Die gute Nachricht vorab: das Badische Staatstheater wiederholt nicht das Desaster der schnell wieder aus dem Spielplan verschwundenen Shakespeare-Komödie Wie es Euch gefällt, sondern präsentiert eine liebevoll gestaltete Neuinszenierung des Sommernachtstraum. Shakespeares Text wurde allerdings stark gekürzt und Handlungsstränge vereinfacht. Man inszeniert den Sommernachtstraum als Musical und nicht als Schauspiel und verzichtet damit auf die Hürden der Textkonzentration und Deutung. Die üblichen Mankos der Musical-Form konnte man nicht vermeiden: immer wieder wird das Geschehen durch Lieder unterbrochen und gedehnt. Durch diesen episodischen Charakter fehlt es an Tempo, Spannung und innerem Zusammenhalt. Es ist also kein großer Shakespeare-Abend oder großes Theater, das den Zuschauer erwartet, sondern sehr gut und nett gemachte Unterhaltung in Musical-Form, in der es dennoch starke schauspielerische Momente gibt.
Warum Shakespeare als Musical?
Damit beabsichtigt man das Publikum, das zu Alice, Dylan und Rio Reiser geht, nun auch zu einem vergleichsweise textlastigeren Abend zu verführen und eine Brücke von der musikalischen Singspiel-Revue zu einer musikalischen Theater-Performance eines klassischen Stücks zu schlagen.
Die Zielgruppe dieser Konzeption verrät die Studie der Freien Universität Berlin:
Durch Produktionen wie Dylan wird auch "ein theateruntypisches Publikum über 40 Jahre mit vergleichsweise niedrigerem Bildungsabschluß angezogen". "Bei Zielsetzungen und der Gestaltung von Strategien darf nicht erwartet
werden, dass über Produktionen wie „Dylan“ oder das junge Staatstheater
neu gewonnene Nicht-Mehr- und Noch-Nie-Besucher durch den alleinigen
Kontakt mit dem restlichen Theaterprogramm auch Aufführungen des ‚klassischen’ Theaterprogramms besuchen." Das Badische Staatstheater versucht hier also, ein klassisches Theaterprogramm für diese Zielgruppe aufzubereiten.
Reduzierter Shakespeare für Neu- und Erstbesucher
Die
Reduktion des Texts geht auf Kosten der Balance: zu kurz kommen die Vermischung
magischer und weltlicher Elemente, also die typisch Shakespeare'schen
Gegenüberstellungen: Sterbliche und Unsterbliche, Herrschaft und
Untertanen, Zivilisation und Natur, die Verzauberung des Alltags und die
Alltäglichkeit der Streitereien und Eifersüchteleien im Geisterreich. Beispielsweise das klassische Hochzeitspaar Theseus und Hipployta, für das die Handwerker eigentlich Ihre Aufführung proben, ist gestrichen und die Aufführung des Laientheaters in der Schlußszene läuft entsprechend ins Leere. Den inneren Bezug, das große Ganze findet man also nicht, sondern nur ein Destillat. Man hat allerdings nach den bisherigen oft tief enttäuschenden Inszenierungen den Eindruck, daß sich das Badische Staatstheater
Zurückhaltung in der Verunstaltung auferlegte und trotz der inhaltlichen Kürzungen kann man mit Erleichterung feststellen, daß man die
Schauspieler nicht in ein Korsett gesperrt hat, sondern Leistungen
gezeigt werden dürfen, bei denen die sonst auffälligen Momente der
Ratlosigkeit fehlen.
Was ist zu sehen?
Man wünscht sich angesichts der sehr guten schauspielerischen Leistungen
unweigerlich, daß mehr Shakespeare in dieser Inszenierung stecken
sollte. Die Akteure hätten einen richtigen Sommernachtstraum verdient, um ihr Können zu zeigen. Man hat den
schönen Eindruck, daß mehr möglich gewesen wäre, wenn man sich nicht auf
ein Musical begrenzt hätte. Schade, daß man die Chance nicht genutzt hat. Wie schon bei Alice
haben Bühnenbildner Flurin Borg Madsen und Kostümbildnerin Janine
Werthmann eine schöne und phantasievolle Ausstattung auf die Beine
gestellt, die ebenfalls für einen richtigen Schauspiel-Sommernachtstraum geeignet wäre.
André Wagner war auch schon im letzten Sommernachtstraum dabei und hat diesmal eine Doppelrolle als Egeus und Puck. Er leidet am meisten an der gekürzten Musical-Konzeption und bleibt zu blaß. Sebastian Kreutz hatte vor acht Jahren als Puck die deutlich dominantere Rolle.
