Die kurze Fahrt von Karlsruhe nach Baden-Baden hat sich an Pfingsten mehr als gelohnt: Don Giovanni ist musikalisch und sängerisch ein besonderes Erlebnis, das begleitet wird von einer eher nichtssagenden Inszenierung, die aber nie stört und sich in Don Giovannis Höllenfahrt dann noch zu großer Bühnenwirksamkeit steigert.
Ursprünglich wurde vor über einem Jahr Die Hochzeit des Figaro angekündigt und viele hatten sich für Pfingsten 2013 Karten gekauft, die noch auf diese Oper lauteten. Doch Anna Netrebko entschied, daß die Rolle der Gräfin doch nicht für ihre Stimme geeignet sei (ihr Mann Erwin Schrott war als Graf vorgesehen) und so wurde im Herbst 2012 bekannt gegeben, daß es wieder einen Don Giovanni gibt. Wieder - denn erst 2011 gab es in Baden-Baden eine wunderbare konzertante Aufführung, die inzwischen auch als CD erschienen ist und die als Live-Erlebnis einen großen Erinnerungswert hatte (mehr dazu hier). So hatte man nun also innerhalb von zwei Jahren die Möglichkeit, die beiden aktuell für die Rolle des Don Giovanni charismatischsten und bühnenmächtigsten Sänger zu hören: Ildebrando d'Arcangelo und Erwin Schrott. Wem die Krone gebührt, ist eine persönliche Entscheidung, denn gestern zeigte auch Erwin Schrott, daß es für ihn eine Paraderolle ist.
Was ist zu hören?
Hervorheben muß man zuerst den Dirigenten und sein Orchester. Da hört man Don Giovanni vielleicht zum xy-ten mal, hat eventuell seine Vorstellung, die zu Beginn der Baden-Badener Aufführung durchaus auch anders sein kann, als die, die aus dem Orchestergraben ertönt (bspw. wird kein Cembalo verwendet, sondern ein Hammerklavier) und dann das: man wird nicht nur überzeugt, sondern begeistert davon, wie Thomas Hengelbrock leidenschaftlich dirigierend und lautlos mitsingend mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble einen spannenden, packenden und letzendlich begeisternden Don Giovanni zu Gehör bringt. Der xy-te Don Giovanni - und er war etwas wirklich Besonderes. Vielen Dank Herr Hengelbrock!
Wer sich an Ostern über die gepflegte Langeweile bei der Zauberflöte mit den Berliner Philharmonikern gewundert hat, der könnte nach diesem Don Giovanni meinen, daß es am Dirigenten gelegen haben muß. An Ostern sprang das Feuer nie ansatzweise so über, wie an Pfingsten.
Anna Netrebko kommt ja schon seit Jahren regelmäßig nach Baden-Baden und wurde auch gestern von ihrem Publikum bejubelt. Ihre wunderschöne Stimmfarbe konnte sie als Donna Anna buchstäblich zum Leuchten bringen. Die positive Überraschung war Katija Dragojevic als Zerlina. Schade, daß sie nicht schon bereits vor 2 Jahren für die CD-Einspielung engagiert wurde. Luca Pisaroni war als einziger auch vor zwei Jahren bei der CD-Aufnahme dabei und bewies erneut, daß er der ideale Leporello ist. Charles Castronovo ist ein sehr guter Tenor, doch gestern konkurrierte er mit der Erinnerung an einen anderen Sänger, dessen Auftritt als Don Ottavio er nicht vergessen machen konnte: Rolando Villazons charismatische Stimme brachte damals sogar die Rezitative zum Klingen und bleibt nur schwer zu übertreffen. Alle Sänger interließen einen sehr guten Eindruck und zusammen mit dem Balthasar-Neumann-Chor ergab sich ein hochklassiges homogenes Ganzes. Musikalisch und sängerisch eine Aufführung, die an jedem Opernhaus der Welt Erfolg hätte.
Was ist zu sehen?
