Zuschauerzahlen haben sich normalisiert
Fast 100 Vorstellungen mehr als in der letzten Saison, ein Anstieg um über 12% auf 883 Aufführungen, und ein Publikumszuwachs von fast 9%. Man hatte zum ersten Mal seit der Spielzeit 1999/2000 knapp über 300.000 Besucher. Die Auslastung stieg um ca. 3% auf 85%. Doch zeigen diese Zahlen auch, daß Quantität nicht zwangsläufig für Qualität stehen muß. Es gibt anscheinend so viele Vorstellungen wie noch nie (1989/1990: 554 Vorstellungen mit ca 365.000 Zuschauer und 90% Auslastung) und doch fällt es den regelmäßigen Besuchern teilweise schwer, etwas Interessantes im Wochenplan zu finden.Problemzone Schauspiel
Die beiden ersten Teile Rückblick (1) und Rückblick (2) beschäftigen sich mit der Karlsruher Problemsparte, bei der man im Sprechtheater enttäuschte und sich dagegen erfolgreich auf musikalische Beschallungsstücke sowie Schüler-und Jugendtheater konzentrierte. Schön, daß sich man sich so sehr um diese Gruppen kümmert, aber für den Erwachsenenbetrieb ist das Programm weniger abwechslungsreich als in den Jahren zuvor. Das Karlsruher Schauspiel verpasste dabei zudem den Anschluß an die Qualitätsstandards der letzten Jahre und kann überregional nicht mehr mithalten. Hier kann man nur vordergründig mit der Spielzeit zufrieden sein und darf sich nicht zurücklehnen.
Zu den Zahlen: 73 Vorstellungen mehr als letztes Jahr, davon 62 im Studio (ein Anstieg von 130 auf 192): Der Vorname und das 44 mal gespielte Abituriententhema Agnes waren meistens ausverkauft. Viele andere Produktionen im Studio verschwanden dagegen fast ungesehen vom Spielplan. Wie schon letztes Jahr retteten die beiden Singspiele die Bilanz des Schauspiels: ca 30% der 75.000 Besucher waren in Alice und Dylan.
Die Höhepunkte gab es in der Oper
Originell und spannend ist die Oper. Nicht nur in der
Programmauswahl, sondern auch bei den Inszenierungen. Zu Beginn der Spielzeit rettete man den thematisch etwas unzeitgemäßen Tannhäuser
durch eine optisch überzeugende Aufführung. Der Vetter
aus Dingsda war musikalisch eine Meisterleistung, La Vestale eine schöne Rarität und wie die Regimentstochter solide umgesetzt. Die Passagierin hat vielleicht das meiste Prestige für die Karlsruher Oper gebracht und Peter Grimes war eine fesselnde Produktion. Die Händel-Festspiele enttäuschten etwas, doch die Vorschau für 2014 lässt kommende Spielzeit eine der bisher schönsten Festspielwochen erhoffen. Die Opern, die auch für ein sehr breites Publikum tauglich sind, holt man überwiegend aus dem Repertoire vergangener Intendanzen. (Erfolgreich waren in diesem Jahr bspw. Carmen, Zauberflöte und die einmalige Nibelungenring-Aufführung.) Dennoch wirkten die Wiederaufnahmen (bei denen wahrscheinlich nicht nur ich dachte: "schon wieder") auf einige langjährige Besucher ein wenig ermüdend. Doch auch hier scheint eine Relativierung notwendig, denn man muß sich bei dem bedienen, was in den Lagerräumen steht. Und hier könnte Achim Thorwald einiges entsorgt haben, was man als Zuschauer nun vermisst. Es wäre interessant zu wissen, was man überhaupt vor 2 Jahren als Repertoire im Lager vorfand.
Unzufrieden kann man darüber sein, daß der Spielplan nicht den Abwechslungsreichtum bot, den man gewohnt war. Wo die Entscheidung, was man unter der Woche besucht vor zwei Jahren gut durchdacht sein wollte, bekam man z.B. im Frühsommer wochenlang fast immer nur das gleiche Programm geboten.
Würde man nur auf die Besucherzahlen schauen, dann müßte man sich um die Oper die meisten Sorgen machen: in 143 Vorstellungen hatte man 102.118 Zuschauer, das letzte Jahr der Thorwald-Intendanz zog in 123 Vorstellungen 104.405 Besucher an. Hier muß sich Schaback bei Spielplanvielfalt und Programmauswahl also noch steigern. Mit dem Maskenball, der Fledermaus und den Meistersingern könnte dies nächste Spielzeit gelingen.
