Samstag, 22. Februar 2014

Händel - Riccardo Primo, 21.02.14 (Premiere)

Die Generalprobe (mehr hier) versprach bereits viel, die Premiere erwies sich nun gestern als großer Erfolg beim begeisterten Publikum mit viel und langem Applaus und Bravi für alle.



Was ist zu sehen?
Aufwändige und prächtige Kostüme, Kerzenlicht und moderne Bühnentechnik - ist das jetzt barock oder historisierend oder was eigentlich?
Regisseur Benjamin Lazars Regie wirkt sehr statisch, manch einer wird sagen ruhig und die Musik auskostend, manch anderer wird sie als etwas einfallslos oder sogar langweilig abtun. Ob die Inszenierung nun zu einförmig ist oder neue Perspektiven eröffnet und die Konzentration auf die Musik fördert, wird eine individuelle Entscheidung bleiben. Im Vergleich zu Radamisto ist das Bühnengeschehen reduziert und nicht so abwechslungsreich wie vor 5 Jahren, als mehr Bewegung (allerdings auch Tänzer und mehr Statisten) auf der Bühne war. Und auch die Personencharakterisierung fällt fast weg. Wie schon bei Radamisto wird nur inszeniert, was im Libretto steht. Benjamin Lazar gelingt es aber kaum, seinen Figuren Persönlichkeit zu verleihen. Es sind mehr Puppen als Menschen, die er auf die Bühne bringt und in einem erweiterten Kontext ist die kommende Marionetten-Aufführung von Rinaldo wahrscheinlich die passende Ergänzung. Doch Barock-Opern sind in so hohem Maße künstlich, daß der Verzicht auf Psychologie legitim ist.

Lazars Absicht "Man muss die Musik sichtbar werden lassen" ist erkennbar, doch weiß er auch um die Problematik: "Es gibt kein allgemeines Verstehen der Sprache von Gesten". Die gestischen Bewegungen erscheinen bei Riccardo Primo oft austauschbar, der im Programmheft angekündigte Zweck ist aber erkennbar: "Ich versuche zu zeigen, daß die rhetorische Gestik und der Ausdruck der Gefühle und Affekte vollständig zusammengehören", "daß der Körper nicht nur der Spiegel der Gefühle war, sondern auch ein rhetorischer Körper, der den Text interpretiert". Dennoch gerät die rhetorische Gestik öfters zur gestischen Gleichförmigkeit und Gestelztheit und auch an die Grenze der Beliebigkeit. Das Bühnengeschehen scheint teilweise eher eine Manier des Regisseurs, sie ist kein barocker Stil. Wie die ganze Inszenierung eine historisierende Haltung nur vortäuscht und eher manieriert wirkt, nicht barock -was das auch immer gewesen sein mag, und Radamisto war in dieser Hinsicht vielleicht ähnlich spekulativ, aber vom Bühneneindruck wirkte er dennoch authentischer, soweit man das Wort überhaupt verwenden kann. Radamisto bleibt als Kerzenlichtproduktion weiterhin die Referenz, bei der die Regisseurin Sigrid T'Hooft die Möglichkeiten einer historisch informierten Aufführungspraxis deutlich stärker ausschöpfte und dadurch interessanter war.

Ein großer Wurf oder eine Offenbarung ist diese Inszenierung von Riccardo Primo also nicht. Wieso ist sie dennoch ein schöner Erfolg? Weil sie in aller Reduziertheit und Zurückgenommenheit einen Mehrwert bietet - eine Gestimmheit und Konzentration, die durch die Kombination des ruhigen Bühnengeschehens und der sehr schönen Musik erreicht wird und in die man sich leicht ziehen und vereinnahmen lassen kann.

