Dienstag, 30. Januar 2024

4. Symphoniekonzert, 29.01.2024

Hymnisch himmlische Eschatologie
2024 gedenkt man u.a. des 100. Todestags von Franz Kafka, Giacomo Puccini und Gabriel Fauré, des 125. Geburtstags von Erich Kästner, Ernest Hemingway und Vladimir Nabokov, des 150. Geburtstags von Hugo von Hofmannsthal und William Somerset Maugham, des 175. Geburtstags von August Strindberg, des 200. Geburtstags von Anton Bruckner und Bedřich Smetana, des 200. Jahrestags der Uraufführung von Beethovens 9. Symphonie sowie des 300. Geburtstags von Immanuel Kant und des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock. Die Badische Staatskapelle startete gestern in das Jahr mit der bekanntesten Klopstock-Vertonung.

Über zwanzig lange Jahre ist die letzte Aufführung von Gustav Mahlers 1895 uraufgeführter 2. Symphonie inzwischen her, der damalige Generalmusikdirektor Kazushi Ono dirigierte sie in seinem Abschiedskonzert, leider mit falscher Bedeutungsschwere viel zu langsam und zerdehnt (wie zuvor auch den Parsifal). Damals, im Juli 2002 sangen Hélène Bernardy und Cornelia Wulkopf. Onos Nachfolger Anthony Bramall konterte damals wenige Wochen später in seinem Eröffnungskonzert wagemutig mit der 3. Symphonie und gewann den Vergleich. Dessen Nachfolger Justin Brown nahm die Chance nicht wahr, Georg Fritzsch hingegen schon: endlich also wieder  eine Auferstehungssymphonie im Großen Haus. Interessanterweise hat man das Chorkonzert unter den Symphoniekonzerten trotz Erkältungssaison in den Winter gelegt, was aber gestern nicht bestraft wurde: knapp über 100 Musiker und etwas weniger als 100 Sänger boten eine imposante Aufführung

Das Allegro maestoso -  Mit durchaus ernstem und feierlichem Ausdruck ist laut Mahler ein Totengedenken, bei dem sich das trauernde Subjekt die Sinnfrage stellt, insbesondere über die Bedeutung des Todes für das eigene Ich. Im relativ langsam dirigierten ersten Satz fand GMD Fritzsch noch nicht den organisch wirkenden Weg durch die Partitur. Das Abgründige, die Mahler gerne nachgesagte Zerrissenheit erklang nicht prägnant genug, manche Passagen wirkten wie buchstabiert, nicht wie gelesen, andere Stellen zu verhalten - ein wenig mehr Drama und Leidenschaft hätte hier gut getan.

Das Andante moderato. Sehr gemächlich! Nie eilen! war von Mahler als wehmütige Erinnerung an einen Verstorbenen gedacht, dramaturgisch war auch dem Komponisten der Bruch zwischen 1. und 2. Satz bewußt, Mahler schlug eine kurze Pause vor, die Fritzsch nutzte, um Chor und Sänger auf der Bühne Platz nehmen zu lassen. Auch dem zweiten Satz fehlte ein wenig der doppelte Boden, manch langsame Stelle geriet zu gemächlich, mancher Kontrast zu flach.
Für den dritten Satz In ruhig fließender Bewegung verwendete der Komponist seine Vertonung des Liedes Des Antonius von Padua Fischpredigt als Satire auf das tägliche Ignorieren des Wesentlichen, die Fritzsch sehr gut gelang.

Nach ca. 45 Minuten Musik wendet sich das Blatt, Dreh- und Angelpunkt des Stimmungswechsels ist ein Klavierlied Mahlers, das der Komponist für diese Symphonie umarbeitete. Das Urlicht stammt aus dem 1805 von  Clemens Brentano und Achim von Arnim veröffentlichten ersten Band von Des Knaben Wunderhorn, einer Gedichtsammlung alter Volkslieder. In einer Rezension verlangte Goethe: "Am besten aber läge doch dieser Band auf dem Klavier des Liebhabers oder Meisters der Tonkunst, um den darin enthaltenen Liedern entweder mit bekannten, hergebrachten Melodien ganz ihr Recht widerfahren zu lassen oder ihnen schickliche Weisen anzuschmiegen oder, wenn Gott wollte, neue bedeutende Melodien durch sie hervorzulocken." Goethe wurde bekanntlich beim Wort genommen. Das Leben nach dem Tod als Rückkehr in die wahre Heimat, insbesondere auch für die Armen, Geschundenen und Gequälten. Ein nicht erkaufbares und nicht eroberbares Privileg, ein mit einem religiösen Glaubens- und Verhaltenshindernis versehener privilegierter Ort. Bei Mahlers Auferstehungssymphonie ist der Erlösungsglaube im Urlicht eine hymnisch-himmlische Choralmelodie, ganz schlicht und dennoch intensiv. Ruxandra Donose sang O Röschen rot! mit angemessener Innigkeit und schönem Timbre. Das Urlicht wird von Mahler sehr feierlich, aber schlicht gefordert, Otto Klemperer und Bruno Walter  -beide kannten Gustav Mahler noch persönlich, Walter war Assistent Mahlers bei der Uraufführung dieses  Werks 1895 in Berlin- dirigierten es beide in knapp über vier Minuten (hier und hier bei youtube), Leonard Bernstein brauchte zwei Minuten länger (hier bei youtube), Klaus Tennstedt spielte es in knapp über sieben Minuten ein (hier). GMD Georg Fritzsch war hier mit knapp über 4 Minuten auf der zügigen Seite.

