Trotz vieler Barockmusik während der Händel Festspiele traf man die Entscheidung, auch das reguläre 5. Symphoniekonzert ausschließlich mit Musik des 18. Jahrhunderts zu präsentieren: Händel - Vivaldi - Mozart, dirigiert von Stefano Montanari, der auch das Händel-Eröffnungskonzert leitete. Es wurde ein ausverkauftes Minikonzert mit einer reinen Spielzeit von knapp über einer Stunde: ca. 10 Minuten Händel, 20 Minuten Vivaldi, 30 Minuten Mozart - ein etwas zu dürr geratenes Erlebnis, sogar das "Programmheft" wirkte irgendwie zu schnell und knapp geschrieben. Musikalisch war der offizielle Abschluß der Händel Festspiele hingegen teilweise hochinteressant.
Das Concerto grosso B-Dur op. 3 Nr. 2 (HWV 313) von Händel machte den Beginn. Vor genau einer Woche spielte Armonia Atenea unter George Petrou Händels Concerto grosso F-Dur op. 3 Nr. 4, und zwar so, daß man unmittelbar Lust auf mehr bekam. Gestern fiel zuerst der ebene, glatte Klang der Streicher auf, die Badische Staatskapelle musizierte voller Elan, die Holzbläser hatten schöne Momente, Montanari öffnete aber nicht die Dimension, die Petrou erweckte.
Es folgten nicht die 4 Jahreszeiten op.8, sondern lediglich die 2 Jahreszeiten von Vivaldi, und zwar Winter und Frühling. Wieso man nicht das komplette Konzert spielte, erschließt sich nicht unmittelbar, vielleicht reichte dem Dirigenten die zugestandene Probenzeit nicht aus; die Badische Staatskapelle ist kein spezialisiertes Barock-Ensemble, die Probenphase wird ggf. etwas länger gedauert haben. Das Resultat war dafür hochinteressant! Höfisch, elegant und auf Schönklang getrimmt werden Vivaldis 4 Jahreszeiten heute kaum noch gespielt, vielen fällt aber auch nichts mehr dazu ein als auf Effekte zu setzen, sich in den Rausch der Geschwindigkeit zu steigern oder schroffe Kontraste zu setzen. Die Konzerte leben heute von der Betonung der Gegensätze: höfisch-anmutig und ländlich-herb, zart und harsch, frierend und schwitzend. Einer der radikalsten Ansätze ist in der bemerkenswerten Einspielung des Geigers Simon Standage mit The English Concert unter Trevor Pinnock aus dem Jahre 1982 zu hören, eine der für heutige Ohren tauglichsten ist die des Geigers Giuliano Carmignola mit Dirigent Andrea Marcon und dem Venice Baroque Orchestra. Dirigent und Violinist Stefano Montanari wählte einen Ansatz, der die Freiheit bei der Interpretation von Barockpartituren demonstrieren sollte. Zusammen mit dem Karlsruher Orchester erkundete er die Möglichkeiten der Partitur, der Betonung, des Tempos, der Verzierungen - das Ergebnis dieser künstlerischen Freiheit (manch einer wird gerechtfertigt künstlerische Willkür sagen wollen) war ein virtuoses und spannendes Konzert, das kaum noch etwas mit Frühling, Winter oder Jahreszeiten zu tun hatte. Man hörte zwei hintereinander gespielte Violinkonzerte Vivaldis, die keinen inneren saisonalen Zusammenhang oder Dramaturgie mehr hatten, die Jahreszeiten waren des illustren Charakters verlustig, dafür gewannen sie neue Ausdrucksfreiheiten jenseits der Beinamen. Eine Interpretationsfreiheit, die sich vielleicht gerade deshalb erschloß, weil man nur zwei der vier zyklischen Konzerte spielte. Das Ergebnis war originell, teilweise verblüffend. Schade, daß es von diesem Ansatz keinen Mitschnitt gibt - er wäre immer wieder faszinierend zu hören.
Die Symphonie Nr. 36 C-Dur KV 425, die „Linzer“ von Mozart beschloß den Abend gut gelaunt. Dirigent Montanari spielte einen schwungvollen, vorwärtsdrängenden Mozart, dem vielleicht ein wenig die Kontraste fehlten. Adagio, Allegro spiritoso, Poco adagio, Menuetto, Presto - Mozart wählte zwar Satzbezeichnungen, aber beim Zuhören nahm ich gestern auch hier zu wenig Dramaturgie und Gestus war. Montanari musiziert wunderbar, doch scheint er mir noch zu wenig den inneren Bogen zu schlagen.
Fazit: Ein außergewöhnliches und außergewöhnlich kurzes Konzert.
PS: Warum eigentlich waren beide Konzerte ausverkauft? Ein Nachzügler-Effekt der Händel Festspiele (was bedeuten könnte, daß mehr Barock-Musik in den Symphoniekonzerten, konzertante Barock-Opern und Oratorien und evtl. Gastspiele auch außerhalb des Februar ein probates Mittel sein könnten, um dieses Publikum stärker zu bedienen) oder reichen sogar halbierte Jahreszeiten, um Publikum anzuziehen, die einfach mal Vivaldis populäres Werk live hören wollen?
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.