Freitag, 3. Mai 2013

Rückblick (1): Die große Enttäuschung. Das Karlsruher Schauspiel in der Spielzeit 2012/13

Wenn Leidenschaft Leiden schafft
Ich würde so gerne etwas Gutes über das Karlsruher Schauspiel berichten. Seit fast 25 Jahren pflege ich diese Leidenschaft und fühle mich besonders dann motiviert, etwas für mich aus einer Inszenierung zu ziehen, wenn ich sie als sperrige und schwierige Herausforderung sehe. Seit zwei Jahren wird diese Zuneigung auf die bisher härteste Probe gestellt, denn dem Schauspiel kann ich nur noch sehr wenig abgewinnen. Bei fast allen Vorstellungen erlebe ich einen Dimensionsverlust, wie ich ihn sonst nur bei Besuchen von schlechteren Bühnen (als das Badische Staatstheater war und sein sollte) kenne. Die qualitativen Unterschiede zu kleineren Bühnen sind nicht mehr deutlich. Die Leuchtturmqualitäten, die ich von einem Staatstheater erwarte, nehme ich nicht mehr wahr. Das Schauspiel hat für mich ein durchschnittliches und langweiliges Mittelmaß erreicht. Welche Gründe gibt es dafür?


Sprechtheater in der Krise
Um die (Un-)Zufriedenheit mit der Sparte von Jan Linders in Worte zu fassen, lohnt es sich folgende drei Fragen zu stellen: was wird warum (Programmplanung) für wen (Zielgruppe) und wie (Inszenierung und Schauspieler) auf die Bühne gebracht. Da die Spielzeit  noch nicht beendet ist, werde ich hier nicht auf die Defizite bei den Produktionen und des Ensembles sowie die nur scheinbar normalisierten Zuschauerzahlen eingehen (die folgt dann in wenigen Wochen am Ende der Spielzeit), sondern mich mit einem Phänomen beschäftigen, das noch deutlicher in der nächsten Spielzeit zu bemerken sein wird: man produziert für Zielgruppen.

Zielgruppentheater 
Laut Peter Spuhler (und zwar in einer SWR-Radiodiskussion im Frühherbst 2012) gibt es "diese eine feste bürgerliche Mittelschicht" nicht mehr und da "die Gesellschaft ihren bürgerlichen Kern dahingehend verändert, daß es viele Untergesellschaften gibt, muß sich das Theater auch auf diese vielen Untergesellschaften einstellen".
Die Vision ist also nicht die integrative Wirkung des Theaters, sondern dessen Ausrichtung an das, was man als große oder interessante Fragmente identifiziert. Um das zu bewerkstelligen, denkt man in theoretischen Dimensionen: man hat viele Dramaturgen und einen Schauspielchef, der selber nicht Regie führt, engagiert, die die richtigen Themen suchen sollen und versuchen, diese dann zielgruppengerecht für den Publikumsgeschmack umsetzen zu lassen.
Die Konsequenzen sind vielfältig: Man gibt mit dieser Ausrichtung einerseits den bisherigen qualitativen Anspruch eines Staatstheaters teilweise auf, indem man bevorzugt die Bedürfnisse der Zielgruppe im Blick behält und wer in tradierter Hinsicht hochwertiges und anspruchsvolles Sprechtheater sehen möchte, muß wohl Asyl in anderen Städten suchen (z.B. im Schauspiel Frankfurt - ein Vorbild für spannendes Theater, das ohne Anbiederung an "Zielgruppen" auskommt). Außerdem grenzt  man mit Zielgruppenproduktionen andere Zuschauer aus, die nicht in der Schnittmenge der Überlegungen und Produktionsplanungen sind. Peter Spuhler hat das erkannt und erklärte: „Gehörte unser Augenmerk zuletzt den jungen Leuten, so wollen wir uns in der Spielzeit 2013/14 verstärkt den älteren Besuchern zuwenden.“ Schade, daß ich bisher zu keiner Zielgruppe gehöre, die ins Theater soll. Ich bin gespannt, ob und wann und wie meine "Zugehörigkeitsgruppe" angesprochen werden wird oder ob ich zukünftig öfters über das Frankfurter Schauspiel schreibe und die Theater in der näheren Umgebung teste.
 