Gunnar Schmidt (auch er war schon im letzten Sommernachtstraum dabei) als Squenz hat ebenfalls eine undankbare Aufgabe - er ist seit Jahren eine Stütze des Karlsruher Schauspiels und einer der beliebtesten Akteure des Hauses. Dennoch kommt er trotz aller Klasse nicht an seinem Vorgänger vorbei. Georg Krause brachte sein Publikum damals zum Rasen - wie man überhaupt es nicht verschweigen darf und ehrlich bekennen muß: der letzte, so wunderbar gelungene und zauberhafte, rasante und entfesselte Sommernachtstraum von Donald Berkenhoff aus dem Jahr 2006 bleibt die unerreichte Referenz und hatte vom Wesentlichen mehr: mehr Witz, mehr Tempo, mehr Spaß und mehr Begeisterung im Publikum. In dieser Hinsicht verläuft auch dieser Vergleich erneut zu Ungunsten der aktuellen Schauspielleitung.
Hervorheben muß man die vier Liebenden: Hermia (Sophia Löffler) und Helena (Florentine Krafft) sowie Lysander (Matthias Lamp) und Demetrius (Jan Andreesen) sind durch ihre Gesangsrollen aufgewertet und tragen zum sehr guten Eindruck wesentlich bei. Bravo!
Antonia Mohr als Titania und Tim Grobe als Oberon nutzen ihre Rollen gekonnt. Robert Besta erhält als Zettel sehr viele Lacher, wie überhaupt alle Beteiligten einen guten Eindruck in ihren Rollen hinterlassen.
Was ist zu hören?
oder
Ein Sommernachtstraum - Musical nach Shakespeares Stück
Es
scheint, daß man am Schauspiel des Badischen Staatstheaters
inzwischen um seine eigenen Defizite und Schwächen weiß. Ein Vergleich
mit dem letzten von Schauspielern dominierten Sommernachtstraum
schien man klugerweise auch deshalb aus dem Weg gehen zu wollen und
präsentiert eine Version, in der man mehr auf Musik und Gesang setzt.
Und da hat man sich viel einfallen
lassen: 15(!) neue Lieder wurden getextet und stilistisch zwischen Schlager und Barock-Arie komponiert. Eine Vielzahl
kurioser Musikinstrumente wurde neu konzipiert und gebaut, die von den
sieben Musiker bedient und gespielt werden. Der neue Sommernachtstraum wird vorrangig auf phantasievolle Weise zum Klingen gebracht.
Das Programmheft macht darauf aufmerksam: der Sommernachtstraum
ist ein Festspiel. Durch den hohen musikalischen Unterhaltungswert ist
diese Inszenierung für eine Weiterverwendung tatsächlich prädestiniert.
Sie würde gut zu Freiluftbühnen oder bspw. den Ettlinger
Schloßfestspielen passen und wäre zweifellos auch dort erfolgreich. Die
Besetzung ließe sich überdenken, denn die Rollen müssten nicht durch
Schauspieler besetzt werden, die singen können, sondern auch
Musical-Darsteller, die gut schauspielern können, passen zur
Inszenierung.
Fazit: Nett! Ein netter Abend, nett gemacht, nette Musik und Schauspieler, vielleicht alles ein wenig zu gemächlich und harmlos. Shakespeare als Musical ist legitim, aber Shakespeare ist halt auch noch viel mehr. Schade, daß das Schauspiel des Badischen Staatstheaters das seinem Publikum (bisher) nicht zumuten will. Es gab in Karlsruhe vor wenigen Jahren eine Inszenierung des Sommernachtstraums, die leidenschaftlicher und überbordender war und hör- und sichtbar mehr Begeisterung auslöste. Trotzdem lohnt sich der Besuch dieser Version.
PS(1): Wende zum Besseren in Sicht?
Im dritten Jahr häufen sich rund um das Karlsruher Schauspiel die Anzeichen dafür, daß man sich zu akklimatisieren scheint. Es gibt mehr gelungene Produktionen, Mißerfolge werde schneller eliminiert und man hat endlich Zugang zu Komödien gefunden. Das Training-on-the-Job scheint bei den Verantwortlichen erste Resultate zu zeigen. Wenn jetzt noch im vierten Jahr solche Pleiten mit Ansage wie Endstation Sehnsucht wegfallen und man bei der Programmzusammenstellung das plakative Zweckhandwerk der Zielgruppenorientierung überwindet und sich öfters erfolgreich im Original-Schauspiel qualifiziert, dann ist man endlich auf dem richtigen Weg. Denn nach den Erfahrungen der letzten beiden Spielzeiten könnte man die Musical-Version auch anders deuten: Viel Musik und stark gekürzter Text - Der neue Karlsruher Sommernachtstraum
zeigt wieder, daß man dem gesprochenen Wort nicht vertraut und nicht an
die Kraft des Autors und des Stücks glaubt oder sogar nichts damit
anzufangen weiß. Von einem Staatstheater kann man mehr erwarten und Ansätze dazu sind bei dieser Inszenierung zu spüren. Nur schade, daß das Programm der kommenden Monate so wenig Spannung verspricht.
