Sonntag, 5. Juni 2016

Bellini - I Capuleti e i Montecchi, 04.06.2016

Begeistertes Publikum im Belcanto-Glück
Bellini ist für Feinschmecker. Der italienische Dirigent Daniele Squeo ordnete es sehr treffend ein: "Bellinis Musik ist wie Haute Cuisine: klein und fein mit wohldosierten Aromen. Sie erschlägt nicht, sie berührt." Man kann in seinen Belcanto-Opern schwelgen, Melodien, die nicht zu enden scheinen, Schönklang zum Dahinschmelzen, eine genußreiche Kombination feiner Nuancen. Klang und Gesang sind auch im Mittelpunkt der Karlsruher Produktion, die die Kulinarik des Belcanto-Repertoires nicht verleugnet. Der Funke sprang sängerisch und musikalisch über, szenisch sieht man inszenierte Routine, zwar in keiner Weise aufregend, aber dafür in musikdienlicher Zurückhaltung.
   
Worum geht es?
Daß I Capuleti e i Montecchi (Die Capulets und die Montagues) nicht Romeo und Julia heißen, hat einen guten Grund: Shakespeares Stück war vor knapp zweihundert Jahren in Italien kaum bekannt, doch Shakespeares Vorlage ist italienischen Ursprungs und liegt auch Bellinis 1830 uraufgeführter Oper (mehr dazu auch hier) zugrunde. Die zwei rivalisierenden Familien geben der Oper ihren Titel. Nur fünf Sänger werden benötigt: Romeo Montecchi (eine Hosenrolle für einen Mezzosopran) und Giulietta Capuleti (Sopran) lieben sich bereits zu Beginn der Oper heimlich, doch Julias Vater Capellio (Baß) will seine Tochter an seinen Gefolgsmann Tebaldo (Tenor) verheiraten. Lorenzo (Baß) -hier Arzt, nicht Mönch- will helfen, der Scheintod Julias mündet in den Freitod Romeos; Julia erwacht aber, bevor er gestorben ist. Es folgen Duett und Liebestod, wie Isolde ihrem Tristan, so stirbt Julia ihrem Romeo nach, aber das ist auch schon die einzige Übereinstimmung. Es geht also nicht ums Verlieben, sondern von Anfang an um den aussichtslosen Kampf gegen die soziale Trennung. Bellinis Oper ist ein Requiem, ein Trauergesang in Schönklang, lange Melodiebögen lösen die Tragik und Zerrissenheit in Schönheit und Wehmut auf. Das Glück ist immer anderswo und erfordert Verzicht, Traum gegen Wirklichkeit, Emotion gegen Machtverhältnisse - ein Scheitern. Zweimal flüchtet Julia mit Romeo nicht, sie ist im tragischen Konflikt: Gehorsam und Liebe zur Familie und die Liebe zu Romeo sind nicht vereinbar. Das Ende ist ohne Überhöhung oder Jenseitigkeit, tödliche Tristesse, Schuld und Vorwurf stehen im Raum.

Was ist zu sehen (1)?
Der junge Regisseur Tilman Hecker erweist sich bei seiner ersten Karlsruher Produktion als Mann der Zurückhaltung und Behutsamkeit, seine Inszenierung will nicht stören. Tatsächlich wird sich wohl niemand aufregen, aber auch kaum jemand in Aufregung versetzt. Die Oper konzentriert sich ganz und gar auf die zwei Hauptfiguren, die Welt, in die sie eingebettet sind, bleibt vage. Wer bekämpft sich in dieser Inszenierung? Die Capuleti waren dem Papst ergebene Guelfen und die Montecchi kaisertreue Ghibellinen. Weder Kostüme noch Inszenierung konkretisieren, es gibt keine erkennbaren sozialen oder ethnischen Gruppierungen, es bleibt ein unbestimmter Konflikt, der nur farblich gekennzeichnet ist. Die Kostümbildnerin Julia von Leliwa legt das Geschehen in keine definierte Zeit, man sieht sowohl historisierende als auch erfundene Gewänder als Sinnbild eines zeitlosen und Zeiten überdauernden Konzepts. Das enge Bühnenbild gibt wenige Bewegungsfreiheit, die Verhältnisse sind statisch, der Chor ist beschränkt auf Stehprozessionen, man tritt auf, steht herum und geht wieder ab. Dem Regisseur gelingt das Intime, er ist nahe dran an der Musik und interpretiert sie kontemplativ und nach innen gekehrt, ohne Härten oder Deutlichkeiten.

