Endlich wieder Ein Maskenball am Badischen Staatstheater! Über 30 Jahre mußte man in Karlsruhe auf eine Neuinszenierung dieser schönen Oper warten, über die man in einem alten Opernführer die Bemerkung findet, daß sie der erklärte Liebling aller Verdifreunde sei. Die MET in New York hat sie bereits ca. 300 mal gespielt. Nachdem das Badische Staatstheater bspw. mit Wallenberg und der Passagierin, mit Romeo und Julia auf dem Dorfe und Peter Grimes viel Sorgfalt auf weniger bekannte Opern richtete, galt es gestern, dem breiten Karlsruher Publikum mit Verdis Un Ballo in Maschera ein Geschenk zu machen: der neue Maskenball löste bei der Premiere musikalisch Begeisterung aus. Die Inszenierung bekam freundlichen Applaus - nicht mehr, aber auch nicht viel weniger. Doch es blieb der Eindruck, daß szenisch mehr möglich gewesen wäre.
Der erklärte Liebling aller Verdifreunde
Der Maskenball ist Verdis Remake der Oper Gustav III. von Daniel-François-Esprit Auber. Grundlage ist ein historisches Ereignis: der Mord am schwedischen König Gustav III im Jahr 1792. Die Hintergründe waren allerdings politisch und sind bei Verdi frei erfunden. Die Zensur hatte Einwände gegen einen Mord an einem Regenten und Verdi und sein Librettist verlegten die Oper nach Boston, aus dem König wurde ein Gouverneur. Die Musik blieb dabei unverändert, nur die Namen sind anders. In Karlsruhe wird die ursprüngliche Schweden-Fassung mit König gespielt.
Verdis Un Ballo in Maschera zeichnet sich aus durch eine straffe Dramaturgie, die sich rasch entwickelt: musikalisch spannend und reich an Höhepunkten und dabei qualitativ homogen und hochwertig - eine gelungene Synthese beliebter Stilelemente unterschiedlicher Herkunft: Liebesschmelz und Rache, Pathos, Liebe und Tod. Inhaltlich bietet Ein Maskenball alles, was man sich in einer Oper des 19. Jahrhunderts wünschen kann: unerfüllbare Liebe, die ihre Unmöglichkeit erkennt und entsagt, eine Wahrsagerin, die schauerromantische Voraussagen trifft, dunkle Verschwörer, die per Los einen Attentäter bestimmen, ein Meuchelmord auf einem Maskenball - alles Zutaten, die man kennt und bei Verdi zu neuer Folgerichtigkeit synthetisiert werden. In Verdis 1859 uraufgeführter Oper meint man Anleihen von früheren und Hinweise auf spätere Opern zu hören - das vollkommene Beispiel für Verdis mittlere Schaffensphase.
Was ist zu sehen?
Zu Anfang ein Lob: sensationell plastisch wirkt der fatal grinsende Totenschädel des Vorhangs - dafür ein Bravo! an die Bühnenmaler.
Regisseur Aron Stiehl ist nicht der Vertreter subtiler oder ambivalenter Inszenierungen. Schon Tannhäuser und La Vestale zeigten klare, ja fast schon plakative Verhältnisse - Ein Maskenball liegt auf dieser Linie. Wer Stiehls bisherige Arbeiten in Karlsruhe nicht schätzte, den wird auch diese Regie nicht glücklich machen.
