Mittwoch, 19. Juli 2017

Rückblick (2): Die Spielzeit 2016/17 des Badischen Staatstheaters

Von der renommierten Musikkritikerin der Frankfurter Allgemeine Zeitung Eleonore Büning stammt der Satz: "Nur wer die Neugier kennt, verpaßt nicht die Sensation. Das Beste, was einem, selten genug, im Theater überhaupt passieren kann, das sind Überraschung, Erschütterung oder auch Begegnungen mit sich selbst, was man früher, in der Antike, Katharsis zu nennen pflegte." Das könnte man noch um weitere wichtige Punkte erweitern, vor allem um ästhetische Begeisterung angesichts künstlerischer Größe und um das Nunc Stans, das zeitlos stehende Jetzt der Mystiker als transzendente Erfahrung in der man die Zeit vergißt, um als Beurteilungskriterium für die besonderen Momente der abgelaufenen Saison zu dienen. Unbedingt bemerkenswert und herausragend waren:

  • Eleazar Rodriguez, der mit unbändiger Freude und tadelloser Stimme als Nemorino in Donizettis Liebestrank für Begeisterung sorgte
  • Donizettis Liebestrank, der von Jacopo Siprei so unterhaltend und schnörkellos inszeniert wurde - und übrigens durchaus mal im Repertoire bleiben sollte. Irgendwann wird die Oper ihr Abstellgleiß verlassen dürfen, dann braucht man auch wieder Repertoire-fähige Inszenierung im Lager
  • Matthias Wohlbrecht, der als Chamberlain in Wahnfried und Mime in Siegfried zu Höchstform auflief
  • Barbara Dobrzanska, die sich als Adriana Lecouvreur eine neue Paraderolle eroberte und als Tosca das Publikum auch in der xy-ten Vorstellungen beglückte
  • Kristina Stanek, die als Cherubino in Mozarts Figaro unglaubliche stimmliche Erotik ausstrahlte und zusammen mit Uliana Alexyuk, Agnieszka Tomaszewska und Armin Kolarczyk einen beseelten Mozart sang
  • Die Badische Staatskapelle und ihre Dirigenten, die für alle Herausforderungen eine überzeugende Lösung fand und mit Walküre, Siegfried, Wahnfried ebenso begeisterte als mit Clemenza di Tito und der Hochzeit des Figaro
  • Janos Ecseghy für seine wunderschöne Interpretation des Violinkonzerts von Dvořák
  • Justin Brown für einen tadellosen Siegfried und einen rasanten Wahnfried
  • Es gab im Schauspiel schöne Ensembleleistungen mit mehr Spielfreude als in den Jahren zuvor. Die Stars sind die Routiniers: Lisa Schlegel, Gunnar Schmidt und André Wagner zeigten ihren Kollegen, wie starkes Bühnenprofil aussieht
  • Und mit Paula Skorupa hat man eine starke und überzeugende Johanna von Orleans engagiert. Skorupa wird in der kommenden Spielzeit hoffentlich noch mehr Hauptrollen bekommen

"Nur wer die Neugier kennt, verpaßt nicht die Sensation"

Aber gab es in dieser Spielzeit die Sensation? Nicht wirklich. Es sind leider kaum begeisternde Inszenierungs-Eindrücke in der abgelaufenen Saison. An welche Produktion wird man sich bei der Spielzeit 2016/2017 gerne erinnern? An den motivierten Liebestrank, eine nette und kurzweilige Semele, Avner Dormanns erste Oper Wahnfried, die musikalisch so vielversprechend klingt und bei der die Musik die Mängel des Librettos kompensierte. Das Ballett war ordentlich, das Schauspiel hat sich gesteigert, aber nichts Besonderes auf die Beine gebracht. Eine durchschnittliche Spielzeit, eine blasse Spielzeit, aber ohne Abstürze und den Blick tatsächlich nach oben gerichtet. Man konnte spüren, daß man stets bemüht war. Intendant Spuhler kämpft nun doch merklich um seine Reputation in der Spätphase seiner Amtszeit, nichts mißlang dilettantisch. Den Ehrgeiz, eine weitere Station seiner Karriere zu erreichen, die Möglichkeit auf ein weiteres Theater, das ihn engagiert, sind wohl bei ihm vorhanden. Und das ist auch gut so, Staatstheater und Intendant brauchen einen Neustart - ohne einander.

Übersicht:
Oper
Der Liebestrank
Die Walküre
Semele
Arminio
Hochzeit des Figaro
Tosca
Adriana Lecouvreur
Wahnfried
Siegfried
La clemenza di Tito

Konzert
7 Symphoniekonzerte
Festkonzert der Deutschen Händel Solisten
Konzert mit Piau und Vivica Genaux
Theodora

Schauspie
Terror
Ich rufe meine Brüder
Möglicherweise gab es einen Zwischenfall
Der Krüppel von Inishmaan
Angriff auf die Freiheit
Antigone
Die Jungfrau von Orleans
Karnickel
Small Town Boy
Stolpersteine Staatstheater
 
Ballett 
La Sylphide
Der Nußknacker
Rusalka

Musical 
Die Goldberg Variationen 
 
PS: Nur zum privaten Gebrauch / persönliche Statistik für die Spielzeit 2016/2017:
16 Opernbesuche / 10 Produktionen
10 Konzertbesuche / 10 Konzerte
10 Schauspielbesuche / 10 Theaterstücke
3 Ballettbesuche / 3 Produktionen
1 Musical
Theaterfest
Fazit: 41 Vorstellungen im Badischen Staatstheater. Zusätzlich 10 Besuche in anderen Städten scheinen ein Indiz für Unzufriedenheit und Fluchttendenzen. Ein langweiliges Opernprogramm, unwesentliches Theater, etwas zu betuliches Ballett. Nur die Badische Staatskapelle ist souverän, Justin Brown hat das Orchester geformt und verbessert.