Freitag, 9. Mai 2014

Georg Kaiser - Gas I & II, 08.05.2014

Schade! Wenig inspirierend, wenig spannend, wenig besonders!
Die Premiere dieser Karlsruher Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen erfolgte bereits im letzten Jahr im Mai 2013 in Recklinghausen. Gestern fand nun die erste Karlsruher Aufführung statt. Man hat sich einen weitestgehend vergessenen Autor und Text ausgesucht, den man wiederbeleben wollte - aber es war nur ein künstliches Zum-Leben-erwecken. Das Stück blieb tot.

Georg Kaiser (*1878 †1945) war ein Autor mit Vision und Sendungsbewußtsein. Ganz unbescheiden nannte er die 'Erneuerung des Menschen' seine moralische Aufgabe. In der Weimarer Republik war er neben Gerhard Hauptmann der meist aufgeführte Dramatiker, nach 1945 war er aus der Mode - seine Visionen zogen nicht mehr.
Kaiser ist Allegoriker seiner Begriffe, seine Figuren sind ins Symbolische und Formelhafte gesetzte Repräsentanten seiner Ideen und Visionen. Gestern fehlte deutlich etwas,  um mehr Spannung oder Interesse aufkommen zu lassen; die Defizite liegen am Text, der es verpasst, seinen Figuren Leben und Individualität einzuhauchen, am Thema, das zwar nahe an unserer Zeit  ist, aber doch nicht zeitgemäß genug behandelt wird und am Regisseur, der zu betulich inszenierte.
 
Worum geht es? 
Um knapp 100 Jahre alte Science Fiction, Gas I/II wurde 1920 uraufgeführt. Ein einziger Gaskonzern stellt in der futuristischen Welt von Gas I die Energieversorgung der ganzen Welt sicher. Alle Arbeiter werden am Gewinn beteiligt, doch nach einer Explosion (der Atomkraftwerksunfall in Fukushima kommt schon nicht mehr unmittelbar ins Gedächtnis) mit vielen toten Arbeitern wird der Firmenbesitzer skeptisch und will aus der Produktion aussteigen. Doch die Arbeiter sehen ihre Zukunft nicht im Rückschritt als selbstversorgende Bauern und lassen sich ihre Einkommensquelle nicht nehmen, sie streiken. Der Staat enteignet den Besitzer und übernimmt die Anlage.
Gas II spielt ca 30-40 Jahre später. Man ist im Krieg, die Arbeiter des Gaskonzerns leiden unter den Arbeitsbedingungen. Wieder streiken die Arbeiter und versuchen diesmal, Frieden zu stiften. Doch wird die Anlage während des Friedensappels vom Feind militärisch übernommen und zur Produktion gezwungen. Doch ein Ingenieur hat die rächende Idee: er hat eine tödliche Gaswaffe erfunden.

Marxistische Analyse im Programmheft
Liest denn am Badischen Staatstheater niemand mehr die eigenen Publikationen? Im Programmheft werden Kaisers Intentionen zwar erläutert, aber dabei mit einer dubiosen, altertümlichen Deutung unterlegt, als wollte man beweisen, daß hier alles schon längst in jeder Hinsicht geschichtlich überholt ist. So reduziert man z.B. komplexe Zusammenhänge auf einfachste monokausale marxistische Thesen:
".... daß die Fanatisierung zum Untergang, die ein knappes Jahrzehnt nach der Publikation von Gas mit dem Einzug der NSDAP ins Parlament ihren Anfang nahm, nicht auf eine fehlgeleitete Gesellschaft zurückzuführen ist, sondern dem kapitalistischen System immanent ist."
Wer hätte gedacht, daß es so einfach sein könnte - Hitler war also nur systemimmanente Folge des Kapitalismus?!? Leider fehlt der Verweis auf das renommierte wissenschaftliche Werk, das zu dieser sehr simplen Schlußfolgerung im Programmheft des Badischen Staatstheaters kommt. Oder werden hier nur Verdachtsmomente und schlecht recherchierte, persönliche oder historische Meinungen geäußert?

