Die Amazone von Aragona -Veremonda, l’Amazzone d’Aragona- schon der Titel der Oper von Francesco Cavalli (*1602 †1676) scheint ein Versprechen frühbarocker Opernfreude zu sein. Veremonda wurde 1652 wahrscheinlich in Venedig (oder doch Neapel?) uraufgeführt. 364 Jahre später konnte man diese Oper gestern als deutsche Erstaufführung im Rokokotheater Schwetzingen als Koproduktion des Staatstheater Mainz mit den Schwetzinger SWR Festspielen erleben, sie hinterließ dabei einen musikalisch sehr guten und inszenatorisch gemischten Eindruck.
Worum geht es?
Die Oper spielt während der Reconquista, der über siebenhundert Jahre dauernden christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Mauren, die 1492 mit der Eroberung Granadas endete. Der aragonische König Alfonso belagert die maurische Festung von Gibraltar, die von der Königin Zelemina befehligt wird; diese hat eine heimliche Liebesaffäre mit Alfonsos Feldherr Delio, jede Nacht treffen sie sich zum interkulturellen Austausch. König Alfonso hat mehr Interesse an Astrologie denn an Kriegsführung, seine Ehefrau Veremonda will deshalb selber die Vertreibung der Mauren in die Hand nehmen und schart kriegerische Amazonen um sich. Es gibt typisch barocke Verstrickungen, Verwirrungen und Intrigen, die
sowohl mit Drama als auch mit Komik versetzt sind. Motiviert
werden die Figuren durch starke Gefühle: Liebe, Verrat, Eifersucht und
Rache, unterstützt durch das symbolische Figurentrio Vendetta, Furore
und Amore, das hier eine eher destruktive Rolle spielt. Veremonda gelingt es im dritten Akt, Gibraltar durch eine List zu erobern, Zelemina
konvertiert zum Christentum und heiratet Delio und alles ist -zumindest vordergründig- gut.
Was ist zu sehen?
Veremonda ist pralles Geschehen mit verschiedenen Handlungssträngen und Wendungen, die Regisseurin Amélie Niermeyer stets einfallsreich in Szene setzt. Sie verzichtet dabei auf jegliche Aktualisierungen: Moslems und Christen sind nicht als Konfliktgegner explizit gekennzeichnet, keine Schleier oder bekannte religiöse Symbole sind zu sehen, die Amazonen kämpfen nicht für die Befreiung der Frau, es gibt auch keine Geschlechterkonflikte - es ist eine Phantasiewelt mit nebulösen Referenzen an die Realität, die auch durch die Kostüme von Kirsten Dephoff nicht deutlicher werden. Die symbolischen Figuren sehen bspw. aus wie abgetakelte Conchita Wurst Kopien, bärtige Männer in Frauenkleidung und Gummistiefeln, deren Bedeutung sich nicht erschließt, die Amazonen erinnern an japanische Schulmädchen. Man könnte sagen, die Inszenierung verzichtet darauf, dem Geschehen einen augenfälligen Sinn verleihen zu wollen, der über das momentane Bühnengeschehen hinausweist, einfach zuschauen und eintauchen ist die Botschaft. Das gelingt gut, aber nicht ideal - den Affekten gibt man teils spannenden Ausdruck, einiges gelingt atmosphärisch dicht und bemerkenswert,der psychologische Subtext des Geschehens bleibt hingegen ein wenig zu vag, der große plausible Handlungsbogen unterbleibt. Doch auch für eine Barockphantasie fehlt es an Opulenz und Spektakel. Man inszeniert etwas unentschlossen zwischen den Möglichkeiten. Die Bühne von Stefanie Seitz zeigt ein altes Industriehallen-Design, Wellblech, eine verschiebbare Hallentür über die ganze Querschnittsfläche des Bühnenraums, die zu Beginn und am Ende die Bühne verschließt, ein seichter Wasserkanal bietet einige Möglichkeiten zum Waten, als Abgrenzung, für ein Schlauchboot und schöne Lichteffekte. Visuell ist man ebenfalls einfallsreich, aber nicht immer überzeugend. Die Schlußszene wird dann unvermutet ernst, die "politisch inkorrekte" Befreiung von den maurischen Eroberern ist auch eine blutige Vertreibung des Islam durch eine christliche Macht. Alles hängt vom Standpunkt ab: man wagt es nicht die alte Besatzungsmacht in schlechtes Licht zu rücken, die Befreiung ist aber bei Regisseurin Niermeyer eine gewalttätige Assimilation - ein wenig hilflose Vordergründigkeit in der Schlußszene, die auch ein Schlüssel zu den vorangegangenen Szenen sein könnte. Es fehlte der Regie an konsequenter Absichtlichkeit, um mehr als nur einen ordentlichen Zeitvertreib auf die Bühne zu bringen.
Was ist zuhören?
Musikalisch hat man in Schwetzingen einiges zu bieten. Altmeister Gabriel Garrido hat sich die Partitur vorgenommen und bearbeitet (gekürzt und erweitert), denn nur 2 Violinen und Basso Continuo sind original notiert. Garrido nahm sich L'Orfeo von Cavallis Lehrer Monteverdi als Vorbild für die Ergänzungen und schuf eine lebendige Fassung mit teilweise lautmalerischen Passagen, die zeigt, was für ein Charakterisierungsmeister Cavalli war: die Figuren bekommen ein individuelles Profil, ihre Eigenschaften und Haltung werden anschaulich in Töne gesetzt. Unterstützt wurde Cavalli vom Librettisten Giulio Strozzi, der ein Dichter gewesen sein muß - seine Sprache ist teilweise berückend poetisch. Garrido konnte erkrankt die Premiere nicht selber dirigieren, sein Assistent Andrés Locatelli vertrat ihn erfolgreich, das Concerto Köln wurde seinem guten Ruf gerecht - eine abwechslungsreiche Fassung.
14 Sänger singen 16 Rollen und haben neben Arien und ariosen Passagen auch einige Ensembles. Überzeugen können vor allem die Sänger in den Hauptrollen, die Premiere war auf sehr guten Niveau, ohne daß man einen einzelnen Sänger besonders hervorheben könnte. Die Countertenöre Matthias Rexroth (Alfonso) und Lawrence Zazzo (Delio) sind gefragte Routiniers ihrer Stimmlage, Netta Or ist mit hellem Timbre eine ausgezeichnete Veremonda, Alexandra Samouilidou eine sensible Zelemina, Polina Pasztircsák eine kesse Vespina. Bei den Männerstimmen fallen vor allem Stefan Sevenich als sehr wohlklingender General Roldano, Ralf Simon in der komischen Rolle des Don Buscone und der kernige Bariton von Kyung Jae Moon (Giacutto) positiv auf.
Fazit: Eine schöne Entdeckung aus der man inszenatorisch mehr machen kann!
Team und Besetzung
Veremonda: Netta Or
Alfonso Re: Matthias Rexroth
Zelemina: Alexandra Samouilidou
Delio: Lawrence Zazzo
Vespina: Polina Pasztircsák
Roldano: Stefan Sevenich
Giacutto: Kyung Jae Moon
Don Buscone: Ralf Simon
Il Crepuscolo / Zeriffo: Johannes Mayer
Sergente Maggiore / Furore: Leandro Bermudez LaFont
Il Sole: Alin Deleanu
Vendetta: Miriam Gadatsch
Amore: Ruth Katharina Peeck
Zaide Nutrice: Frances Pappas
Concerto Köln
Musikalische Leitung: Andrés Locatelli
Statisterie der Schwetzinger Festspiele
Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Stefanie Seitz
Kostüme: Kirsten Dephoff
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.