Die gestrige Parsifal-Vorstellung mit Kurt Rydl, Michaela Schuster und Erik Nelson Werner war das Eintrittsgeld definitiv wert - große Sänger in einer im Vergleich zur Premiere verbesserten Aufführung, bei der im ersten Akt die Inszenierung allerdings an zwei Stellen geändert war.
Über die Wahl des gestrigen Gurnemanz-Darstellers waren einige überrascht: der große Wiener Sängerdarsteller Kurt Rydl
ist inzwischen 67 Jahre. Doch was er gestern leistete, klang wie ein klares Plädoyer für die Anhebung der Rentenaltersgrenze. Rydl verfügt immer noch über eine große und raumfüllende Stimme, altersbedingte Ermüdungserscheinungen waren nicht zu bemerken und durch seine jahrzehntelange Sängererfahrung kann er auch im besten Sinne routiniert gestalten. Sein Gurnemanz beeindruckte und überzeugte. Bravo!
Michaela Schuster sang in Karlsruhe bereits 2001 in John Dews Inszenierung des Lohengrin eine beeindruckend präsente Ortrud und war auch gestern als Kundry eine sehr gute Wahl, die mit dem stimmlich so gut in diese Rolle passenden Erik Nelson Werner als Parsifal vor allem einen hochspannenden zweiten Akt sang - eine große Leitung der Sänger und von Justin Brown, dessen Dirigat mir im Vergleich zur Premiere diesmal noch besser gefiel: facettenreicher und detaillierter.
Weiterhin ausgezeichnet in ihren Rollen sind Renatus Meszar als Amfortas, Jaco Venter als Klingsor, Avtandil Kaspeli als Titurel sowie im zweiten Akt die Einzel- und Chorsängerinnen. Nur schade, daß der Frauenchor im ersten Akt so weit im Hintergrund platziert ist, daß er nur ziemlich leise und matt zu hören ist, denn ansonsten war dies eine sehr gute Vorstellung, die keine Vergleiche zu scheuen braucht.
Im ersten Akt war die Inszenierung im Vergleich zur Premiere verändert: bei den spirituellen Urszenen (Abraham, Jesus, Prometheus) war an vierter Stelle nicht die hinduistische Szene zu sehen, sondern der überdimensionierte Schwanenflügel; Titurel erschien nicht im Glassarkophag, sondern wurde auf einer Liege in Position gebracht
Keith Warners spannende und durchdachte Inszenierung (mehr hier) ist im dritten Akt als Geschichte der Ablösung des Erlösers, der Entspiritualisierung und Säkularisierung im besten Sinne zeitgemäß und doch nicht aktuell: wenn am Ende eine im Kern säkulare
Gesellschaft auf der Bühne staunend umherläuft, wird vorausgesetzt, daß diese überhaupt noch eine Form von positivem oder gleichgültigem Interesse an Religion und ihren Ausdrucksformen besitzt. Das hätte man auch anders, ablehnender inszenieren können, gerade in Zeiten wo politisch-religiös motivierte Symbole wie das Kopftuch und ein aggressiv-dauerbeleidigt auftretender Islam, der im westlichen Kontext antiquierte und überkommene Ansprüche hat, in der Öffentlichkeit zu heftiger Kritik führen. Angesichts eines Atheismus, der sich aus Areligiosität und sogar Religionsverachtung (ob nun Islamgegnerschaft oder generelle Religionsablehnung) speist, analysierte der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk einen 'vormaligen Indifferentismus, dem angesichts der neuen Frechheit der Religiösen der Kragen platzt.' Man hätte also auch die Religion als durch die Aufklärung
abgefertigtes Relikt verstehen können, deren Neuaufkommen im
öffentlichen Raum als sozialer, politischer und kultureller Rückschritt
beurteilt wird, da sie den in den westlichen Demokratien vorhandenen Wertanspruch auf
Selbstbestimmung, Emanzipation und persönliche Freiheit in Frage stellen. Doch die etwas oberflächlich wirkende versöhnliche Geste am Schluß dieser Inszenierung lässt diesen Parsifal positiv enden.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
@Kalliope: Herzlichen Dank für die Info! Ich hatte bereits vermutet, daß es pragmatische und einmalige Gründe für die Änderungen im ersten Akt gab.
AntwortenLöschenSängerisch fesselte mich das zentrale Trio - für mich eine sehr gute Aufführung,
Über Frank van Hove als Gurnemanz habe ich bereits viel Gutes gehört und ihre Aussagen bestätigen mir seine Qualitäten. Leider singt er wohl nur noch die eine Vorstellung an Pfingsten, im Programmheft 2015/16 habe ich ihn nicht als Gastsänger gefunden. Wenn ich an Pfingsten nicht familiäre Planungen hätte, würde ich mir die Vorstellung wegen ihm anhören. Schade, daß ich ihn wohl verpasse ....