Daniel Kehlmann ist vorrangig bekannt als maßgeblicher Romanautor, „Die Vermessung der Welt“, „Ich und Kaminski“ oder aktuell der Eulenspiegel-Roman „Tyll“ haben großen Erfolg. Als Autor von Theaterstücken ist er nicht unmittelbar präsent, obwohl er beste Voraussetzungen mitbringt: seine Mutter ist Schauspielerin, sein Vater Regisseur. Heilig Abend ist Kehlmanns drittes Bühnenwerk (UA 2017) und ein Stück in Echtzeit, eine Idee, die inspiriert zu sein scheint vom Hollywood-Klassiker High Noon und der TV-Serie 24. Ein Polizist verhört unter Zeitdruck eine Verdächtige, in 90 Minuten könnte ein linksextremistischer Terroranschlag geschehen, eine Uhr zeigt dem Publikum die genaue Zeit an.
Heilig Abend spielt am 24. Dezember, das Verhör beginnt um 22.30, um Mitternacht endet es mit einem überraschenden Knalleffekt. Dazwischen summiert Kehlman geschickt das Genre mit all seinen Stereotypen, sein Theaterkrimi für zwei Schauspieler funktioniert in München, Dialoge und Pointen sitzen, die 90 Minuten gehen schnell vorbei, wobei man als Zuschauer aber nie den Eindruck hat, daß es sich so in der Realität abspielen würde. Vieles wird in den Topf geworfen, Gutmenschen-Terror und linksextreme Theorien, Polizeigewalt und Überwachungsstaat, ein Polizist, der vom großartigen Michele Cuciuffo so eindringlich als harter Hund aus einfachem Milieu gespielt wird, daß man sich nicht wundern würde, wenn man ihm demnächst in einer entsprechenden Filmrolle als Staatsschützer oder Kommissar im Fernsehen sehen würde, sowie eine smarte Sophie von Kessel als Professorin aus reichem Elternhaus, die gelegentlich zu stark grimassiert, um ihrer Figur Ausdruck zu verleihen. Regisseur Thomas Birkmeir läßt sich von den politischen und zeitgeistigen Nebenbaustellen nicht ablenken und inszeniert einen spannenden Krimi, über dessen Logiklücken man gar nicht erst nachdenken sollte. Das Publikum im sehr gut besuchten Münchener Residenztheater dankte es mit starkem Applaus.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.