Was ist zu sehen (2)?
Das Bühnenbild hat positiv ausgedrückt etwas Allgemeingültiges, andere werden es beliebig finden, eine Szenerie, die sich auch für andere Produktionen anbietet. Wenn man aus Sparzwängen am Badischen Staatstheater in einen finanziellen Engpaß kommen würde, könnte man Bühne und Kostüme dieser Produktion auch für viele andere Opern heranziehen. Bühnenbildner Raimund Orfeo folgt einem klaren Konzept, das vom Programmheft wie folgt umrissen wird. "Der Machtkampf zwischen den beiden Clans der Capuleti und der Montecchi" und "die beklemmende Machtlosigkeit des Individuums gegenüber der eigenen Abstammung, gegenüber der Gesellschaft und ihren Regeln und gegenüber der Geschichte, der man nicht entkommen kann" stehen laut Programmheft im Mittelpunkt dieser Inszenierung. Zu sehen sind drei Stockwerke eines Hauses, "drei Räume, die übereinander liegen und in ihrer Ausgestaltung vollkommen identisch sind. Und trotzdem unterscheiden sie sich, weil wir in der vertikalen Anordnung eine Hierarchie wahrnehmen. Die Macht ist immer oben". "Umso höher eine Person, umso machtvoller und dominanter ist sie gerade. "Grundlegende Themen der Oper – Macht und Ohnmacht, Herrscher und Unterdrückter, Himmel und Hölle – werden in diesem verdreifachten Raum plastisch und wie nebenbei erfahrbar". Es gibt "raumübergreifende Beeinflussung", "wenn sich zwei Figuren auf getrennten 'Stockwerken' befinden und von außen in die Mitte des Raumes laufen, dann begegnen sie sich nicht; sie kommen sich aber trotzdem entgegen". "Die drei Räume sind einerseits drei Geschosse eines Gebäudes – das ist die naheliegende Sichtweise. Andererseits können sie aber auch wegen der identischen Ausgestaltung als ein und derselbe Raum betrachtet werden, in dem unterschiedliche emotionale oder psychologische Zustände einer Situation beschrieben werden – so zum Beispiel in der finalen Gruftszene, wenn Tebaldo, Capellio und Romeo jeder für sich vor einem Sarg stehen und Abschied von der vermeintlich Verstorbenen nehmen."
     
Was ist zu hören?
Nur fünf Sänger werden benötigt, drei davon bekamen von Bellini Arien, vier Sänger der gestrigen Premiere zeigten starke Leistungen. Als Romeo ist Dilara Baştar zu hören und ihr glückt die Rolle szenisch und darstellerisch. Zwischen Attacke und Rückzug, Liebe und Verzweiflung - ein Hitzkopf mit lyrischer Hingabe, ein wunderschönes Timbre, ausdrucksvolle Tiefe, fast immer klare Höhen, herzzerreißende Töne aus der Gruft - der Romeo ist auch zukünftig Baştars Rolle, die sich sich umfänglich zu eigen gemacht hat.
Die Giulietta von Uliana Alexyuk hat bereits mit ihrer Auftrittsszene -mit der Romanze Oh! quante volte- die Hit-Arie der Oper, im Duett mit der Harfe gelingt Alexyuk eine schwerelos lyrische und doch sehnsüchtige Gestaltung. Auch Alexyuk eignet sich ihre Rolle komplett an und singt sie eindringlich mit wunderbaren Piani und betörendem Klang, ihre Stimme drückt Lauterkeit, Fragilität und Unschuld aus. Die Duette - atemberaubend, inniges Dahinschmelzen, in der Sterbeszene war es gestern mucksmäuschenstill im Publikum. Für beide Hauptdarstellerin waren die viele BRAVA-Rufe hochverdient.
Eleazar Rodriguez bekam als Tebaldo im 1. Akt für die Kavatine È serbata a quest o acciaro die ersten Bravos des Abends. Er meisterte die Arie und das Duett mit Romeo im zweiten Akt in den Höhen mit selbstverständlich wirkender Leichtigkeit.
Der junge Bassist Yang Xu, der ab der kommenden Spielzeit zum Ensemble gehört, zeigte in der kleinen Rolle des Lorenzo einen markanten Auftritt mit volumen- und charakterreicher Stimme, die sofort aufhorchen ließ. Leider sang Konstantin Gorny die gestrige Premiere nicht, Lucia Lucas vertrat ihn als Capellio nicht optimal,  der Bariton hat für Julias Vater zu wenig Fundament und Autorität, weder seine Rachegier noch seine Sturheit kommen zum Ausdruck - ein eindimensionaler Auftritt ohne Kraft und Aussage, der einzige Schwachpunkt der Premiere.
                 
Dirigent Daniele Squeo folgt Bellinis melodischen Eingebungen mit Hingabe. Seiner Nuancierung und Phrasierung ist zu verdanken, daß Bellini nie vordergründig oder einfach nur schmissig klang. Die Musiker der Badischen Staatskapelle zeigten Temperament und Raffinesse, expressiv erklangen die Solo-Instrumente wie Harfe, Flöte, Cello und Klarinette, die Ouvertüre hat Rossini'schen Schwung, die Arien strömten, die Sterbeszene zitterte. Squeo schreibt im Programmheft: "Bei Bellini ist weniger mehr. In den Proben haben wir oft diskutiert, wo man eine Verzierung oder eine Kadenz einfügt oder wo nicht. Letztlich haben wir uns in vielen Fällen dagegen entschieden. Die schlichte Schönheit seiner Melodien ist Bellinis Stärke. Da kann eine Verzierung schnell stören. Es lohnt sich sehr, sich sowohl als Sänger als auch als Zuhörer auf diesen reduzierten Stil einzulassen." Chor, Sänger und Musiker tragen ihren Teil dazu bei.
             
Fazit: Herzergreifender Belcanto mit großartigen Hauptdarstellern. Das Publikum jubelte. Die Inszenierung ist allerdings so stark zurückgenommen, daß man kaum etwas darüber berichten kann.

Team und Besetzung
Giulietta: Uliana Alexyuk    
Romeo: Dilara Baştar
Tebaldo: Eleazar Rodriguez
Lorenzo: Yang Xu
Capellio: Lucia Lucas

Musikalische Leitung: Daniele Squeo
Regie: Tilman Hecker
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Julia von Leliwa
Licht: Rico Gerstner
Chorleitung: Ulrich Wagner

2 Kommentare:

  1. @Laokoon
    Vielen Dank für den interessanten Exkurs, der vor allem durch die Originalbeispiele für mich sehr interessant ist!

    AntwortenLöschen