Ausgegrenzt - Allgemeine Abonnements am Ende?
Der Preis, den man am Badischen  Staatstheater dafür zu zahlen hat, daß man im Schauspiel für Zielgruppen inszeniert, ist der Unmut eines gewissen Zuschaueranteils, der verständlicherweise enttäuscht ist.  Denn Theater für Gruppierungen bedeutet, daß die am Rand stehen, die nicht an der Reihe sind. Nicht jeder freut sich, daß das Jugend- und Schultheater sowie Volkstheater mit Laiendarstellern in den normalen Abonnements seinen Platz findet. Hier zeigt sich die Herausforderung für die Zukunft: Zielgruppentheater kann nur dann erfolgreich sein, wenn man das Abonnementsystem zielgruppengerecht umbaut und anpasst. Zu jedem Stück eine Zielgruppendefinition oder auch die Angabe eines Zielgruppenalters kann weiterhelfen, um die Programmauswahl individuell zu optimieren und Ärger zu vermeiden.
Allerdings bleibt fraglich, ob man damit neue Zuschauer hinzugewinnt oder nicht einfach nur bestehendes Publikum durch ein anderes ersetzt. Weniger denn je fühlte ich mich in den letzten zwei Jahren persönlich angesprochen: die Themen und/oder inszenatorischen Haltungen sind mit mir leider oft nicht kompatibel - selten zuvor habe ich mir so wenige Eintrittskarten besorgt als in dieser Spielzeit und dazu tendiert, in diesem Blog, der dazu da ist, die Qualität des Karlsruher Schauspiels zu loben, lieber aus anderen Städten zu berichten.

Wie es Euch beliebt!
Das Resultat der Neuorientierung ist bisher auch eine Verflachung des bisherigen Standards mit dem Ziel der Zuschauergewinnung. Doch das pädagogisch betreute oder gesellschaftlich relevante Projekt-, Mitmach- und Volkstheater sowie das Kinder- und Jugendtheater kann nur als Werbemaßnahme dienen, um Publikum für das Staatstheater zu interessieren, nicht um damit die Qualitätsstandards für das Sprechtheater zu setzen. Ein schleichender Prozess könnte sonst dazu führen, daß die schwer vermittelbaren und nicht zielgruppengerechten Stücke durch einfacher zugängliche Formate ersetzt werden. Nächste Spielzeit gibt es bereits sieben Singspiele im Programm, die dazu dienen, Songs / Lieder in einen mehr oder weniger losen Zusammenhang zu stellen, in dem es weniger um Inhalte als um die Beschallung geht. Man könnte den Eindruck gewinnen, daß man auch Zuschauer auf Kosten anderer ansässiger Bühnen gewinnen will.

Marktwirtschaftliches Theater
In Karlsruhe kann man also ein ganz neues Phänomen beobachten: man läuft dem Publikum hinterher. Man scheint dem marktwirtschaftlichen Mißverständnis zu erliegen, daß aus Quantität auch Qualität folgt. Der Großteil der enttäuschten Stammzuschauer wird sich eher den anderen Weg gewünscht haben: durch Qualität glänzen und dadurch Quantität erzeugen, wie man es vor einem Jahrzehnt so umfassend vorgeführt bekam.
Und auch die Karlsruher Zielgruppenorientierung erinnert an marktorientierte Konzepte aus der Marketingbranche. Es scheint, als ob das Badische Staatstheater zum ersten Mal den wirtschaftlichen Faktor "Zuschauerzahl" höher bewertet als den künstlerischen. Man darf dann nicht überrascht sein, wenn aus Zuschauern Fans werden sollen und es um Profilierung durch nicht-künstlerische Aspekte geht.

