Unmittelbarkeit wird leider zu oft überbewertet und taugt nur begrenzt als ästhetischer Maßstab, aber bei der Karlsruher Tosca ist es das richtige Kriterium, vor allen wenn die Aufführung so grandios gelang wie gestern!
Wieder eine Sternstunde durch Barbara Dobrzanska
Wie Barbara Dobrzanska besonders im zentralen zweiten Akt in jedem Moment den richtigen Ausdruck trifft und so unmittelbar das Publikum mit sich riß, wie sie einen Schauer nach dem anderen über die Seele der Zuhörer jagte, dafür ist jeder Superlativ gerechtfertigt. Kongenial ergänzt durch Jaco Venter - was für ein Glück hatte man in Karlsruhe in den letzten 15 Jahren mit den Scarpias: ob nun Hartmut Welker, Walter Donati oder nun Venter - jeder fügte sein starke individuelle Note hinzu. Und dann noch Andrea Shins wunderbare Stimme als Cavaradossi: männlich, zärtlich, zum Dahinschmelzen - das klingt jetzt wie Schokoladenwerbung und klang tatsächlich gestern so auf der Bühne
Das zentrale Trio Barbara Dobrzanska, Andrea Shin und Jaco Venter sowie Chor und Orchester unter der musikalischen Leitung von Johannes Willig zeigen, daß trotz der Krise zwischen Badischem Staatstheater und dem wenig populären Intendanten Spuhler weiterhin sehr gute Leistung möglich sind und das Potential noch vorhanden ist. Die Künstler können, doch ob der Intendant das richtige Klima für große Kunst wiederherstellen kann, bleibt fraglich.
Und noch eine positive Erkenntnis: eine sehr gut besuchte Vorstellung - das Publikum ist da, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, nämlich Oper mit Fokus auf ausdrucksstarke Sängerdarsteller, um die es das passende Repertoire zu bauen gilt. Also das Gegenteil zur bisherigen Strategie der theoretischen Programmzusammenstellung, womit sich der Intendant profilieren und wichtig fühlen will. Nach den spröden Jahren der bisherigen Spuhlerschen Intendanz ist diese Tosca (und sogar die gerade erst wieder vor ausverkauftem Haus wieder aufgenommene, sehr konventionelle Traviata) in der laufenden Spielzeit das geeignete Beispiel um zu zeigen, was gute Oper ausmacht (mehr auch hier).
Fazit: Ein großer Abend! An alle Danke! und BRAAAVOOO!
Über 60 Tosca-Vorstellungen - die gestrige Vorstellung war aber alles andere als routiniert heruntergespielt, sondern besser als viele Gala-Abende.
PS: Findet am 27.05. die endgültig allerletzte Aufführung dieser 15 Jahre alten Produktion statt? Man sollte diese Inszenierung noch nicht abtakeln, sondern weiter im Fundus und Repertoire halten. Sie ist ein Maßstab für die Leistungsfähigkeit des Staatstheaters. Ansonsten sollte man noch mal möglichst viel Karlsruher Opernfans zur Vorstellung am 27.05. motivieren, um zu zeigen, wohin die Karlsruher Oper steuern muß, um erfolgreich zu sein.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.