Montag, 17. Juni 2019

Mumpitztheater (13): Zwischen Repression und Relotius

Manche ahnen es bereits inzwischen, so richtig im Griff hat die Intendanz ihren Verantwortungsbereich anscheinend nicht. Wer in das neue Spielzeitheft für die Saison 2019/2020 blickt (aktuell befindet sich das ohne Aufsehen ins Netz gestellte pdf hier), kann wieder über Absurditäten wie bspw. ein DDR-Jubiläum den Kopf schütteln.
  
Jubel zur "DDR"-Gründung
"Die Spielzeit 2019/20 verbindet zwei Jubiläen der Geschichte Deutschlands. 50 Jahre nach Gründung der ehemaligen DDR und 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ....."
(Spielzeitheft 2019/2020, Seite 84, 1. Nachtklänge)  
Was für ein wunderbarer Grund, um ein Jubiläum zu feiern: die Gründung der "DDR" - die deutsche Diktatur, die Republikflüchtlinge rücklings erschoß und mit Sprengfallen ermordete, die Stasi hervorbrachte und Regimekritiker in Sonderhaftanstalten sperrte - ist nicht 50 Jahre her, sondern 70 Jahre. Fehler können sich einschleichen, aber daß die Gründung der "DDR" ein Grund für ein Jubiläum sein soll, wirkt -sagen wir es offen und ehrlich- ziemlich überfordert und peinlich unwissend. Das Zentralkomitee des Generalintendantischen Staatstheaters wird sich wahrscheinlich weder rausreden noch entschuldigen: wieso sollte man Wert auf Qualität legen und das eigens produzierte Gedöns selber durchlesen (der Großteil des Publikum wird es auch nicht tun). Oder meint man das etwa ernst? So oder so, eine inkompetent wirkende Verharmlosung, die nicht passieren darf.
 
Nach der Relotius-Presse nun das Relotius-Theater?
Wer im neuen Spielzeitheft die Einleitung des Schauspiels liest, weiß nicht, ob er lachen oder den Kopf schütteln soll. "Frauen ... verdienen ... oft  weniger als ihre männlichen Kollegen", so wird es im neuen Spielzeitheft behauptet. Das ist natürlich so nicht zutreffend, Frauen haben aus guten Gründen ein geringeres Einkommen, sie verdienen aber nicht weniger, wo Tarifverträge gelten schon gar nicht, und auch sonst hat der Gesetzgeber Möglichkeiten geschaffen, gegen Ungleichbehandlung vorzugehen und mit individuell verhandelnden Großverdienerinnen in Führungspositionen muß man in Zeiten der Vollbeschäftigung und des Fachkräftemangels kein Mitleid haben. Wieso geht Intendant Spuhler eigentlich nicht mit gutem Beispiel voran und erklärt öffentlich, daß er, Anna Bergmann, Nicole Braunger, Bridget Breiner und Justin Brown in der kommenden Spielzeit alle das gleiche Einkommen haben? Große Reden schwingen, aber selber nicht dafür einstehen - das kann schon ziemlich scheinheilig und unaufrichtig wirken.
Es ist kompliziert, den Gender Pay Gap zu verstehen, da sollte man Anna Bergmann und Anna Haas keinen Vorwurf machen, bzw. nur den, daß man sich informieren sollte, bevor man pauschale und unzutreffende Behauptungen verbreitet. Wer das Phänomen des Gender Pay Gap nicht versteht, der kann sich bspw. hier bei der Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim informieren: https://www.youtube.com/watch?v=_Ta6BH3e97I
Also liebes Karlsruher Schauspiel: Werdet nicht zum Relotius-Theater! Insbesondere nehmt euch das Fazit im obigen youtube-Beitrag zu Herzen nehmen: Verkauft nicht persönliche Meinungen als Fakten.
  
Die geheuchelte Gerechtigkeit
Und noch ein Beispiel für Verständnislücken: "Unser Ensemble ist ab dieser Spielzeit erstmals in einem geschlechtergerechten Gleichgewicht besetzt: im Schauspiel gibt es exakt so viele Schauspielerinnen wie Schauspieler." Was für ein Unfug! Besetzungspolitik hängt von den Stücken ab, die man spielt. Pauschaler Gleichstand hat nichts mit "Geschlechtergerechtigkeit" zu tun. Falls das gerecht sein sollte, dann ist die Schauspielleitung hochgradig ungerecht besetzt, denn kein einziger Mann ist beteiligt. Wer Geschlechtergerechtigkeit fordert und selber nicht nach diesem Prinzip handelt, den kann man als Heuchler*in bezeichnen, oder? Aber Spielzeitheft-Unfug beiseite. Ist es denn ungerecht, daß körperlich schwere Arbeit und gefährliche Arbeit -bspw. im Bergbau oder Forstbetrieb- überwiegend von Männern verrichtet wird? Ist jeder Job nur dann geschlechtergerecht, wenn ca. 50% Quote erreicht ist? Das ist Unsinn und hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Und wer von Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern spricht und nicht die Life Expectancy Gap nennt, ist doch ebenfalls nur ein*e Heuchler*in. Solange die Lebenserwartung von Männern geringer als die von Frauen ist, bleibt dies die größte zu bekämpfende Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.

