Montag, 25. November 2013

Franco Fagioli - Arien für Caffarelli, 24.11.2013

Anlässlich seiner neusten (und wirklich grandiosen) Solo-CD Arien für Caffarelli konnte das Karlsruher Publikum gestern zum dritten Mal Franco Fagioli in einem Konzert erleben. Und was für eines! Der Applaus für ihn wollte kaum enden.

Hommage an Franco Fagioli
Mit Countertenören ist das so eine Sache. Als man (wann eigentlich?) so vor ca 30-40 Jahren begann, Barockopern mit Countern aufzuführen, waren diese noch Exoten und viele im Publikum werden sich gewünscht haben, daß man die entsprechende Rolle lieber mit einer Sängerin besetzt hätte. Die wenigen bühnentauglichen Sänger hatten damals teilweise Stimmen, die es heute schwer hätten, sich gegen die inzwischen groß gewordene Konkurrenz durchzusetzen - sie klangen damals entweder zu piepsig oder hohl, zu schrill oder nasal - viele im Publikum -auch ich- haben sie nur als Exoten und Experiment toleriert.

Doch innerhalb des letzten Jahrzehnts gab es erste beste Stimmen und die Situation hat sich grundlegend geändert: es gibt bereits CD Einspielungen barocker Opern, die auf Frauenstimmen komplett verzichten. Damit ist man allerdings bereits zu einseitig geworden und schlägt die falsche Richtung ein - aber das ist ein anderes Thema .... Die Spitzengruppe der Countertenöre ist dennoch überschaubar klein geblieben und sogar wahrscheinlich an einer Hand abzuzählen.

Die Wende in Karlsruhe ist mit dem Namen Franco Fagioli verknüpft. Seine Auftritte als Julius Cäsar und Ariodante rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Sein vierter Opernauftritt bei den Karlsruher Händel Festspielen 2014 als Riccardo Primo ist bereits frühzeitig ausverkauft gewesen. Fagioli hat nicht nur eine individuelle und schöne Stimmfarbe sowie einen als Alleinstellungsmerkmal zu bezeichnenden, sensationell großen Stimmumfang über 3 Oktaven. Der sympathische Argentinier ist in einem Maß koloratursicher, daß er mit Cecilia Bartoli verglichen wurde, mit der er auch bereits zusammen auftrat und CDs einspielte. Er hat es bei vielen Zuhörern geschafft, der erste Countertenor zu sein, den man in den Rang eines Publikumslieblings und zur favorisierten Stimme erhebt. Franco Fagioli ist für mich der beste Sänger seiner Stimmlage - niemand sonst traut sich an die schwer zu singenden Arien für Caffarelli. Was für ein Glück, daß er bisher so oft in Karlsruhe auftrat (hier mehr zu seinen letzten Auftritt) und nun auch gestern seine neue CD erstmals im Konzert vorstellte.

Zum Konzert
Fagioli wählte für seine CD neapolitanisch geprägte Komponisten, denn laut Fagioli: "Ich muss sagen, dass die Neapolitaner die schwierigste Musik überhaupt komponiert haben. Die Arien sind wirklich tückisch. Das hat etwas Sportliches, fast schon Akrobatisch-Athletisches." Händels Arien für Caffarelli sind hingegen keine Bravourstücke wie die aus Neapel, die Arien von Händel sind sängerfreundlicher und weniger schwierig. Neapel und seine Oper stehen heute für den Triumph des Sängers über den Komponisten und der Vergleich der Kastraten als die ersten Popstars greift deshalb nicht zu kurz.
Man konnte gestern im Konzert schnell hören, wieso man Fagioli auch bereits als Cecilia Bartoli 2.0 bezeichnet hat: es hat etwas Atemberaubendes mit welcher Sicherheit und Souveränität Fagioli diese Form der Stimmakrobatik in den Bravourarien darbot und dabei das besondere Timbre seiner Stimme nie verlor. Schon in der ersten Arie von Porpora konnte man sich gestern daran schwindlig hören. Daß Fagioli auch Stimmungen auf sein Publikum übertragen kann, weiß das Karlsruher Publikum schon lange und auch gestern waren es die langsamen Arien, die man sich inniger nicht wünschen konnte und besondere Höhepunkte des Konzerts darstellten, bei denen das Publikum in den Sog barocker Affekte gezogen wurde.

Musikalisch wurde Fagioli von Il Pomo d'oro begleitet, einem gestern 15köpfigen Barock-Ensemble, das aus Spezialisten für authentische Aufführungspraxis mit historischen Instrumenten besteht und trotz der kleinen Besetzung (es fehlten die Holzbläser. In Pergolesis Arie spielte stattdessen Riccardo Minasi an der Geige das Solo) eine kompetente Begleitung mit nuancierten und variablen Klangfarben darstellte.

Fazit: Das Publikum erhob sich - Standing Ovations und viele Bravos für Franco Fagioli und Il Pomo d'oro nach einem herzöffnenden und wunderschönen Konzert. 

PS (1): Riccardo Primo ist von Händel für Senesino -einen weniger variablen Kastraten mit deutlich kleinerem Stimmumfang- komponiert worden. Für Caffarelli komponierte er u.a. die Rolle des Faramondo in der gleichnamigen Oper, also eine der wenigen Händel Opern, die bei den Karlsruher Händel-Festspielen noch nie zu hören war. Also ein guter Ansatzpunkt für Fagiolis nächste Verpflichtung in Karlsruhe.