Theater für alle - konsequent gedacht
Man kann gespannt sein, welche Un(tersp)arten das Karlsruher "Schauspiel" zukünftig umfassen wird und wie man den Spielplan für den vermuteten Publikumsgeschmack entsprechend gestaltet. Beispielsweise durch
  • die Umarbeitung beliebter Stoffe in Musical-Versionen. In der nächsten Spielzeit scheint es Shakespeares Sommernachtstraum in einer zum Singspiel verflachten Version zu geben
  • man könnte Filmtheater einführen, bei dem beliebte Kinofilme nachspielt werden, also Keinohrhasen (aktuell im Sandkorn) und Der Schuh des Manitu (das ja tatsächlich als Musical in Berlin auf die Bühne kam) für die entsprechende Zielgruppe
  • im Volkstheater-Umfeld könnte ein Mundarttheater hinzukommen und man mit d' Badisch Bühn zusammenarbeiten
  • im Kindertheater könnte man ein Kasperle- und Marionettentheater integrieren, das die Kindergärten besucht
  • nachdem es schon komplett nackte Schauspieler auf der Bühne des Karlsruher Schauspiels zu bewundern gab, darf man nicht überrascht sein, wenn es demnächst "erotisches Theater" zu sehen gibt und man anderen, bisher zwielichtigeren Bühnen Konkurrenz macht. Hier könnte es für das Badische Staatstheater ganz neue Besuchergruppen zu gewinnen geben! Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie das Badische Staatstheater mit den Zuschauerzahlen hausieren würde: "Rekordauslastung - Das beste Schauspiel aller Zeiten
  • und wieso nicht in jeder Spielzeit eine Casting-Show für Karlsruher Bürger? Karlsruhes Next Supertalent / Super Model /  ....? Oder Casting-Shows für Ausbildungsplätze, Jobs und Wohnungen? Die Jury urteilt live im Großen Haus und verkündet, wer es eine Runde weiter schafft.
Es gibt viele Möglichkeiten, im Badischen Staatstheater für alle da zu sein, nur halt nicht mehr vorrangig für die, die gerne in Schauspielvorstellungen gehen wollen.

Strukturierung statt Gemischtwarenladen
! Konzentration statt Beliebigkeit!

Und nun? Man möchte meinen, es wäre sinnvoll umzustrukturieren und eine neue Sparte zu gründen. Das finanzielle Budget wird neu aufgeteilt, Jan Linders übernimmt die "neuen" Theaterformen (eventuell an der neuen Spielstätte) und man engagiert einen Schauspielleiter, der dann halt mit reduzierten Mittel versucht, das eigentliche Sprechtheater wieder in den Mittelpunkt zu stellen und versucht Leistungen zu bringen, die sich -wie in den anderen Karlsruher Sparten Oper und Ballett- mit anderen bedeutenden Spielstätten messen und konkurrieren können.
Einfach so das Schauspiel aufzugeben und zukünftig Singspiele und Schülertheater als Hauptereignis der Spielzeit zu produzieren, erscheint mir all dem zu widersprechen, wofür ich leidenschaftlicher Schauspielbesucher des Staatstheaters (und nicht anderer Bühnen!) geworden bin.
 
Resumé
Früher hat man samstags Premieren noch gefeiert, beim aktuellen "Schauspiel" werden sie donnerstags meistens erlitten, weil man sie oft unter der falschen Prämisse besucht, nämlich seriöses Sprechtheater zu sehen und nicht Produktionen für Jugendliche, Schüler, theaterfremde oder andere experimentelle Zielgruppen, die ihren Zugang zum Badischen Staatstheater finden sollen. Man erweckt den Eindruck, daß man unbedingt Zuschauer gewinnen will, aber seine Seele als Schauspiel dabei aufs Spiel setzt. Zielgruppentheater bedeutet, daß man dem Publikum hinterherläuft und kein Vertrauen in das eigene Formgefühl hat. Es erfordert ein anderes Konzept, um wieder erstklassiges Sprechtheater in Karlsruhe erleben zu können, nämlich etwas zu sagen zu haben und nicht das zu sagen, was die Zielgruppe erwarten könnte.

