Montag, 4. März 2013

Partizipatives Schauspiel

Die Franfurter Rundschau berichtet über neue Strategien zur Publikumsgewinnung.
Auch der Karlsruher Schauspielleiter Jan Linders wird zitiert: «Unser Ziel ist es, das Theater stärker in die Stadt hineinzutragen».

Es wird berichtet wie man locker mit allerlei Überraschungen Hemmschwellen und Kontaktscheu abbaut und man beim Graffiti-Wettbewerb, Spielszenen in der Straßenbahn und Flashmobs über Mitwirkungsangebote Interessenten gewinnen will.

Mehr dazu hier: http://www.fr-online.de/panorama/twitter--kochen--disco---ungewoehnliches-im-theater,1472782,21998098.html

Interessanterweise wird nicht über nachhaltige Erfolge berichtet, sondern nur über Techniken zur Aufmerksamkeitsgewinnung.
Und ein wenig könnte man den Verdacht haben, daß man damit kein neues Publikum gewinnt, sondern nur ein anderes und dafür andere Besucher verliert .....

6 Kommentare:

  1. Sehr geehrter Honigsammler,

    wie so oft liefern Sie eine treffsichere Analyse der man sich als Theaterfreund nur anschließen mag. Bei allen Häusern im Badischen ist seit ein, zwei Jahren ein zunehmender Aktionismus zu beobachten, die Anzahl der "Sonderveranstaltungen" "Extra-Podien" und "Mitmachspielchen" hat enorm zugenommen. Gleichzeitig stagniert die Zahl der Theaterbesucher, wenn sie nicht sogar wie zum Beispiel in Pforzheim, dramatisch einbricht.

    Dort hat das Stadttheater am Waisenhausplatz binnen der letzten 15 Jahre fast ein Drittel seines Stammpublikums verloren - die Rettungsaktionen des Schauspieldirektors, die denen in Karlsruhe aufs Haar gleichen, haben ebenso wenig einen Umschwung gebracht wie das "Rannspielen" ans Publikum mit gefälligen Inszenierungen im Musiktheater. Nun wird neben Schauspieldirektor Yeginer auch der Vertrag von Operndirektor Widder nicht verlängert und man begibt sich auf "Intendantensuche" Die einst hochgelobte "Dreierlösung" der Schauspiel-Verwaltung-Musiktheater-Direktoren hat damit offiziell ausgedient.

    In nicht allzu ferner Zukunft sehe ich den Moment, wo über Fusionen diverser Häuser nachgedacht werden muss. Opernvorstellungen, die kaum die Auslastung von 50 Prozent erreichen (alle Beispiele aktuelle aus Pforzheim) Ballettvorstellungen, die vor 80 zahlenden Besuchern stattfinden wobei 420 Plätze frei bleiben - das nimmt die Kulturpolitik nicht ewig hin.
    Meine Analyse lautet auf die Schnelle:

    1. Das Festspielhaus in Baden-Baden hat neue Qualitätsmaßstäbe gesetzt und gräbt den kleineren aber auch "Tankern" wie Karlsruhe langsam das Wasser ab.

    2. Ein immer größerer Anteil migrantischer Bevölkerung wird den Anschluss
    an unsere "Hochkultur" verständlicherweise nur im Ausnahmefall finden.

    3. Die Erzählformen des Theaters haben sich nach der 999ten Wiederholung erschöpft - mal von den ganz tollen Ausnahmen abgesehen.

    4. Mit "Hänsel und Gretel" lockt man heute keinen "Gameboy" mehr hinter dem Ofen hervor.

    Ob der geplante Neubau einer Schauspielbühne in Karlsruhe hier attraktiv genug für eine neues Zielpublikum wirkt wage ich zu bezweifeln.

    Bei der Oper sehe ich in Zukunft wenige Leuchttürme und ein System wie in den Niederlanden, wo die ehemaligen Stadttheater, durchaus mit hoher Qualität "En Suite" mit einem Gastspiel-Ensemble bedient werden.

    http://www.nationalereisopera.nl/en/nationale_reisopera/

    Keineswegs möchte ich als Beckmesser oder Miesmacher orten - aber mir drängt sich die Frage auf, ob die in den letzten zehn Jahren allein für das Stadttheater hier in Pforzheim benötigten Subventionen von knapp 90 Millionen Euro nicht in ein attraktiveres, qualitätvolleres Angebot münden müssten. Ein Ensemble gibt es hier aber nicht mehr, von einst 16 festen Sängern sind gerade einmal vier übrig geblieben - und trotzdem sieht und hört man dem Haus den Spardruck immer mehr an. Dann also lieber ein Ende des Stadttheaters mit Schrecken als ein allmähliches Absterben.

    Mit freundlichen Grüßen

    J. W. Ewald

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    1. Sehr geehrter Herr Ewald,

      herzlichen Dank für Ihren hochinteressanten Kommentar!

      Was Sie als Fusion andeuten, habe ich ansatzweise auch schon befürchtet, wobei ich die Stadttheater gar nicht mehr auf der Rechnung hatte. Feste Ensembles sehe ich bei den kleineren Bühnen zukünftig nicht mehr, sondern eher die von Ihnen genannten Gastspiel-Ensembles. Sowie die Opera du Rhin in Straßburg und Mulhouse spielt, so kann ich mir gut vorstellen, daß die großen Bühnen mit ihren Produktionen auch die kleineren Häuser besuchen.

