Von Planung und Unplanung in der Karlsruher Oper
"Anna Bolena - zum vorletzten Mal". Wird auch diese Inszenierung wieder schnell und endgültig verschwinden? Zehn Monate nach der Premiere erfolgt nächste Woche schon wieder unwiderruflich die Derniere? Die heruntergespuhlerte Karlsruher Oper betreibt nun seit Jahren eine freud- und lieblose Repertoirepolitik, bei der man den Eindruck gewinnen kann, daß es nur noch darum geht, den Betrieb mit möglichst minimalem Programm und Aufwand aufrecht zu erhalten. Vor der Premiere scheint der Lebenszyklus einer Inszenierung schont fertig geplant, Luft zum Atmen und Sichentfalten bleibt den Werken kaum. Die Intendanz hinterläßt in den vergangenen Jahren bei manchen aufmerksamen Beobachtern den etwas peinlichen Eindruck der Semiprofessionalität und manch einer würde sich wohl wünschen, daß eine fähige Kulturpolitik endlich mal genauer hinsieht, wie zig Millionen Steuergelder eingesetzt werden.
Wieso bringt man Anna Bolena und Roberto Devereux, wenn man nicht auch Maria Stuarda bringen wird? Eine Donizettische Tudor-Trilogie wäre eine runde Sache. Daraus scheint wohl nichts zu werden, zumindest weiß anscheinend niemand etwas davon. Vielleicht überrascht Operndirektorin Braunger ja noch das Publikum (evtl. in der übernächsten Saison!?!) .... Angesichts anhaltender Inspirationslosigkeit der Karlsruher Intendanz sickert aus unzufriedenen Reihen der Karlsruher Oper das Gerücht, daß es neben Händels Tolomeo und Puccinis Turandot in der kommenden Saison Bergs Wozzeck und schon wieder einen neuen Don Giovanni geben könnte. Weiterhin könnte es nach Roméo et Juliette eine weitere (und zwar die bekannteste) Oper Gounods geben. Aber diese Gerüchte sind ohne Gewähr.
Im letzten Jahrzehnt glänzte die Karlsruher Oper oft damit, daß man A- und B-Premiere aus dem Ensemble besetzen konnte. Das ist kein absoluter Wertbeitrag, sondern ein Indiz für clevere Ensemblegestaltung. In Karlsruhe hat sich der Wind inzwischen gedreht: In Strauss' Elektra kann man bspw. keine einzige der drei weiblichen Hauptrollen aus dem Ensemble besetzen, Anna Bolena ist im März bei den vier Hauptrollen komplett auf Gäste angewiesen und für Roberto Devereux kann man nur eine von vier Hauptrollen doppelt besetzen. Es ist schön, daß es bei Besetzungen Abwechslung gibt, daß man Gäste einlädt und manchen Opern-Fan durch Gäste zu einem erneuten Besuch animieren kann. In Karlsruhe scheinen aber vielmehr Hilflosigkeit und Überforderung die Richtung am künstlerischen Ruder vorzugeben.
Für bißfeste Repertoirepolitik anstelle von ideologischem Erbsenpüree
Die Intendanz scheint die Instrumentalisierung des Theaters
als Mittel zum Zweck der Bürgerbelehrung voranzutreiben. Der Zweck des
Theaters wird also immer stärker ideologisch definiert, die
Verspießerung von oben manifestiert sich in ständiger Selbstinszenierung
des intendantischen politischen Egos - eine Selfie-Intendanz des erhobenen
Zeigefingers und des alternativlosen Konformismus, die sich nach oben
anbiedert und nach unten moralpredigen will und das Bühnengeschehen am liebsten zur Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit sieht. Das ästhetische und
intellektuelle Mittelmaß der letzten Jahre aus dem Geist der neuen
Spießigkeit will Antworten geben statt Fragen zu stellen. Von "Vielfalt"
wird zwar ständig gesprochen, sie wird aber nicht gelebt. Zumindest als
Realsatire kann diese Intendanz auf kritische Zeitgenossen zum
Fremdschämen lustig wirken. Intendant Spuhler hat in seiner Rolle als selbsternannter Oberprediger sogar das Grundgesetz instrumentalisiert, ein übergroßes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" prangt nun am Gebäude. Wer weiß, vielleicht predigt der Intendant demnächst vor jeder Vorstellung von einer Empore herunter dem Publikum. Daß es zu Beginn seiner Intendanz Proteste wegen unwürdig vieler Überstunden gab und das Badische Staatstheater sich während seiner Intendanz nicht den Ruf erarbeitet hat, menschlicher und sozialer zu sein oder bessere und fairere Gehälter im künstlerischen Bereich zu zahlen (ein allgemeines, nicht auf Karlsruhe gemünztes Beispiel findet sich hier), scheint ein weiteres Indiz zu sein, wieso vieles als Pose ohne Substanz scheinheilig wirkt.
Die vorletzte Anna Bolena mit vier Gästen - die souveräne Shelley Jackson als Anna, die großartige Ewa Plonka als Jane Seymour, der Rückkehrer Guido Jentjens als Heinrich VIII. und Victor Campos Leal als Percy sowie Dilara Baştar als Smeton, Yang Xu als Rochefort und Dominic Limburg anstelle von Daniele Squeo - wirklich die vorletzte Aufführung? Es wäre bedauerlich und kennzeichnend.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.