Auffällig ist, wie sehr sich die Strategie des Musiktheaters von der des Schauspiels unterscheidet. Schaback/Feuchtner laufen dem Publikum nicht hinterher, sondern verfolgen in den ersten beiden Spielzeiten ihre eigene künstlerische Linie, von der in Karlsruhe vor allem die Opernliebhaber profitieren, bekommt man doch fast nur Werke zu hören, die es sehr lange nicht mehr oder noch nie in Karlsruhe auf dem Spielplan standen. Vor einem Jahr ließ man sich bereits übertriebenerweise für das "beste" Opernprogramm feiern - mit Blick auf dann drei Spielzeiten kam man aber in jedem Fall ein wirklich interessantes Programm feststellen. Die Oper ist in Karlsruhe die Sparte, die aufgrund ihrer künstlerischen Leistung mehr Zuschauer verdient hätte. Also ein Glückwunsch und vielen Dank an Joscha Schaback und Bernd Feuchtner, die Sänger sowie den Karlsruher Chor mit Ulrich Wagner und alle anderen Beteiligten. Ich freue mich auf die kommende Spielzeit.
Symphoniekonzerte - Best of Anthony Bramall in Kazushi Ono Style
Es war ein sehr gutes Jahr, das vor allem durch die Solisten begeisterte: Boris Berezovsky, Benjamin Moser, Maximilian Hornung, Gidon Kremer - hochkarätige Künstler gab es zu hören. Viel
bekanntes Repertoire der letzten ca 10 Jahre wurde in dieser Spielzeit
gespielt, also Stücke, die bereits Anthony Bramall auf das Programm
setzte. Nächstes Jahr gibt es dazu im Gegensatz sehr viele Raritäten, die ihre Publikumstauglichkeit beweisen müssen. Wie schon beim früheren GMD Kazushi Ono setzt man in den Konzerten auch wieder stärker auf Zeitgenössisches und Unbekanntes. Justin Brown ist als GMD nicht nur unumstritten, sondern beim Publikum in hohem Maß beliebt und akzeptiert. Auch hier kann man sich auf die nächsten Konzerte freuen.
Publikumslieblinge - Ballett im bewährten Modus
Das Ballett bleibt weiterhin die Sparte mit der höchsten Auslastung - fabelhafte
94 %! Diese Spielzeit hatte einen Übergangscharakter. Nach den gefeierten Uraufführungen der vorangegangen Spielzeit (Siegfried und Momo) gab es die Wiederaufnahme von Giselle und eine deutsche Erstaufführung: das kurze, knapp einstündige Ballett In den Winden im Nichts kann öfters getanzt werden und hatte mit ca 12.500 Besucher den höchsten Ballett-Zuspruch der Saison. Schwanensee, Nußknacker und Giselle waren ständig ausverkauft und erreichten sogar 100% Platzauslastung.Birgit Keil hat bisher immer verstanden, die richtigen Werke für Ihre Kompagnie auszusuchen und dennoch muß man ein wenig darauf achten, nicht zu sehr in Tschaikowsky-Programm-Routine zu geraten. Dornröschen wird nächste Spielzeit ein großer Erfolg, das Karlsruher Publikum hat ein Faible für klassisches Handlungsballett. Oder fehlt nur die richtige Alternative, bspw. ein musikalisches moderneres Ballett abseits der Klassiklinie?
Das Junge Staatstheater
Innerhalb von zwei Jahren etabliert und mit starker Ausstrahlung. Hier scheint die einzige wichtige neue Errungenschaft der letzten zwei Jahre zu sein. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Besucherzahl um 10 % auf 34.000 gestiegen, davon über 21.000 im Weihnachtsmärchen Die zertanzten Schuhe. 453 Schulen haben das Theater besucht (170 mehr als im Vorjahr) und das konnte man auch bei Schauspielbesuchen bemerken: dort profitierte man von den vielen Schülern, die bspw. durch Agnes, Dantons Tod, Werther etc. geschleust wurden und die Zuschauerzahlen wachsen ließen.
