Donnerstag, 24. Mai 2018

Mumpitztheater (1)

Freudlos, lieblos, phantasielos, ideenlos - Notizen zu einer mißlungenen Intendanz
Im 2. Weltkrieg bauten die Amerikaner auf abgelegenen Standorten im Pazifik Frachtflughäfen als Umschlageplätze zur Versorgung ihrer Truppen. Jahre nach Ende des Krieges und Abzug der Truppen beobachtete man bei primitiven Eingeborenen Melanesiens die Ausübung des sogenannten Cargo-Kults: sie rodeten Landebahnen, entzündeten Signalfeuer, imitierten die Bewegungen der Landelotsen, sie schnitzten sich sogar Zubehör, bspw. in Form von Kopfhörern, und hofften, daß sie auch Fracht erhalten würden. Sie imitierten mit hoher Genauigkeit, was sie beobachtet hatten und trotzdem erbarmte sich niemand ihrer Beschwörungszeremonie. Manchen mag es nach nun fast sieben Jahren scheinen, als ob man ein ähnliches Phänomen in abgewandelter Form am Badischen Staatstheater beobachten kann: man hat dort eine immer wieder orientierungslos wirkende Intendanz, die mit so geringem Erfolg versucht, Qualitätsfracht auf die Bühne zu bringen, daß man vermuten möchte, daß sie ihre Tätigkeit eher imitiert als wissentlich ausübt.

In sieben Jahren gab es so wenig Gelungenes und Bemerkenswertes und vor allem Mittelmaß und Abstürze. Austauschbares Theater ohne bemerkenswerte Individualität, ohne Freude und Freiheit, so viel Verschwendung von Zeit und Talent für öde Stücke ohne Erinnerungswert und Programmzusammenstellungen, die nicht die Inszenierung und die Künstler als praktischen Ausgangspunkt nahmen, sondern unter theoretischen und ideologischen Gesichtspunkten zusammengestellt schienen. Wann in den letzten drei Jahrzehnten hatte man in so kurzer Zeit so viele dilettantisch mißlungene Inszenierungen gesehen - in der Oper bspw. Macbeth, Lohengrin oder die Fledermaus waren lächerlich schlecht, im Schauspiel von Jan Linders schien man die ersten Jahre hilflos überfordert - viel zu viel Mumpitztheater in so kurzer Zeit. Theater kann scheitern, Produktionen können unter einem schlechten Stern stehen, das kann man niemanden vorwerfen. Nur andere Intendanten hatten den Mut, Produktion auch mal abzusagen, wenn sie feststellten, daß das Ergebnis zu bescheiden war.
Welcher Intendant schafft es innerhalb von acht Spielzeiten drei Operndirektoren und drei Schauspieldirektoren benötigt zu haben? Das scheint kein Zufall, sondern hat wohl tiefere Ursachen. Bei Intendant Spuhler schien der Qualitätskompaß öfters orientierungslos überfordert. Eine "künstlerische Insolvenzverschleppung", wie es ein kluger Kopf nannte. Man kann nur hoffen, daß die neuen Direktoren in Oper und Schauspiel den Einfluß des Generalintendanten auf die Bühne, Kunst und Künstler zurückdrängen. Deswegen stellt sich hier demnächst die Frage: wieso braucht man überhaupt noch einen Generalintendanten? Zur künstlerischen Kontrolle der neuen Direktorinnen? Wohl kaum!

Auch die Selbstdarstellung der Intendanz erinnert an den Cargo-Kult. Man hatte das Symptom korrekt analysiert: Gutes Theater bewirkt gute Kritiken. Also entschied man am Badischen Staatstheater, über sich selber hymnisch zu schreiben: man "brilliert", man zeigt "große Spielfreude", man ist "glänzend", "berührend", zeigt "Ausdruckstiefe" und "magische Darstellungskraft", man ist "großartig", spielt "entfesselt" auf - ja man ist "bravourös". Das alles findet sich in einer einzigen Selbstbesprechung (und zwar hier sowie in vielen weiteren während der letzten Jahre) und man meint es sich plastisch vorstellen zu können, wie manche Theoretiker vor dem Spiegel stehen und sich diese Worte auf sich selbst beziehend vorlesen. Wenn das Umfeld am Badischen Staatstheater stimmen würde, hätte man den Schreiber dieses Textes darauf hingewiesen, daß diese Selbstbeweihräucherung einfach nur peinlich ist und man damit das Risiko eingeht, als Witzfigur dazustehen. Aber nun ja, der Cargo-Kult hat auf traurige Weise etwas Lustiges und ist nicht auf niedrige Zivilisationen beschränkt, die Fehlinterpretation von Ursache und Wirkung und das Unverständnis für kausale Zusammenhänge ist ein universales Problem. Das Setzen von Gleichheitszeichen anstelle der Unterscheidung mit anderen, komplexeren Operatoren oder das Mißverständnis, daß die Verwaltung eines Problems als dessen Lösung gelten kann, findet sich sowohl im privaten Alltag als auch in den höchsten politischen Kreisen. Grob gesagt: Die politische Linke glaubt, die Fracht mit allen benötigten Gütern sei unterwegs, aber böse Mächte verhindern ihre Ankunft, die politische Rechte läßt das Ritual als Quietiv durchführen, damit das Flugzeug im Jenseits landen könnte und im Diesseits Ruhe herrscht. Das Badische Staatstheater ist also nicht alleine mit seiner Cargo-Intendanz. Ein schwacher Trost ....
(Fortsetzung folgt)

4 Kommentare:

  1. Hervorragend geschrieben.

    Georg Ruf

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  2. Es spricht Bände, dass es noch ausreichend Karten für die Premiere am 3.6. für Anna Bolena gibt. Erinnere mich an Zeiten, da musste man sofort nach Veröffentlichung des Spielplanes Karten bestellen, ansonsten ging man leer aus.

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    1. Vielen Dank und ja, ich kann mich auch noch an bessere Zeiten erinnern. Die kommen irgendwann hoffentlich wieder, aber man muß unterscheiden:
      - Wir haben einen Strukturwandel, der zu Einbußen geführt hat. Das Interesse an komplexen bzw. komplizierten Vergnügen ist noch immer rezessiv. Zu Oper, Theater und Ballett finden viele heute relativ spät und weniger als früher.
      - Daß der Intendant nun nicht gerade für Qualität steht, ist selbst im Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters bekannt. Peter Spuhler wird damit leben müssen, daß er immer nur der "Sanierer" und "Bauintendant" ist. Wegen seiner Ideen, seinem Gespür oder sogar seinen Führungsqualitäten wird er wohl nie engagiert werden.

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