Donnerstag, 22. Mai 2014

Adams - Dr. Atomic, 21.05.2014

Auch vier Monate nach der Premiere (mehr hier) ist die Inszenierung des ersten Akts von Dr. Atomic ein geniales visuelles Meisterwerk. Besser kann man Musik und Handlung nicht umsetzen und auf den Punkt bringen und die Zuhörer/-schauer auf eine Reise mitnehmen. Der zweite Akt bleibt hingegen ein für viele nur schwer überwindbares Hindernis. Das Warten auf die Testzündung soll für die Figuren quälend langsam erscheinen, aber zu viele Zuschauer beginnen sich langsam zu quälen und springen dabei aus Langeweile ab. Bei Yuval Sharons Regie kommt das Publikum im zweiten Teil nicht auf seine Kosten. Die prekäre Gefühlslage des Zweifelns und Wartens, des Hoffens und der Infragestellung überdehnt sich auch visuell in langsames und ermüdendes Bühnengeschehen. Das Konzept der Animation und schnellen Schnitte des ersten Akts wird dadurch formell zwar perfekt kontrastiert, aber praktisch stürzt die Hochspannung des ersten Akts dadurch über weite Strecken des zweiten Akts zu stark ab und wird dadurch doppelt problematisch: musikalisch gedehnt und szenisch gebrochen. Durch stärkere Bilder wäre er zumindest aufgewertet worden. Erst gegen Ende findet sich beim Countdown die Beklemmung ein, die zuvor fehlte. Überhaupt ist Dr. Atomic kein Meisterwerk - die Musik trägt nicht über die komplette Zeit, das Libretto ist aus Zitaten zusammengestückelt und täuscht eine Mischung aus Tiefsinn und Dokumentation vor, die kein rundes Ganzes ergibt.

Politische Oper? Historische Oper?
Bereits anlässlich von Wallenberg wurde im Rahmen dieses Blogs die Frage gestellt, was denn nun politische Oper sei. Im aktuellen Theatermagazin wird dieses Thema im Gespräch mit fünf Regisseuren weiter umkreist und gezeigt, daß Politische Oper ein diskutables Etikett bleibt. Es gibt Etikette, die sich die Theater gerne anheften: politisch, radikal, mutig, gesellschaftlich engagiert .... Eine indirekte Rechtfertigung und ein schlechtes Gewissen scheinen daraus zu sprechen. Man täuscht eine gesellschaftliche Relevanz vor, da man der Kunstform an sich nicht vertraut. Zweckkunst also anstelle von Kunstzweck. Selbstbewußte Theater würden andere Begriffe wählen, die die Autonomie der Kunst betonen und sich deshalb gesellschaftlich relevant sehen: verspielt, opulent, phantasievoll, seelenvoll, grüblerisch, nachdenklich, .... Politische Oper ist aktuell überwiegend historische Oper, die reale Vorkommnisse in der Geschichte mit Abstand von einigen Jahrzehnten behandeln und die Figuren und Momente mit mehr oder weniger künstlicher politischer Bedeutsamkeit unterlegen.

Ein Gegenbeispiel für Politische Oper
Die türkische Regisseurin Yekta Kara inszenierte 2004 in Karlsruhe Mozarts Entführung aus dem Serail und zeigte wie beiläufig, daß sogar Mozart ganz unangestrengt als politische Oper inszeniert werden kann. Sie ließ Traditionalisten und westlich orientierte Türken aufeinander treffen und zeigte im Schlußbild eine Analyse der türkischen Gesellschaft: eine gespaltene Nation, in der sich zwei Lager gegenüberstehen. Die Westeuropäer kamen zwischen Gier und Barbarentum nicht gut davon: die Regisseurin zeigte Belmonte als hektischen Investment Banker im Anzug, Pedrillo trug mit Sportschuhen und Hawaii-Hemd die Insignien geschmackloser Ignoranz gegenüber dem Gastland. Karas Mozart-Inszenierung war politischer und aufschlußreicher als das, was man in Karlsruhe in den letzten drei Jahren mit dem Slogan "politisch" etikettierte.

Verlust der Programmlinien

Nächste Spielzeit (hier zur Vorschau) gibt es keine neue "politische Oper". Die groß angekündigten Programmlinien in der Oper, für die man den wenig aussagekräftigen Preis "Bestes Opernprogramm 2012/13" erhielt (einige werden damals über die schwache Begründung geschmunzelt haben: "Beeindruckend ist ... die Stringenz, mit der thematische Linien verfolgt werden.") hat sich also schon wieder erledigt. Oder ob Offenbachs Fantasio hier die Reihen doch zu schließen vermag? Auch Glucks Iphigenie auf Tauris wird zwar auf Französisch gesungen, aber die Reihe "französischer" Opern wird damit nur halbherzig weitergeführt. Es warten andere Kaliber französischer Komponisten auf ihre Karlsruher (Wieder-)Entdeckung: Lully, Rameau, Meyerbeer, Halévy, Massenet oder Gustave Charpentier.

2 Kommentare:

  1. Auch ich konnte mit dem Etikett "politische Oper" herzlich wenig anfangen. In Zeiten wie diesen, in denen Theater und insbesondere die als elitär verschmähte Gattung Oper "gesellschaftlich relevant" sein müssen um nicht den Geldhahn zugedreht zu bekommen, soll mir jegliches Label lieb sein um eine Rechtfertigung zu haben, moderne Opern vor halbleerem Haus zu spielen. Ich verdanke der "politischen" Oper jedenfalls bemerkenswerte Abende - insbesondere "Dantons Tod", der sich zu meiner heimlichen Lieblingsoper (nach WW II) gemausert hat.

    Freilich - es wäre schön, wenn mehr Theater (und da ist KA ja nicht allein) ihre programmatische Linie konsequent durchziehen würden und sich nicht alle drei Spielzeiten neu erfinden würden.

    (F.Kaspar)

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    1. Hallo Herr Kaspar,
      Dantons Tod war wirklich eine spannende musikalische Erfahrung. Der neue Operndirektor scheint ja auch stärker als sein Vorgänger ein Stimm-Experte zu sein, der dann vielleicht zukünftig ähnlich wie Thomas Brux primär die passenden Partien und Opern für die Sänger findet. Was kommt, ist mir fast egal, sofern ich es nicht noch im Ohr und vor Augen habe: La Bohème und Falstafff kommen in der Hinsicht für mich nächste Saison zu früh, waren sie doch im letzten Jahrzehnt erst in Karlsruhe noch zu hören. Parsifal zwar auch, aber das ist schon ein sehr spezielles Werk. Eine Oper die ich nicht immer hören kann, ähnlich wie gewisse Opern der letzten drei Jahre, die mir den Spielplan etwas zu schwer machten.
      Ansonsten sind mir Programmlinien fast egal, denn wenn die richtigen Sänger vorhanden sind und die Inszenierung passt, dann sehe ich eine Oper gerne öfters. Das ist auch mein Hauptkritikpunkt der letzten drei Jahre: ich hätte mir gewisse Opern über einen längeren Zeitraum und dafür nur alle 1-2 Monate gewünscht. Dann sehe ich mir eine Inszenierung automatisch öfters an. Berlioz Trojaner vermisse ich in der Hinsicht.
      Die "politischen" Opern und Werke des 20. Jahrhunderts gehören zu den schönsten Entdeckungen der letzen Jahre: ob nun Brittens Tod in Venedig oder Peter Grimes, die Griechische Passion oder die Passagierin, Adams, Delius, von Einem und wie sie alle heißen: alles Abende, die hervorragend gemacht waren und mir in Erinnerung blieben.

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