Das Badische Staatstheater scheint gegen Spielzeitende eine Schwächephase zu haben: im Schauspiel hat man einen vielfältigen Spielplan, kann aber qualitativ nicht mit früheren Leistungen mithalten, in der Oper arbeitet man hingegen auf hohem Qualitätsniveau, nur der Spielplan ist gerade nicht besonders abwechslungsreich (mehr dazu auch hier). Es sind also gute Gründe vorhanden, um mal wieder über den eigenen Tellerrand zu blicken. Nach der Bestätigung, daß im Schauspiel Frankfurt das Theater geboten wird, das man in Karlsruhe schmerzlich vermisst, zeigte der Ausflug nach Stuttgart, daß man in der Karlsruher Oper bestens aufgestellt ist und man nur am Spielplan feilen sollte.
Die Neuinszenierung von Rossinis La Cenerentola hatte vor wenigen Tagen am 30.06. Premiere in Stuttgart. (Am Badischen Staatstheater wurde sie übrigens zuletzt vor über 30 Jahren inszeniert). Rossinis Aschenbrödel ist ohne märchenhafte Elemente (keine Fee und kein Zauber) -
eine bürgerliche Komödie vom Aufstieg eines armen und herzensguten
Mädchens durch Liebe. In Stuttgart ist die Handlung modernisiert: der Prinz ist ein
Konzernerbe und wird während der Ouvertüre vom Aufsichtsrat (der Männerchor, bei dem zwei
Männer in Frauenkleidern stecken, um die Frauenquote zu erfüllen)
aufgefordert zu heiraten, um den Firmenbesitz als Erbe zu erhalten. Don Ramiro
tauscht mit seinem Diener die Rollen und beide ziehen los, um die
passende Kandidatin zu suchen, unterstützt vom Unternehmensberater
Alidoro, der die Handlungsfäden in der Hand hat. Cenerentola ist in dieser Inszenierung anfänglich eine schüchterne und
gehemmte Person, deren verarmter Stiefvater Don Magnifico versucht,
seine zwei anderen heiratswütigen Töchter finanziell lohnend unter die
Haube zu bringen und sie auf den vermeintlichen Prinzen hetzt. Der
Ball wird zur enthemmten Party mit Stripperinnen und Alkoholexzessen, der Aufsichtsrat hat Bündel mit Geldscheinen in der Hand und spielt im Casino. Cenerentolas verzeihende und versöhnende Schlußarie hat fast schon utopische Qualitäten: sie steht auf dem Tisch des Aufsichtsrats, der sich angesichts ihrer humanen Worte unter dem Tisch versteckt. Cenerentola und Don Ramiro brennen am Ende durch und rennen gemeinsam weg.
Das Bühnenbild ist geteilt: im Vordergrund steht der halbrunde Tisch der Konzernführung, im Hintergrund befindet sich die kleine und enge Wohnung Don Magnificos, die in einer der stärksten Bühnenbildszenen nach hinten wegfährt und zum Entsetzen Cenerentolas im Boden nach unten versinkt und ihre kleine Welt (vor allem den Fernseher, der Drei Haselnüsse für Aschenbrödel zeigt) verschwinden lässt.
Regisseurin Andrea Moses zeigt eine Mischung aus Hollywood-Komödie und Kapitalismuskritik, die
vielleicht einen Schwachpunkt hat: sie ist etwas halbherzig und es fehlen ihr die ganz großen Bühnenmomente und Bilder. Dennoch handelt es sich um eine solide Arbeit: die Regisseurin hat viele Ideen - gute und auch solche, die nicht funktionieren, aber sie ist nie einfallslos. Manchmal inszeniert sie zu viel Nebenhandlung
und Slapstick und verliert dabei ihre Hauptfigur aus den Augen:
Cenerentola als Figur bleibt blaß. Die
unerwartete Wendung des trostlosen, jämmerlichen und ungerechten
Schicksals der ungeliebten Halbschwester und Stieftochter zur
verzeihenden und gütevollen Prinzessin geht verloren und andere Figuren dominieren das Geschehen. Dennoch unterhält man sich gut, es wird oft gelacht und die Produktion kann sich sehen lassen, denn Rossinis Cenerentola ist in Stuttgart eine auf hohem Niveau ausgeglichene und bestens besetzte Oper, die qualitativ ähnlich wie Donizettis Regimentstochter am Badischen Staatstheater mit spielfreudigen Sängern umgesetzt ist.