PS (2): Händel mit seinen über 40 Opern stand nur am Anfang der aktuellen Wiederausgrabungsepoche. Barock boomt und man gewöhnt sich wieder an Namen von Opernkomponisten, die lange Zeit niemand kannte: Leonardo Vinci (†1730), Leonardo Leo (†1744), Domenico Sarro (†1744), Francesco Feo (†1761), Nicola Porpora (†1768), Niccolò Jommelli († 1774), Tommaso Traetta (†1779), Gennaro Manna (†1779), ....
Nach Händel scheint es auch die nächste sächsische Wiederentdeckung zu geben: Johann Adolph Hasse (*1699 †1783), der zu seiner Zeit ein Star war, ebenfalls über 30 Opern komponierte und  mit der Sängerin Faustina Bordoni verheiratet war, die in London für Händel sang (er komponierte für sie u.a. Rollen in Alessandro und Riccardo Primo).

PS(3): 2015 feiert Karlsruhe seinen 300. Stadtgeburtstag. Gibt es in den Archiven keine überlieferte Oper vom badischen Hof, die man aufführen könnte?


PROGRAMMFOLGE

Domenico Sarro (1679 – 1744)
Demofoonte - Sinfonia (Allegro – Poco andante - Allegro)

Nicola Antonio Porpora (1686 – 1768)
Passaggier che sulla sponda
Semiramide riconosciuta, Napoli, Teatro San Carlo 1739

Johann Adolf Hasse (1699 – 1783)
Ebbi da te la vita
Siroe, Bologna, Teatro Malvezzi 1733

Giuseppe Avitrano (um 1670 – 1756)
Sonata D-Dur opus 3 Nr. 2 L’Aragona für 3 Violinen und Continuo (Largo – Allegro – Adagio - Presto)

Leonardo Leo (1694 – 1744)
Misero pargoletto
Demofoonte, Napoli, Teatro San Carlo 1741

Leonardo Vinci (1690 – 1730)
In braccio a mille furie
Semiramide riconosciuta, Napoli, Teatro San Carlo 1744

PAUSE

Giovanni Battista Pergolesi (1710 – 1736)
Lieto così talvolta
Adriano in Siria, Napoli, Teatro San Bartolomeo 1734

Angelo Ragazzi (um 1680 – 1750)
Sonata f-moll opus 1 Nr. 4 Imitatio in Salve Regina, Mater Misericoriae für Streicher (Andante – Adagio - Allegro)

Johann Adolf Hasse
Fra l’orror della tempesta
Siroe, Bologna, Teatro Malvezzi 1733

Leonardo Leo
Il Ciro riconosciuto Introduzione (Allegro – Andante - Allegro)

Pasquale Cafaro (1716 – 1787)
Gonfio tu vedi il fiume
L’Ipermestra, Napoli, Teatro San Carlo 1751

Gennaro Manna (1715 – 1779)
Odo il suono di tromba guerriera
Lucio Papirio dittatore, Roma, Teatro delle Dame, Carnevale 1748

ZUGABE:

Leonardo Leo (1694 - 1744)
Sperai vicino il lido
Demofoonte, Napoli, Teatro San Carlo 1741

Domenico Sarro
Un cor che ben ama
Valdemaro, Roma, Teatro delle Dame, Carnevale 1726

2 Kommentare:

  1. Wahrlich, welch ein großartiger Sänger! Virtuoser und geläufiger kann man barocke Koloraturen wohl kaum mehr singen. Und in den lyrischen Arien erweckt er eine solche Menge an Empfindungen, dass man gewiss von einer idealen Interpretation sprechen kann. Lieber Herr Honigsammler, soweit stimme ich mit ihnen vollständig überein. Widersprechen möchte ich jedoch der Behauptung, dass erst durch ihn das Stimmfach in Karlsruhe zum Publikumshit wurde.
    Gewiss gehörte John Angelo Messana, der erste Karlsruher Countertenor, zu jener Gruppe eigenwillig timbrierter Sänger, die diese Stimmlage so unnatürlich klingen ließen. Ähnlich quäkend klang dann vor einigen Jahren aber nur noch der Sopranist Robert Crowe. Diesem nachfolgende Altisten, wie James Bowman, David Cordier, Axel Köhler oder Derek Lee Ragin (um nur die bekannteren zu nennen), lieferten aber meist sehr solide Leistungen ab. Und wer wollte bestreiten, dass nicht auch Paul Esswood und Graham Pushee schon „Publikumslieblinge” waren? Unvergessen bleiben wird auch der Auftritt Andreas Scholls (ebenfalls ein Sänger mit ausnehmend schöner und natürlicher Stimme) im „Messias” oder der Lieder- und Arienabend von Jochen Kowalski.
    Freuen wir uns darüber mit Franco Fagioli einen aktuellen Weltstar (die sich z.Z. ja kaum nach Karlsruhe verirren) auf der Bühne des Staatstheaters erleben zu können, doch lassen wir auch den Sängern der Vergangenheit ihre Meriten.

    Herzlichst
    Falko Steiner

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    1. Guten Tag Herr Steiner,
      vielen Dank! Da habe ich mich ungenau ausgedrückt: David Cordier, Paul Esswood, Graham Pushee - es gab bereits gute Stimmen in den 1980ern und 90ern und dennoch - keiner von ihnen konnte mich uneingeschränkt überzeugen und ich glaube, daß heute Fagioli oder Jaroussky oder auch bei den Nachwuchssängern Valer Barna-Sabadus diese Sänger übertreffen. Sänger wie Andreas Scholl und andere habe ich dabei gar nicht berücksichtigt, da sie nicht regelmäßig bzw. öfters in Karlsruhe sangen bzw. nicht in Opern auftraten und sich somit gar nicht die Popularität ersingen konnten, die heute Fagioli hat.
      Und John Angelo Messana habe ich nicht erlebt - danke für den Hinweis!

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