Aber die vorsintflutlich-marxistische Analyse des Karlsruher Schauspiels geht unangenehm weiter:
"Kaiser verwies auf die Strukturen, die Freiheit verneinen: Militarismus, Nationalismus, Entfremdung, Profitmaximierung, Zweckrationalität, ökologische Skrupellosigkeit. Wer unter solchen Bedingungen leidet, kann Freiheit nicht erkennen, sie also auch nicht politisch-praktisch verwirklichen."
Ja, da benötigt man wohl doch den elitären Berufsrevolutionär Lenin'scher Prägung, um den Entfremdeten die Augen zu öffnen und die Freiheit zu bringen, die sie selber nicht erkennen oder erringen können.

Forschung und Fortschritt werden im Programmheft auf zwei Aspekte reduziert: den "kapitalistischen Zwang zur Profitmaximierung" und "erbarmungslose Gewinnorientierung" - auch hier will man Komplexes ausschließlich in die marxistische Schablone der Verhältnisse vor 100 Jahren pressen und verpasst die Chance, Theater für heute zu machen.

Der Ambivalenz des technologischen Fortschritts wird man mit Gas I/II auch nicht gerecht. Diese Ambivalenz findet sich schon lange nicht mehr auf industriell-technologischer Seite, wo man inzwischen aufgrund von Rohstoffknappheit längst an Kreislaufsystemen und Wiederverwertungszyklen arbeitet, der Umweltschutz ein Wirtschaftsfaktor geworden ist und sogar Unfälle wie Tschernobyl und Fukushima als lokale Phänomene so eingedämmt wurden, daß in Europa und weltweit der Bau von neuen Kernkraftwerken Priorität hat und nur in sehr wenigen Nationen kritisch gesehen wird (ach ja: "Wer unter solchen Bedingungen leidet, kann Freiheit nicht erkennen, sie also auch nicht politisch-praktisch verwirklichen" - der Kernkraft-freundliche  Rest der Welt braucht aus dieser Sicht Belehrung und Hilfe der wahren Freien). Die Ambivalenz des technologischen Fortschritts ist heute immer noch im Bereich der Gentechnik zu finden - das passende Theaterstück hat sich Hollywood bereits mehrfach als Drehbuch schreiben lassen.

Was ist zu sehen?  

Der Regisseur meidet Aktualisierungen und Zuspitzungen, die den Text im Licht heutiger Problemstellung vergegenwärtigen und verlässt sich ganz auf die historische Substanz (was aber keine Entschuldigung für die oben genannten Defizite im Begleittext ist). Der erste Teil (ca 100 Minuten) hat wenige spannende Momente und einige monologische Durchhänger, die man besser straffend gekürzt hätte, sowie viel statisches Bühnengeschehen. Der zweite Teil (ca 45 Minuten) ist sprachlich radikaler und bewegter. Keine Figur hat bei Kaiser einen Namen, er zeigt fast nur Menschen als Masse ohne Individualität. Besondere darstellerischen Qualitäten darf folglich auch niemand beweisen - eine gute Ensemble-Leistung der Schauspieler mit wenig Profilierungsmöglichkeit.

Bühnenbildner Sebastian Hannak ist eine der beeindruckenden Entdeckungen der letzten Jahre für die Karlsruher Bühne. Er stattete bisher die Ballette Momo und Mythos sowie im Schauspiel Jakob der Lügner erfolgreich aus. Auch hier ist im wieder eine interessante Lösung gelungen. Die Bühne zeigt eine geborstene Fabrikationshalle mit einem Gerüst, das den Zuschauerraum mit einbezieht und die Gefahr der Figuren durch einen in den Bühnenraum hineinragenden Steg versinnbildlicht, auf dem sich die Schauspieler nur mit Karabinerhaken gesichert bewegen können - visuell das Spannendste an diesem Theaterabend. Allerdings besteht für viele Plätze Sichtbehinderung. Die Kostüme sind der Entstehungszeit entlehnt und verzichten auf eine künstliche Aktualisierung

Fazit: Eine spröde Premiere, die zu selten mit Leben gefüllt ist. Trotz einer durchaus spannenden Grundkonstellation, driftet man zu oft in Langeweile und Belanglosigkeit ab. Die Regie zeigt das Stück in veraltetem Gewand und thematisch mit wenig Aussagekraft. Der Zwiespältigkeit des Themas wird man leider nicht gerecht. Wer's nicht sieht, hat leider nichts verpasst.
    
