kein Glück.
Was ist zu hören?
Ca 20 Arien in knapp 2,5 Stunden reiner Spielzeit und einer Pause. Alle Sänger sind sehr gut und ausgeglichen besetzt. Der am stärksten mit Applaus und Bravos bedachte Publikumsliebling war die souveräne Claudia Rohrbach in der Rolle des Delio. Ihre Stimme hatte die stärkste Ausstrahlung an diesem Abend. Der 1986 geborene russische Countertenor Vasily Khoroshev hat eine schöne Stimme, der es allerdings noch etwas an Ausdruck und Gestaltungskraft mangelt - als Leucippo blieb er etwas zu blaß. Die erkrankte Franziska Gottwald konnte die Dafne nur szenisch spielen; mit nur 24 Stunden Vorbereitungszeit sang die finnische Mezzosporanistin Virpi Räisänen aus dem Orchestergraben und rettet die Aufführung auf hohem Niveau. Sängerisch eine sehr schöne Aufführung von allen Sängern - Bravo!
Wer oft Barockopern hört, bemerkt die Unterschiede im Orchesterklang. In Karlsruhe hat man das Glück, mit den Deutschen Händel-Solisten ein Orchester zu haben, das nur aus Barock-Experten besteht und höchsten Ansprüchen gerecht wird. Kleineren Formationen mangelt es hingegen oft an Variabilität und Klangschönheit. Das Concerto Köln mit seinem Dirigenten Konrad Junghänel gehört zu den besten Barockorchestern und bewies das gestern auch beeindruckend. Bravo!
Fazit: Musikalisch eine schöne Entdeckung mit sehr guter Besetzung!
Die Inszenierung funktioniert nur bedingt: zu betulich zu Beginn, zu uneindeutig in der Ausführung, zu unklar in der Absicht - szenisch ergibt sich kein bleibender Eindruck
Team und Besetzung
Leucippo - Vasily Khoroshev
Narete - Francisco Fernández-Rueda
Dafne - Franziska Gottwald / Virpi Räisänen
Climene - Netta Or
Delio - Claudia Rohrbach
Nunte - Holger Falk
Musikalische Leitung - Konrad Junghänel
Concerto Köln
Barock Vokal Mainz
Regie - Tatjana Gürbaca
Bühnenbild - Henrik Ahr
Kostüme - Barbara Drosihn
Lichtdesign - Andreas Grüter
Koproduktion der Schwetzinger SWR Festspiele mit der Oper Köln
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Diese Besprechung aus Linz kam unter meine Augen.
AntwortenLöschenAn Sie zur Info.
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/3639870/carmen-premiere-spaltete-linzer-publikum.story
Hebelkova habe ich schon live erlebt. Gut Frau und bald auf ihrem Zenith
Gruß Klaus
Danke für den Hinweis!
LöschenNachschlag. Positives !!! aus Kassel
AntwortenLöschenhttp://www.nmz.de/online/der-schatten-der-uebermaechte-im-lichte-der-musik-frau-ohne-schatten-am-staatstheater-kassel-
Guts Nächtle Klaus
Ach ja, das waren noch Zeiten als in Karlsruhe Richard Strauss Opern zu hören waren :-)
Löschenzu Ihrer Info.
AntwortenLöschenselbst Wien scheint Kopf zu stehen
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.premiere-in-der-bayerischen-staatsoper-bernd-alois-zimmermanns-die-soldaten-dirigiert-von-kirill-petrenko-ein-muss.f464beb7-e306-401f-8100-dd653fe9d269.html
Gruß Klaus
Danke!
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