Repressive Sprache, repressives Theater
Das freudige "DDR"-Jubiläum in den Texten des Badischen Staatstheaters wirkt allerdings nicht wie ein Zufall. Was muß nötig sein, um Sprache aufgrund sprachhygienischer Reinheitsgebote so gewaltsam zu verunstalten: „Das Team verstärkt ein*e Agent*in für Diversitätsentwicklung – das heißt jemand, der*die darauf achten soll, dass“ - und nun mag man ergänzen wollen - anderen*innen der Mund mit Seife ausgewaschen wird, wenn sie nicht ebenfalls Sprache verhunzen. Manch einer mag befürchten, daß das Umerziehungslager stets im Hintergrund droht, wenn sich die Intendanz politisch "korrekt" aufspielt (mehr dazu auch hier). Autoritäre Sprache von oben, die man nicht mehr sprechen kann, von "Theatermachern", die sich als Oberlehrer und Prediger sehen - die Spießigkeit ist zurück im Theater und hat Ressentiments und Vorschriften im Angebot, wer würde sich wundern, wenn Ausgrenzungen folgen werden. Wo Jakobiner an die Macht geraten, betreiben sie früher oder später Tugendterror.

Symptome der akuten Spuhleritis
Theater sind Schutzorte gegen die Zumutungen der Außenwelt, insbesondere zweier Bedrohungen: der Politik und ihres Zwangs zum Bekenntnis sowie des Kitsches und der Vorherrschaft von Mittelmaß und Banalitäten (das sogenannte "Volkstheater" soll Amateure als bühnenfähig deklarieren). Das fehlschlagende Experiment, das am Badischen Staatstheater seit 2011 ausgeführt wird, ist die Abschaffung dieses Schutzortes zum Zwecke der Ideologie und der Belehrung des Publikums. Eine Erklärung hierzu formulierte der Maler Markus Lüpertz: „Von den Künstlern wird ja mittlerweile gefordert, daß sie zu allen politischen Geschichten, zu allen Umweltdingen permanent Haltung nimmt, und das machen ja auch viele. Eigentlich 99 Prozent. Und das machen sie gerne. Wissen Sie warum? Weil sie auf die Qualität verzichten können“. Wer diesen Blog zurückverfolgt, wird eine Dokumentation von Qualitätsproblemen im Umfeld der Intendanz vorfinden.
Ein weiterer Grund scheint  psychologischer Natur: es scheint manchen verhinderten Künstlern so einfach und befriedigend, den Zeigefinger zu heben und andere zurechtzuweisen und damit von eigenen Defiziten abzulenken. Ein neues autoritäres Spießertum kapert die Kultur.

Fazit: Was hat politische Selbstdarstellung mit gutem Theater zu tun? Nichts! Und mal wieder zur Klarstellung: politisches Theater stellt Fragen, ideologisches Theater gibt Antworten. Womit man es in Karlsruhe zu tun hat, sollte jeder aufmerksame Beobachter selber beantworten können. Neben der Sparte Mumpitztheater könnte hier demnächst auch über Relotius-Theater geschrieben werden, indem man Fake News und Manipulationen in den Texten des Theaters aufspürt und unter die Lupe nimmt.

7 Kommentare:

  1. Danke!!! Sie sprechen mir aus der Seele.
    Und dass ein Video-Freischütz als Opernaufführung deklariert wird, macht die Sache noch defizitärer.
    Ich kann Sie nur bitten und ermuntern, diese Ihre Gedanken genau in dieser Fassung an die zuständigen Stellen zu leiten....aber ich denke, die werden dies sowieso schon zur Kenntnis genommen haben. Und dabei bleibt´s dann.
    Beste Grüße

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank! Steter Tropfen höhlt den Stein, doch leider sind die Kulturpolitiker des Landes kaum daran interessiert, sich Mühe zu geben. Sie agieren konservativ nach dem Motto: Keine Experimente!

      Löschen
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Prinzip

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank für den Hinweis, beim Lesen werden einige ein Déjà-vu haben!

      Löschen
  3. DDR hin, DDR her - man wäre ja schon froh, wenn man auf Anfragen eine Antwort erhielte. Die mehrfache Bitte um die Bekanntgabe des Termines für die Veröffentlichung der gesamten Spielzeit über Facebook blieben genauso unbeantwortet wie die Nachfrage zum verspäteten Einlass bei der "Hoffmann"-Premiere. Muss man am Badischen Staatstheater jetzt schon Eingaben an die Nomenklatura wie vor dem Mauerfall machen?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank Herr Kaspar für den Kommentar. Transparenz und Kommunikation sind zwei weitere Schwachpunkte der Intendanz. Alles geschieht von oben herab, Pläne werden nicht thematisiert oder erklärt, die Zuschauer sollen gehorchen und still sein, Fragen sind nicht vorgesehen. Wenn ich nur daran denke, daß man bspw. in einem Opern-Premierenabo eine Ballettvorstellung und im Schauspiel-Premierenabo Volkstheater ohne Entschuldigung vorgesetzt bekommt/bekam, bleibt mir nur Hohn und Spott für diese Verzweiflungstat. Was man rund um die Intendanz und deren Außendarstellung erlebt, erweckt bei mir stets den Eindruck von Überforderung, Ideen- und Hilflosigkeit.

      Löschen
  4. @anonym: Vielen Dank für den Link zum SWR. Ich bin immer wieder überrascht, wie flach, eindimensional und Schwarzweiß im Radio gedacht werden darf.

    AntwortenLöschen