      Ähnliches habe ich mal letztes Jahr beschrieben (mehr dazu im Januar 2012:
      http://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.de/2012/01/auf-der-suche-nach-dem-publikum-von.html)

      Ich fahre selber regelmäßig nach Baden-Baden zu besonderen Gelegenheiten. Das reicht mir allerdings als am liebsten Einmal-pro-Woche-Besucher nicht aus und ist keine Konkurrenz zum Badischen Staatstheater (wenn, dann nur für den Gala-Abend, den ich aber immer dann besuche, wenn Inszenierung und Sänger mich besonders ansprechen).

      Vielleicht hat das Badische Staatstheater ganz richtig erkannt, daß gewisse Generationen für den Regelbetrieb verloren sind. Am stärksten kümmert man sich um Schüler/Schulklassen, Jugendliche und Studenten. Im Schauspiel scheint man stark auf diese Gruppierungen ausgerichtet zu sein und meines Erachtens verdankt man die anscheinend gute Bilanz im Schauspiel in dieser Saison auch den organisierten Zwangsbesuchern, die mit ihren Lehrern kommen. Ob das Erfolg haben wird, zeigt die Zukunft, aber ich glaube an zyklische Verhaltensmuster und wieso sollte nach einer eher theaterfeindlichen Nach-68-Generation nicht auch mal wieder eine neugierigere heranwachsen. Für die Stadttheater sehe ich dennoch schwarz...

      Mit besten Grüßen
      H.S.

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    2. Wenn z.B. anstatt der Carmen nur deren Kleid symbolisch zerstochen wird, das Ballett zu einer Transgruppe mutiert ..
      da wundert es mich nicht.
      Der große Teil der Publikums will entspannen und opulent unterhalten werden.
      Erziehung und Belehrung sowie Regietheater bescheren dann eben leere Plätze.
      Die Bühne Baden bei Wien bringt ein meist konventionelles Programm in oppulenter Ausstattung und Regie.
      Der Laden incl. Sommerarena brummt.
      Mfg
      K.U.

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    3. Vielen Dank für den Hinweis! Opulente Unterhaltung - das ist hier im Südwesten der Bundesrepublik auch das Rezept des Festspielhauses Baden-Baden, das vor allem die Künstler mit zugkräftigen Namen engagiert.
      Dennoch bin ich froh, daß man im Karlsruher Staatstheater nicht nur konventionelles Programm bringt, sondern auch experimentiert. Ich unterscheide für mich gar nicht zwischen Regietheater und Nicht-Regietheater, sondern nur zwischen gutem und schlechten Theater - und das ist für mich eine Haltungsfrage des Regisseurs, wobei ich zwanghafte Versuche originell zu sein (also bspw. Carmen nicht zu erstechen und damit die tragische Fallhöhe des Endes komplett zu minimieren) ebenso lächerlich finde wie Sie und wahrscheinlich die absolute Mehrheit des Publikums.
      Daß ein konventionelles Programm notwendig ist, sieht man in Karlsruhe auch: Zauberföte, Carmen, Tannhäuser, Vetter aus Dingsda, Schwanensee, Nußknacker - praktisch immer sehr gut oder ausverkauft.
      Schöne Produktionen seltener Werke tun sich schwerer, oft zu Unrecht, aber so ist es nun mal....

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    4. Mein Unmut richtet sich in Karlsruhe gegen die Machenschaften des Schauspiels. - Oper: Wallenberg,
      Border, Passagierin (interessant in Bregenz), Peter Grimes
      füllen aber kontinuierlich das großes Haus in Karlsruhe nicht oder zuwenig.
      Das ist kein Publikum da. Selbst die Semperoper Dresden hat Probleme. Die Folgevorstellungen vom ORLANDO nur määäßig
      besucht.
      Gute n8
      K.U.

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    5. Bzgl. Schauspiel: Im Online-Bereich der FAZ ist heute ein Interview mit Matthias Hartmann, dem Intendanten des Wiener Burgtheaters

      http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/matthias-hartmann-im-gespraech-theater-ist-wieder-wichtig-12100882.html

      Hartmann stellt dabei einen Wandel fest:
      "Meine Erfahrung ist eine andere: Die Menschen wollen mehr denn je, dass im Theater die großen Fragen des Lebens verhandelt werden - sie wollen aber keine schnellen und tagesaktuellen Antworten auf die Wirtschaftskrise. Es ist, als würden sie einen Anker in die Kultur reinschmeißen, in der Hoffnung, dass sie dort etwas finden, was sie festhält. Theater ist wieder wichtig."

      Die FAZ vermutet, dass das Live-Erlebnis wieder höher geschätzt wird und Hartmann stellt fest:
      "Es ist offensichtlich: Je virtueller sich das Leben gestaltet, umso mehr brauchen Menschen die Nähe des Lebendigen. Und sie brauchen sich selber. Denn die Phantasie, die ständig mit vorgefertigten Bildern und gemachten Welten versorgt wird, ist in der virtuellen Welt erstaunlich wenig gefordert."

      Ein wenig hoffe ich, daß diese Vermutungen zutreffen. Daß es wieder mehr Leute gibt, die anstatt vor dem Fernseher zu versauern die Vorzüge der Unmittelbarkeit erkennen.

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