Die Hölle steht bekanntlich allen offen, der Himmel hat hingegen strenge Grenzkontrollen - ein Erfolgsrezept, das auch viele im irdisch kleinen Grenzverkehr für ratsam halten. Der christliche Jenseits-Glaube war ein weltweites Erfolgsmodell, solange man an ein durch Mühe und Rechtschaffenheit gewonnenes Leben nach dem Tode als irdisches Lebensziel glauben wollte.  Der letzte Satz Im Tempo des Scherzos – Langsam. Misterioso kehrt nach dem Urlicht zurück auf das Feld der irdischen Mühe und begibt sich auf den Weg zum Jüngsten Gericht, man fühlt sich an Albrecht Dürers apokalyptische Reiter erinnert, die Trompeten rufen und die Herrlichkeit des Herren leuchtet. 
GMD Georg Fritzsch und die mit hoher Spielkultur musizieremde Badische Staatskapelle fanden im Verlauf der Aufführung immer besser die richtige Balance zwischen Tragik und Trauer, entfesselter Gewalt und Verklärung, die Schlußsteigerung gelang grandios, Vergleicht man die vom Autor dieser Zeilen bevorzugte Einspielung der Auferstehungssymphonie von Otto Klemperer mit dem Philharmonia Orchester (Satzzeiten: 19 -10 -12 - 4 - 34 Minuten) mit Fritzschs Tempi (23 - 10 - 12 - 4 - 34) erkennt man, daß Fritzsch quasi dem zeitgenossenschaftlich verbürgten Interpretationstempo weitgehend folgte. 
Ruxandra Donose überzeugte auch im Schlußsatz, ebenso Eliza Boom, die auch Fiordiligi in der aktuellen Così fan tutte singt, Ulrich Wagner hatte Chor und Extra-Chor wie gewohnt souverän vorbereitet.


PS(1):
Ein Symphoniekonzert bestehend aus einem einzigen Werk - es gibt weniger Musik in den Konzerten der Badischen Staatskapelle als früher. Wieso reduziert man den Konzertumfang? Probt man inzwischen gründlicher und länger an den einzelnen Musikstücken? Oder will man den Aufwand beim Einstudieren reduzieren? Manchmal wünscht man sich doch ein wenig Transparenz, wenn man als langjähriger Konzertabonnent weniger bekommt als früher. Aber ja, der Bombast von Gustav Mahlers 2. Symphonie kann für sich alleine stehen und 80 Minuten Musik ist nicht wenig. Kazushi Oni kombinierte Mahlers 2. Symphonie damals mit Wolfgang Rihms Spiegel und Fluß.

PS(2): Den beiden eingangs erwähnten 200. Geburtstagen gedenkt man im 6. Symphoniekonzert mit Bedřich Smetanas Má Vlast (Mein Vaterland) und im letzten Konzert der Spielzeit mit Bruckners 6. Symphonie.

2 Kommentare:

  1. Der letzte Satz war in der Tat ein überwältigendes Erlebnis und wurde vom Publikum zu Recht frenetisch und mit Standing Ovations gefeiert. Das Schlagzeuger Creshendo aus dem Nichts bis zur maximalen Lautstärke war einmalig.

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    1. Vielen Dank für Ihre Ergänzung. Ja das Schlagzeuger-Crescendo war einer (von vielen orchestralen Höhepunkten). Jede Orchestergruppe war parat, Holz- und Blechbläser, Schlagzeuger, Streicher, Harfen. Der Erlebnbiswert beim Zuschauen und Zuhören war so, wie man sich Mahler wünscht und die Ovationen hochverdient

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