Zur Außendarstellung - Intensiver Selbstapplaus
Eigenlob stinkt, so heißt es zumindest
in der Umgangssprache und wer glaubt, daß dieser Satz treffend ist, der
wird im Verlauf der letzten beiden Spielzeiten erstaunt zur Kenntnis genommen
haben, daß man auf der Internetpräsenz des Badischen Staatstheaters
nicht nur -und völlig zu Recht- positive Rezensionen über die eigene
Arbeit veröffentlicht, sondern auch selber darüber schreibt, was man
vermeintlich Tolles geleistet hat. Unfreiwillig komisch wird es immer dann, wenn das Zentralkomitee des
Badischen Staatstheaters nach Premieren bekannt gibt, wie seine eigene Arbeit zu beurteilen ist
und die Feelings beschreibt, die es mit seinen Inszenierungen meint, ausgelöst zu haben. In der vorangegangenen Spielzeit fand man sich oft "berührend". Man schwärmte über die berührende Kraft der eigenen Arbeit, man konnte in den offiziellen Mitteilungstexten die Rührung darüber spüren, sich berührend zu fühlen. In letzter Zeit ist das Lieblingswort des Badischen Staatstheaters "intensiv". Man beschreibt sich selber damit und wäre es so gerne: intensiv wahrgenommen, intensiv gefragt, intensiv rezipiert, bestimmt auch intensiv bezahlt. Tatsächlich ist man im Schauspiel überwiegend intensiv langweilig, im Ballett und bei Singspielen dafür intensiv beliebt und in Oper und Konzert intensiv auf Kurs. Nächstes Jahr wird man sich dann vielleicht als "intensiv berührend" oder "berührend intensiv" bezeichnen. Wer sich über die Humorlosigkeit des Schauspiels beschwerte, kann sich zumindest über die unfreiwillig komische Selbstdarstellung amüsieren. Man scheint also weder den eigenen Produktionen noch dem Publikum zu vertrauen und erweckt den Eindruck, als fühle man sich nicht richtig gewürdigt und schreibe sich deshalb gerne selber schön. So wundert es nicht, welches Schauspiel auch zukünftig zu erwarten sein wird. Schon jetzt kann man prognostizieren, daß man auch zukünftig die Selbstapplausmühle für das wieder-mal-nicht-so-Besondere heftig drehen wird. Einen unguten Beigeschmack werden dabei einige aufmerksamere Zuschauer nicht ignorieren können. Oder geht es hier nur um die anstehende Vertragsverlängerung der bis 2016 engagierten aktuellen Intendanz?
und die Feelings beschreibt, die es mit seinen Inszenierungen meint, ausgelöst zu haben. In der vorangegangenen Spielzeit fand man sich oft "berührend". Man schwärmte über die berührende Kraft der eigenen Arbeit, man konnte in den offiziellen Mitteilungstexten die Rührung darüber spüren, sich berührend zu fühlen. In letzter Zeit ist das Lieblingswort des Badischen Staatstheaters "intensiv". Man beschreibt sich selber damit und wäre es so gerne: intensiv wahrgenommen, intensiv gefragt, intensiv rezipiert, bestimmt auch intensiv bezahlt. Tatsächlich ist man im Schauspiel überwiegend intensiv langweilig, im Ballett und bei Singspielen dafür intensiv beliebt und in Oper und Konzert intensiv auf Kurs. Nächstes Jahr wird man sich dann vielleicht als "intensiv berührend" oder "berührend intensiv" bezeichnen. Wer sich über die Humorlosigkeit des Schauspiels beschwerte, kann sich zumindest über die unfreiwillig komische Selbstdarstellung amüsieren. Man scheint also weder den eigenen Produktionen noch dem Publikum zu vertrauen und erweckt den Eindruck, als fühle man sich nicht richtig gewürdigt und schreibe sich deshalb gerne selber schön. So wundert es nicht, welches Schauspiel auch zukünftig zu erwarten sein wird. Schon jetzt kann man prognostizieren, daß man auch zukünftig die Selbstapplausmühle für das wieder-mal-nicht-so-Besondere heftig drehen wird. Einen unguten Beigeschmack werden dabei einige aufmerksamere Zuschauer nicht ignorieren können. Oder geht es hier nur um die anstehende Vertragsverlängerung der bis 2016 engagierten aktuellen Intendanz?
