Das Schöne an dieser Inszenierung, bereits bei der Premiere (mehr hier) und auch gestern, ist, daß es hier endlich mal wieder gelingt, alle Schauspieler in den Mittelpunkt zu stellen: solistisch und im Ensemble. Es passiert mehr auf der Bühne als man bei einem Besuch beobachten kann, ständig kann man voll konzentrierter Freude neue Entwicklungen und Eindrücke einfangen. Die Regisseurin Anna Bergmann hat für jede Rolle ein Konzept, alle Schauspieler nutzen die Chance und zeigen ihr Potential. Es gibt einiges auf der Bühne, das durchaus inszenatorisch diskutabel ist; doch die Spielfreude und Stimmung der Schauspieler macht die Aufführung zu einem wunderbar kurzweiligen Abend, bei dem die positiven Eindrücke durch die Akteure die Waagschale klar zum Erfolg wenden. Die rückwärtige Entwicklung ausgehend von Verzweiflung, Stillstand und Lethargie vom Beginn im vierten Akt hin zum ausgelassenen, heiteren und glücklichen ersten Akt am Schluß - man gönnt den Figuren die Leichtigkeit als Lebensentwurf angesichts des verkrampften Schluß am Anfang.
Die erstaunlichste Leistung dieser Aufführung zeigt Maximilian Grünewald, bei dem die
Nebenrolle Soljony mehr Facetten bekommt als andere Schauspieler in
einer ganzen Saison zeigen! Er verdient bald eine große Hauptrolle (vielleicht den Hamlet in der kommenden Spielzeit?). Und auch sonst gibt es nur starke Akteure: Jannek Petri als cooler Werschinin (wer die Augen schließt und nur zuhört bemerkt, wie viel Petri von Timo Tank gelernt hat) und Joanna Kitzl als lebenshungrige Mascha, Sophia Löffler als intrigant-manipulative Natascha und Thomas Halle als immer entspannter werdender Prosorow, Jan Andreesen als geschwätziger Baron Tusenbach und Frank Wiegard als trotteliger Lehrer Kulygin, dazu Klaus Cofalka-Adami als überforderter Tschebutykin sowie in den kleinen Rollen Jonathan Bruckmeier als verliebter Fedodik, Eva Derleder als Anfissa und Ronald Funke als Ferapont. Seit gestern gibt es zwei neue Stammbesetzungen: anstelle von Ute Baggeröhr übernimmt Antonia Mohr die Rolle der Olga. Für Cornelia Gröschel spielt nun Marthe Lola Deutschmann die Irina. Sie fügt sich auf Anhieb nahtlos ein. Deutschmann wird in der kommenden Spielzeit fest zum Ensemble gehören.
Die Spielfreude steckt an, zumindest bei mir - dafür ein herzliches Danke und BRAVO.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.