Vom Staats- zum Provinztheater?
Und liebes Badisches Staatstheater, manchmal finde ich deutliche Worte, wenn mir eine Vorstellung im Schauspiel nicht gefallen hat. Aber ich habe einen ganz einfachen Maßstab: ich möchte, daß ich mit Freunden und Arbeitskollegen aus Frankfurt, Stuttgart oder anderen Städten in Karlsruhe ins Schauspiel gehen kann, ohne daß ich mitleidige Blicke und Kommentare bekomme für das, was man hier als "Schauspiel" auf die Bühne bringt. Im Ballett und in der Oper spielt Karlsruhe in der ersten Liga mit, Knut Weber hatte das seinerzeit auch im Schauspiel geschafft und bleibt deshalb der Maßstab, an dem sich die aktuellen Produktionen messen lassen müssen.

PS: Der zweite Teil des Rückblicks auf das Schauspiel erfolgt gegen Spielzeitende.

Nachtrag: Zielgruppentheater in der Praxis
Zuschauer, die den Karlsruher Schauspielbetrieb gut kennen, haben in den letzten zwei Spielzeiten also oft enttäuscht und verwundert den Kopf geschüttelt: aus vielen Gründen kann man mit dem, was im Schauspiel gezeigt wird, unzufrieden sein. Die Ursachen sind nach dem zweiten Jahr der neuen Schauspielleitung deutlich zu benennen: der Fokus liegt darauf, für Zielgruppen Theater zu machen. Im ersten Jahr konnte man sich oft fragen, wen man überhaupt ansprechen wollte, nach dem zweiten Jahr ist die Antwort einfacher: das Schauspiel des Badischen Staatstheaters ist größtenteils zu einem Jugendtheater geworden. Teens und Twens bekamen die meiste Aufmerksamkeit. Was in Karlsruhe in dieser Spielzeit gezeigt wird, lässt sich z. B. folgendermaßen einordnen:

Sprechtheater:
MY SECRET GARDEN      
DER EINSAME WEG
DER VORNAME

Singspiel:
ALICE    
DINNER FOR ONE MIT SONGS

Theater für Schüler, Jugendliche und junge Erwachsene:
DIE MÖWE
DANTONS TOD   
AGNES
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER
WIE ES EUCH GEFÄLLT   
Die anstehende Premiere des PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG hat mit Martin Nimz einen Regisseur, der für Schauspiel steht, es wird aber auch ein Theaterpädagoge genannt, was auf eine Schülerinszenierung hindeutet.

Belehrendes / Dokumentarisches / Philosophisches Theater:     
MEDEA    
MÜDIGKEITSGESELLSCHAFT / VERSUCH ÜBER DIE MÜDIGKEIT   
MÄNNERPHANTASIEN
AM FALSCHEN ORT

Volkstheater:
EINE (MIKRO)ÖKONOMISCHE WELTGESCHICHTE, GETANZT

14 Kommentare:

  1. @Theatralikus
    Ich habe eine Anleihe bei Ihnen gemacht. Die Bemerkung "auf dem Weg zum Provinztheater" entstammt einem Kommentar von Ihnen. Vielen Dank für diese zutreffende Anregung!

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    1. Theatralikus04 Mai, 2013 13:28

      Ich danke Ihnen für diese augenöffnenden Aussagen! Vor 10 Jahren erlebten wir den bisherigen Karlsruher Schauspielolymp. Ich ärgere mich darüber, dass mir das jetzt erst klar wird. Knut Weber stand für ein anderes Schauspiel als Jan Linders: reifer, intelligenter, tiefgründiger. Und er hatte bessere Schauspieler zur Verfgügung. Ich freue mich auf den zweiten Teil Ihres Rückblicks.

