Die Richtfest-Premiere vor knapp 10 Tagen war ein großer Erfolg (mehr dazu hier) und auch die gestrige dritte Aufführung bestätigt den sehr guten Eindruck: die Inszenierung ist auf den Punkt und getragen von sehr guten Schauspielern. Es fällt weiterhin schwer jemanden hervorheben, dennoch sind es besonders Gunnar Schmidt und André Wagner sowie Lisa Schlegel und Sophia Löffler, die das Geschehen immer wieder prägen. Es lohnt sich bei dieser Inszenierung in den Gesichtern der nicht sprechenden Figuren zu lesen. Man kann dort mehr bemerken, als man beim einmaligen Besuch wahrnehmen kann. Beim zweiten Anschauen ergaben sich gestern wieder ganz neue starke Momente und auch einen dritten und vierten Besuch des Karlsruher Richtfests kann ich mir gut vorstellen. Bravo an alle Beteiligte!
Gestern war noch nicht ganz ausverkauft. Das sollte sich hoffentlich bald ändern. Richtfest ist turbulenter und spannender als der gemächlichere und harmlosere Vorname.
Es war zuletzt ein langer und immer wieder qualvoller Weg als Zuschauer des Karlsruher Schauspiels. Aber nach fast 2,5 Jahren mit neuer Schauspieldirektion habe ich mir gestern endlich wieder etwas Selbstverständlichkeit zurückerobern können. Zum ersten Mal seit dem Intendanzwechsel habe ich mir eine Schauspiel-Inszenierung zum zweiten Mal angeschaut - und das mit großer Freude. Es gab zuvor zwar schon andere Kandidaten für eine Zweitbesichtigung, aber berechtige Vorbehalte oder inhaltliche Inkongruenzen aufgrund des beengenden Zielgruppencharakters überwogen meistens meine Planungen. Mit Kabale und Liebe, dem KSC-Projekt und Richtfest hat man es zu Beginn der dritten Spielzeit endlich geschafft, ein wenig Normalität einziehen zu lassen. Die stereotyp verunglückte Endstation Sehnsucht soll hier als fehlgeschlagenes Experiment deshalb nur schwach zu Buche schlagen.
Die Gesamtbilanz bleibt zwar weiterhin negativ, aber das zarte Pflänzchen Aufwärtstrend hat hoffentlich auch Ende Januar nach den zwei nächsten relevanten Premieren Bestand. Nur schade, daß der Rest der Spielzeit danach wieder fast keine interessante Produktionen zu bieten hat und verflacht oder wieder nur spezielle Zielgruppen bedient und andere Zuschauer ausgrenzt. Zumindest untheatralisch wird es zugehen: Doku-Theater zur NSU, klischeebehaftetes Schülertheater mit Maienschlager, ein hunderte Seiten langer Hermann Hesse Roman als Bühnenadaption. Mit Gas I+II von Georg Kaiser hat man zwar auch ein Theaterstück im Programm, allerdings fand die Premiere bereits im Sommer dieses Jahrs bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen statt und wurde von der Kritik überwiegend ohne Emphase trocken besprochen.
Nach Shakespeares Sommernachtstraum und der Komödie Benefiz Ende Januar ist die Spielzeit also fast schon beendet und nur die Theater in Frankfurt, Stuttgart und evtl. anderswo können Asyl bieten, während man als Theater-Fan in Karlsruhe ca. 9 Monate (!) auf die nächste richtige Premiere zu Beginn der kommenden Spielzeit warten muß. Es scheint als würde das zarte Pflänzchen Aufwärtstrend 2014 sang- und klanglos vertrocknen. Aber immerhin hatte man für eine kurze Zeit mal wieder den Eindruck qualitativer Normalität.
Hallo liebes Staatstheater!
Traut euch! Gutes Theater ist dem Publikum zumutbar! Karlsruhe verträgt Theater auf dem Niveau von Frankfurt oder anderen Städten. Daß man kein Vertrauen in die eigene Qualität als Schauspiel hat und auf Senioren-, Schüler-, Beschallungs- und anderes Zielgruppentheater setzt, spricht nicht für das Selbstvertrauen und die Anspruchshaltung, die man von den Theaterverantwortlichen in Karlsruhe gewohnt war.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.