Regisseur Philipp Himmelmann wird alle drei Da Ponte Opern Mozarts in Baden-Baden als Zyklus inszenieren und dabei immer einen Apfelbaum auf die Bühne stellen: einen erblühenden in Cosi fan tutte, einen früchtetragenden in Le Nozze die Figaro und einen blattlosen, winterlichen in Don Giovanni. Der Baum ist eine Metapher für beginnende, blühende und sterbende Liebe.
Es ist also Winter in diesem Don Giovanni und nur die erotisch aktiven Rollen benötigen aufgrund ihrer inneren Hitze keinen Mantel. Don Ottavio trägt Rollkragenpullover, Jacke und Schal und Leporello ist ein zeitgemäßer Nerd mit kariertem Duffle Coat, gelben Strümpfen und Nerd-Brille. Masetto, Zerlina und die Hochzeitsgesellschaft sind (passend zu Baden-Baden) wie russischer Geldadel gekleidet, der zur 70er-Jahre Party will. Modisch ist man also in der Jetztzeit.
Es heißt, Enrico Caruso hätte für gewisse Rollen seine eigenen Kostüme besessen und egal, wo er auftrat, trug er immer sein persönliches Lieblingskostüm zur Oper. Gestern konnte man hinsichtlich der Personenregie einen ähnlichen Eindruck gewinnen. Es schien, als ob Erwin Schrott genau den Don Giovanni spielte, den er schon immer spielen wollte (nämlich als geschmeidig-animalischen Macho-Stinkstiefel und fiesen Latin Lover mit Fellhose) und auch die anderen Sänger könnten sich ähnlich eingebracht haben. Heraus kam eine Inszenierung, die -wenn sie irgendwo an einer kleinen Oper gespielt würde- kein überregionales Publikum oder Kritiker angezogen hätte. Aber in Baden-Baden passiert etwas Überraschendes: es passt alles zusammen und wird zur runden Sache. Die Inszenierung stört nicht die spannende musikalische Umsetzung. Und in der für viele wichtigsten Szene -Don Giovannis Höllenfahrt- ist dann ein beeindruckender Einfall zu sehen, und zwar ... aber das verrate ich erst nächste Woche nach der letzten Vorstellung (zwei weitere gibt es: am Donnerstag, 23.05. und am Sonntag, 26.05)
Fazit: Glücklich ist, wer als Opernfreund am Oberrhein im Einzugsgebiet wohnt: am Samstag gab es eine ungewöhnlich ergreifende und überregional Aufmerksamkeit auf sich ziehende Premiere der Passagierin am Badischen Staatstheater und am Montag im Baden-Badener Festspielhaus ein außergewöhnlich spannender Don Giovanni. Beide hat das Publikum zu Recht mit viel Jubel gefeiert.
Nachtrag: da in dieser Inszenierung Statuen fester Bestandteil des Bühnenbilds sind, fällt es am Schluß, bei dem Grabsteine und Statuen auf der Bühne sind, den meisten erst dann auf, daß es sich um Statisten handelt, als der Komtur zu singen beginnt. Erst ganz langsam und unmerklich bewegen sich die Statuen auf Don Giovanni zu, umkreisen ihn und ziehen ihn schließlich die Treppe hinunter in die Gruft. Kein ganz neuer Einfall (in Karlsruhe bekommen regelmäßig Zuschauer eine kleinen Schreck, wenn sich in John Dews Tosca Inszenierung eine Kirchenstatue bewegt), aber atmosphärisch packend und verblüffend umgesetzt.
PS: Nächstes Jahr wird es für die Netrebko/Schrott -Fans ein weiteres Pfingsten-Highlight geben, wenn das Programm nicht doch noch geändert wird: Gounods Faust!
Team und Besetzung
Donna Anna: Anna Netrebko
Don Giovanni: Erwin Schrott
Leporello: Luca Pisaroni
Donna Elvira: Malena Ernman
Don Ottavio: Charles Castronovo
Zerlina: Katija Dragojevic
Masetto: Jonathan Lemalu
Komtur: Mario Luperi
Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock
Balthasar-Neumann-Chor
Balthasar-Neumann-Ensemble
Hammerklavier: Jory Vinikour
Inszenierung: Philipp Himmelmann
Kostüme: Florence von Gerkan
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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