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  2. Dank an den "Honigsammler"
    Das ist ein Schuß ins Schwarze !!!!!!!!!
    Frdl.Grüsse
    Klaus

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  3. Es ist zu befürchten, dass sich viele von den Verlautbarungen des Staatstheaters manipulieren lassen und glauben dass alles so seine Ordnung hat. Man nivelliert das "Schauspiel" auf gehobenes Boulevardtheater und versucht die Zuschauer mit Rio Reiser und Dylan und Jaques Brel sowie Schülertheater und Buchadadptionen für das akademische Klientel im Studio bei Laune zu halten und zu kaschieren, dass das Karslruher "Schauspiel" nicht weiss, wozu es ein Schauspiel ist. Gutes Theater sieht man heute anderswo. Ihr Frankfurter Beispiel trifft den Nagel auf den Kopf. Dort hat man was zu sagen, in Karlsruhe redet man der "Zielgruppe" nach dem Mund. Aber so etwasd wie den Publikumsgeschmack gibt es gar nicht. Man macht gutes Theater so, wie man innerlich davon überzeugt ist und nicht, indem man versucht die diffusen Erwartungen seines Publikums zu treffen.

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    1. Ja, da stimme ich Ihnen zu. Mir fällt auch auf, daß die Programmzusammenstellung berechenbar ist - es gibt keine Überraschungen. Für 2013/14 lässt sich fast das gleiche Schema anwenden wie in dieser Spielzeit. Und dann hat man auch wieder die gleichen Regisseure ... mir ist jetzt schon etwas langweilig, wenn ich auf die nächste Saison sehe. The same procedure than every year - und das bereits im dritten Jahr der Intendanz. Wie einfallslos ....

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  4. Als Abonnent habe ich mich dieses Jahr zwar geärgert und mich etwas für dumm verkauft gefühlt, den Schauspielleiter will ich in Schutz nehmen. Ich hatte zwei mal die Gelegenheit mich etwas mit ihm zu unterhalten und hatte den Eindruck, er weiß wo die Schwachpunkte sind. Und nach ihrer obigen Liste gab es diese Spielzeit drei Stück im Sprechtheater und die haben mir alle gefallen. My Secret Garden und der Einsame Weg (Timo Tank zwei mal grandios) und Der Vorname als gute Komödie - das hatte Niveau und Unterhaltungswert. Linders kann, wenn er dürfte. Er hat die Aufgabe junge Zuschauer anzuziehen, soll dem Publikumsgeschmack mit den Singspielen abdecken, etwas mit Migrantenthemen machen und auch für akademische Publikum irgendein Buch auf die Bühne bringen. Es sind zu viele Vorgaben und Zwänge, um gutes Theater zu machen. Linders Handschrift ist fremdbestimmt.
    Viele Grüße
    Frank

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    1. Hallo Frank,
      vielen Dank für die Linders-lobenden Worte. Sie sind der erste, der beim Schauspiel auf einen positiven Aspekt aufmerksam macht - und sie haben Recht: My Secret Garden war als Text keine Offenbarung, wurde aber durch Timo Tank gerettet; Der Einsame Weg wird nur sehr selten gespielt und wurde durch eine mutige, weil ruhige und textkonzentrierte Regie auf eine ungewohnte Weise spannend. Und der Erfolg der Komödie zeigt, daß Kritik und Beschwerden nach dem ersten humorfreien Jahr bei Linders etwas bringen. Leider habe ich den Eindruck, daß die Komödienwahl keine innere Überzeugung war. Nächstes Jahr kommen zwei weitere im Studio hinzu - also wieder nicht im Kleinen Haus. Die Zielgruppe "Komödienbesucher" hatte er wohl erst gar nicht eingeplant ...

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  5. Mir wäre etwas weniger Polemik in dieser Diskussion lieber . Wo ich mit einigem in der Sache ubereinstimme, gefällt mir der Ton nicht. Ich gehe seit Jahrzehnten ins Karlsruher Theater, aber ich kann mich jetzt nicht daran erinnern, dass es unter Knut Weber nur Sternstunden gab.Kissenmann, der gläserne Pantoffel, Kirschgarten ....mir fällt soviel verschwendete Zeit ein. Warum sich dann jetzt so in Rage schreiben?