PS: Das war's schon: die letzte Premiere im Schauspiel für den Rest der Spielzeit, Hesses Glasperlenspiel ist in die kommende Spielzeit verschoben, ein Gastspiel füllt die Lücke. Im Studio hat man auch nur Dokumentarisches/Journalistisches. Die Durststrecke ist symptomatisch für das Karlsruher Schauspiel: zu oft ist man einfallslos, unoriginell und ohne besondere Vorkommnisse. Schauspiel ohne Ausstrahlungskraft. Ein unwissender und unvoreingenommener Besucher würde vermuten, daß der Schauspieldirektor zum Ende der Spielzeit gehen muß, nicht der Operndirektor, der 2014 mit Dr. Atomic, Riccardo Primo, Rinaldo, Meistersinger und den bevorstehenden Premieren definitiv sein Publikum besser und anspruchsvoller unterhält.

Besetzung und Team:
GAS I
Der weiße Herr: Annette Büschelberger
Milliardärssohn: Andrej Kaminsky
Tochter: Joanna Kitzl
Offizier: Jonas Riemer
Ingenieur: Jan Andreesen
Schwarzer Herr: Robert Besta, Ronald Funke, Sascha Özlem Soydan
Regierungsvertreter: Robert Besta
Schreiber: Natanaël Lienhard
Junger Arbeiter: Johannes Schumacher
Arbeiter: Gunnar Schmidt
Mädchen: Stephanie Biesolt
Frau: Sascha Özlem Soydan
Mutter: Annette Büschelberger
Hauptmann: Ronald Funke

GAS II
Milliardärarbeiter: Jan Andreesen
Großingenieur: Andrej Kaminsky
Blaufigur: Johannes Schumacher, Robert Besta, Gunnar Schmidt, Natanaël Lienhard, Jonas Riemer, Sascha Özlem Soydan
Gelbfigur: Annette Büschelberger, Joanna Kitzl, Robert Besta, Gunnar Schmidt, Ronald Funke, Gunnar Schmidt, Natanaël Lienhard
Arbeitermädchen: Stephanie Biesolt
Arbeiterjunge: Johannes Schumacher
Arbeiterfrau: Sascha Özlem Soydan
Arbeitermann: Jonas Riemer
Arbeitergreisin: Annette Büschelberger
Arbeitergreis: Ronald Funke

Regie: Hansgünther Heyme
Bühne und Kostüme: Sebastian Hannak
Musik: Saskia Bladt

6 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,
    ich bin gestern bei Gas1/2 eingeschlafen. Das ist mir noch nie passiert.
    Überraschend die doch erkennbar vorhandenen leeren Plätze (und ich meine nicht die auf den sichtbehinderten Plätzen) die zeigen ddas das Karlsruher Premierenpublikum ziemlich uninterissiert war. Der arme Jan Linders wirkte etwas hilflos. Rennt das Publikum ihm davon oder kann es nur gut einschätzen was es sehen will und was nicht? Die Kulturtage sind auch so ein Thema, wirklich interessant finde ich nichts. Da lese ich lieber eines der vielen ausgezeichneten Bücher zum 1. Weltkrieg.
    Bzgl. Karlsruher Schauspiel: diese Spielzeit war stinklangweilig! Wird es nächste Saison besser?