Was ist zu hören? 
Es ist eine hervorragende musikalische Umsetzung zu genießen - wie fast immer bei den Karlsruher Händel Festspielen! Franco Fagioli (mehr zu ihm und seinem Caffarelli-Konzert findet sich hier) ist der Star der Inszenierung. Neun Arien mit verschiedensten Affekten und teilweise halsbrecherisch virtuos werden von Fagioli glänzend gemeistert. Immer wieder kann man sich fragen, wo der Argentinier die Luft für seine lang gehaltenen Koloraturphasen herholt. Riccardo Primo hat für seine Titelfigur nicht so berühmte Arien wie in Julius Cäsar (2008) und Ariodante (2010), in denen Fagioli sich zum Karlsruher Publikumsliebling sang. Dennoch muß man auch diese Oper in den erweiterten Kreis der großen Händelschen Bühnenwerke aufnehmen, vor allem wenn man sie so luxuriös wie in Karlsruhe besetzen und musizieren kann.
Ein weiterer Höhepunkt des Abends waren die Arien der Constanza, die von Emily Hindrichs seelenvoll und ergreifend gesungen wurden und mit der sie sich endgültig in Karlsruhe einen Namen machen sollte. Besser als mit ihrer Eingangsarie Se perì, l’amato bene kann man nicht in eine Händel-Oper eingestimmt werden. Brava!
Claire Lefilliâtre ist ein Star in der französischen Barockmusik-Landschaft mit vielen CD-Einspielungen. Sie hat schon in früheren Produktionen Lazars mitgewirkt und bereits bei ihrer ersten Arie erkennt man, wieso man sie in Karlsruhe engagiert hat: sie zeigt als Pulcheria eine sehr charakter- und ausdrucksstarke Stimme.
Auch der zweite Counter Nicholas Tamagna hinterließ einen sehr guten Eindruck und beweist, wie viele spannende Stimmen es inzwischen für die früheren Kastratenrollen gibt.
Schade, daß die schöne Bass-Stimme von Lisandro Abadie nur zwei Arien zu singen hat; besonders seine Arie im dritten Akt Nel mondo e nell’abisso hatte beim Publikum große Wirkung. Und auch Andrew Finden ist mit einer Arie leider unterrepräsentiert.

Michael Hofstetter und die Deutschen Händel Solisten haben einen wunderbar federnden und die Feinheiten ausleuchtenden Klang, der einen wichtigen Beitrag zum Gelingen dieser musikalisch so schönen Aufführung liefert.

Fazit: Bravo an alle! Wer diesen Riccardo Primo nicht genießen kann, dem kann an diesem Abend auch mit keiner anderen Aufführung einer Barock-Oper geholfen werden. Alle anderen werden darin schwelgen können.

PS: Nicht unerwähnt darf bleiben, daß auch gestern wieder Günter Könemann im Publikum saß, der frühere Intendant des Badischen Staatstheaters, der 1978 Karlsruhe zur Händel-Stadt machte und die Pflege der Barockmusik frühzeitig zu einem künstlerischem Anliegen, für das ihm heute viele dankbar sind.

Besetzung und Team
Riccardo I.: Franco Fagioli
Costanza: Emily Hindrichs
Isacio: Lisandro Abadie
Pulcheria: Claire Lefilliâtre
Oronte: Nicholas Tamagna
Berardo: Andrew Finden

Musikalische Leitung: Michael Hofstetter
Einstudierung und Leitung der Rezitative: Thomas Leininger

Regie: Benjamin Lazar
Bühne: Adeline Caron
Kostüme: Alain Blanchot
Lichtdesign: Christophe Naillet
Maske: Mathilde Benmoussa

5 Kommentare:

  1. @Klaus: Danke für die Info. Man darf die Hoffnung nie aufgeben ....

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  2. Guten Abend

    weiterer Links zum Thema Semperoper

    http://www.derwesten.de/kultur/dresdner-semperoper-plant-uebergangszeit-ohne-chef-id9039381.html

    Nun aber gute Nacht
    Klaus

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    1. Vielen Dank! Aus meiner Sicht der richtige Schritt, den designierten Intendanten wieder zu kündigen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende .....

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    2. Wolfgang Kiefer27 Februar, 2014 13:53

      Hallo Honigsammler
      Die Semperoper ist in erster Linie ein Opernhaus und erst danach eine Bühne für Thielemann. Dieser ist im Krach von Berlin, danach von München geschieden und bringt jetzt die Semperoper durcheinander. Thielemann hat mit Oper nichts am Hut (genau wie Barenboim). Drei Viertel des Sängeretats der Semperoper werden für die paar von Thielemann dirigierten Opernaufführungen ausgegeben. Der Rest muss sich mit dem Ensemble begnügen. Für Dresen wäre es besser gewesen Thielemann zu feuern.

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    3. Guten Tag Herr Kiefer,
      danke für die Information. Ich kenne die Verhältnisse in Dresden nicht. Der frühere Karlsruher Marketingleiter Dr. Jörg Rieker ist seit 2011 dort in gleicher Position tätig - das ist schon alles, was ich über die Semperoper sagen kann. Wenn Thielemann zu teuer ist, wird sich das auf die Qualität der anderen Bereiche auswirken und früher oder später Folgen haben. Aktuell hält man zu ihm - das "Zugpferd" scheint also den Politikern noch nicht zu teuer. Ob Thielemann wirklich ein Zugpferd ist, lässt sich kontrovers diskutieren. Ich verfolge die Kritiken aus Dresden allerdings nicht.

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