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    1. Vielen Dank für den treffenden Hinweis. Ich bin fast immer um De-Eskalation bemüht, aber einen gewissen Grad an Emotionalität beinhalten fast alle Diskussionen und hier habe ich ja bereits selber mit der Überschrift eine emotionale Wertung eingebracht. Knut Weber hatte als Schauspielchef einiges gezeigt, was mißlungen war. Aber es gab andererseits auch wirkliche Sternstunden - die vermisse ich bisher. Und Weber hat zu Beginn seiner Zeit ein Feuerwerk an Ideen abgebrannt - die vermisse ich in den letzten 2 Jahren ebenfalls. Die typische Aufbruchstimmung des Beginnens gab es nur sehr kurz bevor der Alltag einkehrte.
      Aktuell habe ich eine ganz andere Sorge: das "Schauspiel" produziert für Ziel- und Altersgruppen - ich fühle mich fast nicht mehr angesprochen. In Karlsruhe gehe ich fast nicht mehr ins Schauspiel. Da ich beruflich viel in Frankfurt bin, gebe ich mein Geld stärker dort im Schauspielhaus aus. Daß ich nicht dafür dankbar bin, von meiner Lieblingsbühne vertrieben zu werden, ist wahrscheinlich verständlich. Zu meinem Glück ist Frankfurt gerade sehr gut - und ein weiterer Maßstab mit dem man in Karlsruhe nicht mithalten kann. Mir fällt es also schwer, etwas Gutes über die aktuelle Situation am Badischen Staatstheater zu sagen und ich befürchte, daß ich mich auf einige Zeit in der Diaspora einstellen muß. Das erklärt in diesem Fall vielleicht, wieso ich eine gewisse Schärfe in der Diskussion zulasse.

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  6. Wolfgang Kiefer08 Mai, 2013 15:33

    Hallo Honigsammler
    Nach dem ersten Lesen war ich von Ihrer Analyse total überzeugt – mittlerweile sind mir – was die Schlussfolgerung betrifft - Zweifel gekommen. Für wen hat die Spuhler-Truppe „Bob Dylan“ gemacht? Doch wahrscheinlich für die Zielgruppe Jugend. Und wer geht hi n? Alle vom Teenie bis zum Greis (außer mir). Offensichtlich ist die Produktion gut und das Publikum schert sich weder um die Zielgruppe und noch um das Spielzeitmotto. Das wird so bleiben egal welche Zielgruppe angepeilt wird: Ist das Stück gut und gut gemacht kommen alle, ist es schlecht und auch noch schlecht gemacht bleiben nur die leidensfähigsten Abonnenten. Ich mache eine Anleihe bei Ihnen: Im Theater kommt es nicht auf das WAS sondern auf das WIE an. Das Problem dürfte sein, dass vor lauter WAS das WIE völlig verdrängt wird. Bis jede Zielgruppe mit einem vermeintlich passenden Stück bedacht ist, hat sich die Kreativität unserer Theatermacher bereits erschöpft. Die Kapazität des Hauses, der Schauspieler, Sänger und Regisseure wird ausschließlich für die Programmatik verbraucht. Würde man die zur Verfügung stehenden Regisseure entsprechend ihrer Fähigkeit und Neigung einsetzen, hätten wir sicher ein besseres Theater.

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  7. Guten Tag Herr Kiefer,

    vielen Dank für die meines Erachtens zutreffende Analyse!
    Bezüglich Dylan (oder Rio Reiser in der kommenden Spielzeit) zitiere ich weiter unten die Zuschauerumfragen-Ergebnisse vom November 2012. Kernaussage: Singspiele wie Dylan sind für ein theateruntypisches, älteres (> 40 Jahre) Publikum, oft mit geringem Bildungsniveau, das nur solche und keine anderen Produktionen besucht.

    "...durch Produktionen wie Dylan auch ein theateruntypisches Publikum anzuziehen"
    "...vor allem Besucher über 40 Jahren anzieht"
    "Auch wenn dadurch der relative Anteil wohlhabender Akademiker sinkt, sollten diese Aktivitäten unbedingt fortgesetzt werden, da sie über die direkte Gewinnung von theateruntypischen Besuchern hinaus auch imagebildend in die Stadt und ihre Umgebung wirken."
    "Bei Zielsetzungen und der Gestaltung von Strategien darf nicht erwartet werden, dass über Produktionen wie „Dylan“ oder das junge Staatstheater neu gewonnene Nicht-Mehr- und Noch-Nie-Besucher durch den alleinigen Kontakt mit dem restlichen
    Theaterprogramm auch Aufführungen des ‚klassischen’ Theaterprogramms besuchen."