Die Architektur des Bühnenbilds zeigt einen geteilten Raum: links in altem, rechts in modernem Stil. Schnell wird der Raum durch einen Riß geteilt und auch die Figuren der Opern unterliegen dem Dualismus von Konservatismus und Moderne. König Gustav ist einerseits ein Neuerer, aber auch charakterlich leichtfertig und verspielt. Er zeigt wenig Lust an seinen administrativen Pflichten und spielt mit einem Jojo. Auch die Liebe zu Amelia und der Verzicht auf sie lassen ihn nicht reifen - der Jojo bleibt sein Spielzeug. Der Aufbruch zur Wahrsagerin Ulrica erinnert an Fasching: man verkleidet sich und will Spaß haben, Sänger und Chor haben eine unfreiwillig steife Tanzchoreographie, Oscar ist der Cheerleader, Gustav macht als Matrose lustig gemeinte Schwimmbewegungen und wirkt mit seinem Jojo wie ein preußischer Pennäler. Ulrica tritt im Kunstnebel auf und wird aus dem Untergrund nach oben gefahren. Amelias heimlichtuender Diener ist kostümiert als Inspektor Clouseau aus den Blake Edwards Filmen. Die Verschwörer haben blutig rote Finger und sind alle uniformiert mit Melone und Regenschirm. Ein senkrecht von oben kreisrundes Licht geht für das Liebesduett und am Ende für den sterbenden König an - selten sieht man Transzendenz so plakativ. Doch trotz dieser überraschungsfreien Inszenierungssprache gibt es einen positiven Aspekt: wer sich als Verdifreund vor zwei Jahren über den geschmacklosen und beliebigen Rigoletto ärgerte, der wird beim Maskenball mehr Freude haben, denn die Inszenierung stört zumindest nicht beim Zuhören!
Was ist zu hören?
Viele Bravos und einhellige Zustimmung belohnten die spannende und kurzweilige musikalische Umsetzung. Andrea Shin hat als Gustav eine Paraderolle - die Arien passen wunderbar zu seiner schönen Tenorstimme. Auch im dritten Jahr seiner Ensemblezugehörigkeit kann man sich in Karlsruhe glücklich schätzen, ihn am Haus zu haben. Was soll man noch zu Barbara Dobrzanska sagen? Auch für sie ist die Amelia eine weitere ihrer zahllosen Paraderollen, in denen sie Maßstäbe setzt. Es ist auch das Jahr der Ewa Wolak: als unerbittliche Fricka setzte sie im Wagnerschen Ring ein Ausrufezeichen und auch als Ulrica kommt man stimmlich fast nicht an ihr vorbei: welche andere Altistin kann dieser Rolle so viel abgründige Tiefe verleihen? Jaco Venter als stimmgewaltiger Graf Anckarström, Ina Schlingensiepen als kolaratursicherer Oscar und der bereits als Verdi-Dirigent etablierte Johannes Willig vervollständigen gleichwertig das Sextett der Hauptakteure. Dazu ein wie üblich von Ulrich Wagner perfekt vorbereiteter Chor und makellose Leistungen in den Nebenrollen ergänzen die erneut großartige musikalische Leistung, die man seit Jahren am Badischen Staatstheater erfolgreich pflegt. An alle: BRAVO!
Fazit: Eine von Verdis schönsten Opern in musikalisch fesselnder Umsetzung, mit herausragenden Sängern und einer im guten wie im schlechten Sinne konventionellen und soliden Inszenierung über die sich ebenfalls im positiven wie im negativen Sinne keine Aufregung ergeben wird.
Besetzung & Team
Amelia - Barbara Dobrzanska
König Gustav III. von Schweden - Andrea Shin
Graf Anckarström - Jaco Venter
Ulrica - Ewa Wolak
Oscar - Ina Schlingensiepen
Ribbing - Lucas Harbour
Horn - Luiz Molz
Cristiano - Andrew Finden
Oberrichter - Johannes Eidloth
Ein Diener - Jan Heinrich Kuschel
Dirigent - Johannes Willig
Regie - Aron Stiehl
Bühne - Friedrich Eggert
Kostüme - Doey Lüthi
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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@Klaus / @anonym1&2
AntwortenLöschenPardon, statt Ihre Kommentare zu veröffentlichen habe ich sie wohl versehentlich gelöscht. Ich werde versuchen, auf alle drei zusammen einzugehen, da sie sich auch teilweise inhaltlich überschneiden.
Vielen Dank für die übereinstimmende Bestätigung, daß es sich um eine musikalisch sehr gelungene Premiere gehandelt hat. Die Inszenierung hat ihre Probleme mit unterschiedlichen Schwachstellen. Ich werde nach der B-Premiere noch mal darauf eingehen.
@Klaus: Die Ausstattung war für mich nur bedingt störend. Ob Boston oder Schweden-Fassung ist mir fast egal. Die schwedische Variante finde ich sinnvoller, aber im Endeffekt ist es eine psychologisch wenig ergiebige Dreiecksgeschichte, die Verdi komponiert hat und die nur sehr selten eine außergewöhnliche Inszenierung zulässt. Ja, die Kostüme passen wahrscheinlich besser zur Boston-Fassung - für mich tatsächlich kein Schmerzpunkt.