Sängerisch hat man einiges zu bieten. Das erste Ausrufezeichen des Abends setzte im ersten Akt der junge polnische Bass Adam Palka als Alidoro, der besonders für Karlsruher Besucher interessant ist: seine Stimmfarbe und Stimmkraft erinnert an den jungen Konstantin Gorny. Palka gehört ab der kommenden Spielzeit zum Ensemble der Stuttgarter Oper. In Stuttgart hat man zwei interessante Gäste engagiert: Enzo Capuano war gestern der ideale Don Magnifico - er wirkte wie ein distinguierter Marcello Mastroianni-Typ mit beweglicher Bass-Stimme. Der junge Tenor Bogdan Mihai bewies mit seiner klaren und hohen Stimme eindrucksvoll, wieso er auch schon beim Rossini Festival in Pesaro gesungen hat und mit Franco Fagioli in Rossinis Oper Aureliano in Palmira aufgetreten ist.
Die junge, 26jährige kroatische Mezzosopranistin Diana Haller gehört seit der Saison 2010/11 dem Ensemble der Oper Stuttgart an und hinterlässt als Cenerentola einen sehr guten und vor allem koloratursicheren Eindruck. Sie scheint ein Publikumsliebling in Stuttgart zu sein und erhielt viel Applaus, wie übrigens an diesem Abend alle Sänger und der Dirigent José Luis Gomez, der vielleicht manchmal etwas zu langsam war (subjektiv gefühlt), aber alle Höhepunkte mit viel Schwung und Rossini-gerecht musizieren ließ. Das Publikum reagierte sehr angetan und zustimmend, die Inszenierung und die Sänger kommen beim Publikum gut an.
Besetzung & Team:
Angelina (Cenerentola): Diana Haller
Don Ramiro: Bogdan Mihai
Dandini: André Morsch
Don Magnifico: Enzo Capuano
Alidoro: Adam Palka
Tisbe: Maria Theresa Ullrich
Clorinda: Catriona Smith
Musikalische Leitung: José Luis Gomez
Regie: Andrea Moses
Bühne: Susanne Gschwender
Kostüme: Werner Pick
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Hallo Honigsammler.
AntwortenLöschenIch bin recht häufig in der Stuttgarter Oper (und im Ballett). Im Unterschied zu Karlsruhe verfügt die Oper dort über zwei hochrangige Regisseure im eigenen Haus. Tatsächlich haben Andrea Moses Und Jossi Wieler 4 von 5 szenischen Premieren erarbeitet. Sie sind mit diesem Potential ziemlich unabhängig vom Markt. Beide können zudem auf ein Archiv von eigenen Inszenierungen zurückgreifen (tun dies auch), was die Planungssicherheit erhöht.
Auch Karsruhe hatte mit Robert Tannenbaum einen Hausregisseur, den vielleicht nicht alle gemocht haben, der aber bei den aktuellen Produktionen locker mithalten könnte. Die Strategie in Karlsruhe hat sich geändert, aber Stuttgart ist nicht sehr weit.
Guten Abend Herr Kiefer, einige Tannenbaum-Inszenierungen haben mir sehr gut gefallen und er hat sehr abwechslungsreiche Arbeiten in Karlsruhe gezeigt: Idomeneo, Liebestrank, Elektra, Frau ohne Schatten habe ich spontan in guter Erinnerung.
AntwortenLöschenDaß wir in Karlsruhe in der Oper und im Schauspiel keine Praktiker haben, die selber inszenieren, wundert mich immer noch, aber ich kann in der Oper keinen Qualitätseinbruch zu den Jahren zuvor feststellen - gegenüber Schaback / Feuchtner / Parr habe ich inzwischen ein gesundes Grundvertrauen und ich bin positiv gespannt, wie es weitergeht.