    In der nächsten Spielzeit versucht man anscheinend neben Dylan, Alice, Rio Reiser, Dinner for one, zwei Lienhardt-Liederabenden auch einen Shakespeare'schen Sommernachtstraum in der Regie und mit der musikalischen Begleitung des Alice-Teams auf die Bühne zu bringen. Das scheint der Versuch, das Singspiel-Publikum an das Schauspiel heranzuführen.

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  8. Sehr geehrter Honigsammler!
    Vielen Dank für Ihre kritische Begleitung der Entwicklung des Karlsruher Schauspiels. Zu Ihren Thesen von den Zielgruppen möchte ich anmerken, dass es, wie ich denke, um ein tieferes Thema geht, und zwar um das Menschenbild. Im Ansatz des Badischen Staatsschauspiels geht es in vielen Dimensionen zur Zeit um die Wirkung. Wirkung von Ästhetik, Worten, Selbstdarstellung, Menschen, Konzepten. Somit wird der Theaterabend zum "Event", zum Wirkung erzeugenden bunten Bild, und der Besucher zählt, soweit in ihm Wirkung ausgelöst wurde. Auch die Konzepte scheinen mir mehr um der Wirkung für Erfolg, Einschaltquoten, politische Unterstützung willen, als aus inhaltlicher Überzeugung formuliert zu sein. Genauso geht es mir mit Werbung, Fotos, Veröffentlichungen. Und genauso scheint es mir mit dem Projekt Rio Reiser zu sein, das nun aus Tübinger Tagen hervorgeholt wird, denn da war es wohl wirkungsvoll.
    Mir aber wäre eine Orientierung nach Sinn, Wahrhaftigkeit, Achtung dem Autor, Zuschauer, Spiel-Charakter gegenüber lieber. Kurz: nach Inhalt. Dann käme ich mir nicht mehr vor, als würde ich als Zuschauer in einen durchschaubaren Wirkungszusammenhang hineininszeniert sein, sondern mir als kritischem, fühlenden, belesenen, offenen, interessierten Theaterfreund würde sich eine Welt eröffnen.
    (In Heidelberger Zeit soll Herr Spuhler im Theater sein Lieblingsbuch "Per Anhalter durch die Galaxis" gelesen haben. Es würde mich nicht wundern, auch das als Singspiel in Karlsruhe auf dem Spielplan zu entdecken.)
    Aber ganz ohne vielleicht berechtigten Ärger formuliert: ich wünsche mir, als erwachsener Zuschauer wieder ernst genommen zu werden. Genauso wünsche ich mir, dass die Autoren, die Theaterfiguren, die Worte, die Inhalte, wieder ernst genommen werden. Und das für Gebildete, Weniggebildete oder Kinder(!) gleichermaßen.
    Aber ich fürchte, genau daran gibt es gar kein Interesse, sondern eben nur am Ausmaß der Wirksamkeit.
    Lieber Honigsammler, es grüßt der Inhaltist.

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    1. Herzlichen Dank für Ihren interessanten Kommentar, der eine neue Dimension hinzufügt.

      In einem Interview mit der FAZ (und zwar hier: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/matthias-hartmann-im-gespraech-theater-ist-wieder-wichtig-12100882.html ) erklärt der Intendant des Wiener Burgtheaters Matthias Hartmann:
      "Die Menschen wollen mehr denn je, dass im Theater die großen Fragen des Lebens verhandelt werden .... Je virtueller sich das Leben gestaltet, umso mehr brauchen Menschen die Nähe des Lebendigen."

      Ich glaube, das entspricht dem, was Sie und ich uns unter Inhalten vorstellen. Was ich als Dimensionsverlust bezeichne, erklären Sie als "durchschaubaren Wirkungszusammenhang", und der wird nicht als lebendig wahrgenommen, sondern als gestellt und begrenzt.

      Noch mal vielen Dank für den Beitrag!

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