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    1. Da habe ich Sie vielleicht gesehen: zwei Besucher in meiner Nachbarschaft legten eine kleine Schlafpause ein ;-)
      Es war wirklich ungewohnt leer für eine Schauspielpremiere - die Gründe kann ich schlecht beurteilen. Ich habe selber die letzten zwei Premieren verpasst und ja: diese Spielzeit hatte gute Ansätze und ist seit Jahreswechsel wirklich sehr langweilig. "Die Hoffnung stirbt zuletzt" heißt es. Bei mir liegt sie schon im Sterben. Ich hoffe dennoch von ganzem Herzen, daß sich das Karlsruher Schauspiel fängt und irgendwie eine normale Spielzeit auf die Beine stellen kann. Über die Gründe der Karlsruher Schauspiel-Schwäche werde ich am Ende der Spielzeit einiges zu schreiben haben ....

      PS: Bzgl Europäische Kulturtage und 1.Weltkrieg habe ich eine Buchempfehlungen, falls Sie das Thema auch interessiert:
      Inzwischen ein Bestseller:
      Christopher Clark - Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog

      Und ganz ausführlich (>1000 Seiten), aber ich habe mich noch für keines der drei Bücher entschieden_
      Jörg Friedrich - 14/18: Der Weg nach Versailles
      Jörn Leonhard - Die Büchse der Pandora
      Herfried Münkler - Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

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  2. Ein Blog welcher mich interessiert.
    Die staatlichen Karlsruher Bühnen liegen in Agonie oder doch im Wachkoma? Der Exitus ist schemenhaft wahrnehmbar. Schade...... oder doch nicht..... ?????

    Mit traurigem Gruße



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    1. @anonym
      Vielen Dank für Ihr Interesse.
      "Agonie oder doch im Wachkoma?" - Spontan wollte ich mich nicht entscheiden. Schlafwandelnd oder nach Orientierung suchend?, würde ich ergänzen, aber erst am Ende der Spielzeit nehme ich mir die Zeit für eine Standortbestimmung. Ich weiß bereits, daß ich mir einiges vom Herzen zu schreiben habe, da mir viel Freude und Spannung im Karlsruher Staatstheater verloren gegangen ist.
      "Der Exitus ist schemenhaft wahrnehmbar" - Nein, ich glaube nicht! Ich bin ein Anhänger zyklisch zu deutender Phänomene und glaube, daß gerade wieder eine bessere Zeit für die bundesdeutschen Bühnen anbricht. Das Übermaß an Konserven und Virtualität macht die Leute wieder neugierig auf Live-Erlebnisse. Dennoch wird es wahrscheinlich Veränderungen geben: in den nächsten Jahren wird aus Altersgründen die Anzahl der Abonnements in Karlsruhe zurückgehen. Wer soll die Lücken füllen? Daß Spuhler in der Hinsicht aktiv ist, muß man lobend anerkennen. Allerdings glaube ich, daß langfristig eines nötig und entscheidend ist: ein überzeugendes Bühnengeschehen - und daran mangelt es meines Erachtens. Man bemüht sich zu oft darum, Anschluß zu halten. Man versucht mit zu schwachen Mitteln zu gestalten.

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  3. Ich habe zwar durchgehalten, weil die Schauspieler ihr Bestes gaben, mich aber dennoch ständig gefragt, warum ausgerechnet dieses Drama mit seinem merkwürdigen Menschenbild und der unglaubwürdigen Figurenzeichnung eine kritische Reflexion zum Thema Krieg bzw. Chemiewaffen 100 Jahre nach dem 1. Weltkrieg befördern soll. Etliche Zeitgenossen Kaisers warten noch darauf, in Karlsruhe neu aufgeführt zu werden.

    Die ersten verließen in der 40. Spielminute den Saal. Ich schätze, dass ca. 15 % des ohnehin kleinen Premierenkreises nach der Pause gingen, auch im zweiten Teil klackten öfters die oberen Ausgangstüren. Ich gestehe, dass ich noch einer höflichen Generation angehöre, die bis zum Ende bleibt.
    Das Ehepaar an meiner Seite hat mitgeteilt, das Premierenabonnement zu kündigen.
    Ich kann es verstehen.