PS(2): Einen Stich ins Herz versetzt man in Karlsruhe einem Schauspiel-erfahrenem Publikum durch
die Begründung für diese Form der gekürzten und musikalisch ergänzten
Umsetzung des Sommernachtstraum. Die obigen Absichten der Musical-Version werden verschleiert. Das
Programmheft des Badischen Staatstheater betont eine angebliche Skepsis
von sogenannten
"Experten" gegenüber Shakespeares Sommernachtstraum: Das Publikum liebt es zwar, aber "von
Literaturwissenschaftlern wird es jedoch kritisch beäugt.... Die
Tradition der Geringschätzung reicht weit in die Vergangenheit zurück". Um die Schwächen des Stücks auszugleichen entschied man sich in Karlsruhe dafür, "den Sommernachtstraum mit Liedern anzureichern". Das ist schon eine arge Verdrehung. Das
Karlsruher Schauspiel scheint also dieses mängelbehaftete Werk des
überschätzten Shakespeare durch musikalische "Bereicherungen" für sein Publikum erträglich machen zu wollen.
Vor wenigen Jahren bewies die letzte Karlsruher Inszenierung das
Gegenteil.
Team und Besetzung:
Oberon: Tim Grobe
Titania: Antonia Mohr
Egeus, Puck: André Wagner
Elfe: David Rynkowski
Lysander: Matthias Lamp
Demetrius: Jan Andreesen
Hermia: Sophia Löffler
Helena: Florentine Krafft
Zettel (Pyramus): Robert Besta
Squenz (Prolog): Gunnar Schmidt
Flaut (Thisbe): Michel Brandt
Schnauz (Wand / Mond): Daniel Friedl
Schlucker (Löwe): Andreas Ricci
Regie: Daniel Pfluger
Bühne: Flurin Borg Madsen
Kostüme: Janine Werthmann
Lieder von Tobias Gralke & Clemens Rynkowski
Musik von Clemens Rynkowski
Musikalische Leitung: Clemens Rynkowski, Florian Rynkowski
Klavier, Harmonium, Celesta: Clemens Rynkowski
Percussion, Drumset, Schlagwerk: Jakob Dinkelacker
Bassklarinette, Saxophon, Piccolo: Sven Pudil
Bass, Gitarre: Florian Rynkowski
Vocals, Keyboard: David Rynkowski
Posaune, Sousaphone, Tuba: Jochen Welsch
Bratsche: Agata Zieba
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Glückliches Stuttgart:
AntwortenLöschensiehe Link
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgarter-oper-intendant-wieler-bleibt-bis-2018.0f53be45-2663-4349-8e53-2ba8815c2ea2.html
Da ist man richtig neidisch :-)
Gruß
Klaus
Vielen Dank für den Hinweis!
LöschenLieber Honigsammler, Sie haben die Schwachstellen dieses Sommernachtstraums und den aufkeimenden Hoffnungsschimmer auf besseres Sprechtheater vortrefflich formuliert und nachvollziehbar begründet. Ich sehe meinen Premiereneindruck bestätigt. Die beiden PS-Anmerkungen möchte ich am liebsten für Spuhlers Büro rahmen lassen. Auf kritisches Feedback reagiert das Team Spuhler/Linders inzwischen einfach nicht.
AntwortenLöschenSie haben sicherlich schon mitbekommen, dass statt der "Glasperlenspiel"-Premiere wiederum auf Musikalisches gesetzt wird. Gleich nach Alice und dem Sommernachtstraum führt dabei wiederum Daniel Pfluger Regie. Strawinskis "Geschichte vom Soldaten" (1917) wird angekündigt als Verwebung von Kammermusik, Schauspiel, Erzählung, Tanz und Animationen.
Das mangelnde Vertrauen auf das gesprochene Wort, wie Sie oben analysieren, setzt sich also fort. Das wird für mich die langweiligste Premierensaison seit 30 Jahren.
"Die langweiligste Premierensaison seit 30 Jahren"- ja, da kann ich mich von meinen Standpunkt der letzten etwa 25 Jahren anschließen. Außer der Rarität Gas I/II weiß ich aktuell nicht, ob ich mich in den kommenden Monaten zu etwas motivieren kann. In der Hinsicht tatsächlich und ganz klar eine der langweiligsten Programmzusammenstellungen seit sehr langer Zeit.
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