'And the winner is' oder 'Mehr Schein als Sein'
Heute gehört es also zum
fragwürdigen Ton, sich selber anzupreisen und die vermeintlichen eigenen
Verdienste ins Rampenlicht stellt. Dazu passen auch die obskuren
Preise, die man verliehen bekommen hat, vor allem, weil es
Theorie-Preise sind, bei denen es nicht um die Qualität der
künstlerischen Arbeit und Aufführungen geht, sondern um aus der Ferne
bewertete Konzepte. Auf den Programmheften und sonstigen Publikationen
bedankte man sich für die Preise, als wüsste man genau, daß man sie
weniger durch harte Arbeit verdient als vielmehr verliehen bekommen hat.Zum Abschluß ein Ergebnis: 37:5
37:5 - so meine persönliche Statistik zugunsten des Badischen Staatstheater, das ich in dieser Spielzeit an 42 Abenden nur fünfmal enttäuscht verließ. Dennoch hinterließ die Spielzeit nur den Eindruck einer normal durchschnittlichen Saison mit Höhen und Tiefen und immer wieder fand ich nichts im Wochenprogramm, was mich interessierte oder ein zweites mal sehen wollte. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit sah ich mir wieder verstärkt das Programm der umgebenden Städte an, um Alternativen an freien Abenden zu finden.
In eigener Sache:
HERZLICHEN DANK für die vielen sehr guten Kommentare, die diesem Blog im Verlauf des Jahres zu zahlreichen neue Aspekten verhalfen!
Für mich immer noch überraschend, daß dieses kulturelle Wahrnehmungstagebuch so viele Leser findet und sich deren Anzahl im Verlauf der Spielzeit mehr als verdoppelt hat. Ich nehme es als gutes Zeichen für das Interesse an den Menschen, die in den 883 Vorstellungen dieser Spielzeit ihren Zuschauern so viel Glück und Spannung schenkten. Deshalb HERZLICHEN DANK vor allem an alle Mitarbeiter des Badischen Staatstheater für ein bei meinen Besuchen stets reibungsloses und professionelles Jahr!
ÜBERSICHT:
Oper:
Barry - The Triumph of Beauty and Deceit
Berlioz - Die Trojaner
Bizet - Carmen
Britten - Peter Grimes
Delius - Romeo und Julia auf dem Dorfe
Donizetti - Die Regimentstochter
Händel - Alessandro
Händel - The Triumph of Time and Truth
Künneke - Der Vetter aus Dingsda
Spontini - La Vestale
Wagner - Rheingold
Wagner - Die Walküre
Wagner - Tannhäuser
Weinberg - Die Passagierin
Ballett:
Giselle
In den Winden im Nichts
Der Nußknacker
Siegfried
Schauspiel:
Delaporte/Patelliere - Der Vorname
Richter - My Secret Garden
Schnitzler - Der einsame Weg
Singspiel
Waits - Alice
Jugend-/Schülertheater:
Büchner - Dantons Tod
Kleist - Prinz Friedrich vom Homburg
Shakespeare - Wie es euch gefällt
Stamm - Agnes
Tschechow - Die Möwe
Konzerte:
8 Symphoniekonzerte + Schönberg - Gurrelieder
Diverses:
Händel Festspiele 2013
Theaterfest 2013
Zuschauerumfrage + Publikumsanalyse
PS: Nur zum privaten Gebrauch / persönliche Statistik für die Spielzeit 2012/2013:
19 Opernbesuche / 13 Produktionen
3 Schauspielbesuche / 3 Produktionen
1 Singspielbesuch / 1 Produktion
5 Jugend-/Schülertheater-Besuche / 5 Produktionen
9 Konzertbesuche / 9 Konzerte
4 Ballettbesuche / 4 Produktionen
Theaterfest
Fazit: 42 Abende im Badischen Staatstheater. Es gab schon deutlich bessere Jahre.
Auch wenn ich nicht immer übereinstimme, lese ich Ihre gedankenreichen Beiträge immer mit großem Gewinn und inzwischen als unerlässliche Informationsquelle rund um meine Besuche. Und da bin ich nicht alleine, wie mir meine Pausengespräche zeigen. Auf ein neues und bis zur hoffentlich etwas aufregenderen nächsten Spielzeit 13/14!
AntwortenLöschenVielen Dank & einen schönen Sommer
LöschenHallo Honigsammler,
AntwortenLöschenich danke Ihnen für Ihren viele interessanten Beiträge und Ihre Mühe und freue mich bereits auf Ihre Fortsetzung 2013/14. Die Karlsruher Oper ist für mich auf einem guten Weg und der Maskenball ist eine Oper, die ich immer wieder gerne höre. Hoffentlich wird die Regie gut. Kennen Sie schon die Besetzung?
Viele Grüße
Christian
Vielen Dank. Der Maskenball wird m.E. sängerisch sehr gut. Die Besetzung können Sie bereits auf der Seite des Badischen Staatstheaters abrufen:
Löschenhttp://www2.staatstheater.karlsruhe.de/programm/besetzung/1670/