    Am FR 09.05.2014 konnte GI Spuhler sein Steckenpferd vom offenen Theater abermals in der Sendung „Theater für alle?“ (SWR 2 Forum; http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/rueckschau/-/id=660194/1365uzh/index.html ) reiten.
    Es sind auch sehr erstaunliche Äußerungen zum Schauspiel vernehmbar. Diese grenzen an Wahrnehmungsstörungen/Realitätsverlust: das (o Schreck) meist über 50jährige Publikum scheint dem Ansatz eines radikalen Schauspielspielplans im Karlsruher Schauspiel nicht gewachsen zu sein. Dennoch haben sich die Zuschauerzahlen beinahe verdoppelt.
    O-Ton Spuhler: „Traditionelle Besuchergruppen sagen, das ist gar nicht mehr mein Theater. (…) Warum ist der Theaterbegriff so verändert? (…) Wir machen ein neues radikales Theater.“
    Es habe unter seinen Vorgängern keine Heranführung des jungen Publikums ans Theater gegeben; erst seit Spuhler kommen wieder junge Leute ins Haus. Aus der Öffnung für Studenten und der billigen Studentenkarten (die gab es auch vorher schon) resultiere ein größerer Zuspruch der Aufführungen. Weiß Spuhler auch, dass Studenten wegziehen werden?
    Und dann müssen auch die Migranten (auffälligerweise gern als v. a. türkische Mitbürger wahrgenommen) endlich bedient werden, da sie schließlich mit einem 20% Anteil in Karlsruhe leben und somit (auch zu 20 %?) das BST mitfinanzieren.

    Der Moderator sprach auch an, dass das Publikum wegen guter Schauspieler komme und nannte u. a. den Namen Timo Tank. Spuhler gab keinen Hinweis auf die neueste Personalentwicklung; kurz vorher betonte er noch seine Aufrichtigkeit im Umgang mit kritischen Äußerungen.

    Mein Fazit: Spuhlers ‚radikales Schauspiel’ benötigt ein radikales Publikum.
    Bislang lässt sich das traditionelle Publikum nur vergraulen. Sucht sich Spuhler/Linders das Publikum, das ihnen gefällt?

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    1. Hallo Puck,
      herzlichen Dank für den Kommentar. Den Radiobeitrag konnte ich mir bisher noch nicht anhören. Leider neigt Herr Spuhler meines Erachtens zum Gebrauch von Worthülsen und Sinnentleerungen, um den Verlust an konstruktiven Ideen zu kaschieren. In drei Jahren hat er nicht einen Satz gesagt oder geschrieben, der mich vorteilhaft beeindruckt hätte. Aber das ist ja auch nicht notwendig: Die Wahrheit liegt auf der Bühne - und das ist für ihn ein Nachteil. Daß er Timo Tanks Abgang nicht gleich im Radiogespräch erwähnt, ist für mich typisch für seinen Umgang mit Fakten. Was nicht in seine scheinbare Erfolgsgeschichte passt, wird ignoriert. Nur schade, daß die Journalisten sich damit abspeisen lassen und vergessen haben, was ihren Job ausmachen sollte: kritisch zu sein und Fehlentwicklungen zu benennen. So sind Intendant und Journalist nicht in einem Interview, sondern meines Erachtens auf einer Bühne und spielen Fachgespräche vor.

      Radikal ist für mich, wer das Gefühl für das richtige Maß verloren hat. Radikal ist, wer auf Biegen und Brechen unbedingt etwas ändern will, ohne Rücksicht auf Verluste. Daß Spuhler Worte wie "radikal" wohl für schick und zeitgemäß hält, überrascht mich nicht. Spuhlers Theater ist in der Hinsicht radikal, daß es Qualität nicht mehr in den Mittelpunkt stellt, daß es nur ein unzureichende Kreativität besitzt und Themen hinterherläuft, die dann meistens ideenlos umgesetzt werden. Seine Intendanz ist für mich bisher das traurige Schauspiel des Nichtgenügens. Aber dazu mehr am Ende der Spielzeit, wenn ich mir meinen Frust über die für mich künstlerisch defizitäre Intendanz von der Seele schreibe.

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