Eric Fennell in Pforzheim ist zweifellos ein guter Tenor, so viel weiß ich vom Hörensagen, aber ich mag Shins Stimme sehr und war bisher von allen seinen Auftritten (Duca, Don José, Licinius und gestern Gustav) überzeugt. Für mich von Anfang an ein Gewinn im Karlsruher Ensemble.
@anonym: ja, Schlingensiepen hätte ich noch mehr herausheben können (übrigens auch Venter, auch Willig und das Orchester), aber ich höre mir den Maskenball noch mehrmals an und werde sie später würdigen.
@anonym: Ich war noch nicht in Pforzheim und würde diesen und den Heidelberger Maskenball nur besuchen, wenn sie deutlich besser inszeniert wären. Den Vergleich der 3 Maskenbälle überlasse ich wohl der Presse oder anderen. Ich bin aus musikalischen Gründen mit der Karlsruher Aufführung rundum glücklich und benötige den Vergleich eigentlich nicht.
Hallo Honigsammler
AntwortenLöschenIhre Nachsicht mit der Arbeit von Aaron Stiehl kann ich nicht teilen. Es ist ja nicht so, dass es in Karlsruhe keine guten Inszenierungen gäbe. Aaron Stiehl hat uns aber jetzt in Serie einen schwachen Tannhäuser, eine ebensolche Vestalin und jetzt diesen Maskenball eingebrockt. Obwohl die Zeit des sog. Regietheaters vorbei ist, glaubt er noch immer überflüssige Deutungen präsentieren zu müssen. Zu allem Überfluss verwechselt er Deutung auch noch mit platter Symbolik. Was der Besucher sowieso schon weiß wird ihm dick aufgetragen nochmals im Bühnenbild und den Kostümen aufgedrängt. Die Personenführung – falls eine erkennbar wird - folgt demselben Muster. Das Bühnengeschehen wird ganz aus dem Textbuch abgeleitet, nirgendwo aus der Partitiur.
Solche Inszenierungen passieren – auch bei versierten Dramaturgen. Dreimal hintereinander ist allerdings zweimal zuviel.
Als Beispiel für eine gelungene Inszenierung empfehle ich Ihnen die Ariadne in Frankfurt. Dort ist zu erleben, wie Musik auf der Bühne dargestellt wird. Brigitte Fassbaender hat zig-mal den Komponisten selbst gesungen und kennt auch sonst jede Note der Oper. Sie bringt auch jede Note rüber. Sie ist keine prominente Regisseurin, nur eine kompetente Insiderin des Opernbetriebs. Das reicht wohl für Karlsruhe nicht.
Guten Tag Herr Kiefer,
Löschenvielen Dank für Ihre richtige Analyse. Bei Tannhäuser war ich visuell und musikalisch überzeugt, bei La Vestale war ich deshalb nachsichtig, weil ich mich sehr darüber gefreut habe, endlich mal eine Spontini Oper zu hören. Der neue Maskenball ist für mich inszenatorisch enttäuschend, und zwar, weil die Regie langweilig und hölzern ist. Doch ärgern konnte ich mich darüber nicht: zu durchschnittlich und mäßig. Eine Inszenierung, wie man sie oft sieht und schnell vergißt. Nach der B-Premiere am Mittwoch werde ich darauf eingehen.
Dennoch ging ich am Samstag gut gelaunt nach Hause: musikalisch war ich so überzeugt, daß mich die Regie dann dann doch nur wenig gestört hat. Stiehl wurde für mich durch die Sänger und Musiker etwas gerettet. Sie können das berechtigterweise Nachsicht nennen.
Ihr Frankfurter Beispiel trifft den Nagel auf den Kopf.
@Klaus- Danke!
AntwortenLöschenHallo Herr Kiefer, vielen Dank für die persönliche Analyse zu Stiehls Stil. Seine Deutungsversuche stören mich weniger als seine dafür eingesetzten Mittel, die mir zu plakativ erscheinen. Mal schauen, wie mir heute Abend die B-Premiere gefällt.
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